Die Luftfahrtindustrie trägt nicht nur mit den Treibhausgasemissionen zum Klimawandel bei. Die Wolkenbildung durch Kondensstreifen ist ein mindestens ebenso großes Problem.





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Das Fliegen zählt zu jenen Aktivitäten, die unseren ökologischen Fußabdruck besonders stark vergrößern. Weltweit erzeugt die Branche etwa eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Das ist in etwa so viel wie Japan, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Dabei dürften diese Treibhausgasemissionen noch gar nicht einmal den größten Beitrag des Flugverkehrs zur Erderwärmung ausmachen: Zirruswolken, die durch Kondensstreifen entstehen, dürften laut neueren Studien mindestens genauso viel zum Klimawandel beitragen wie das Kohlendioxid.

Vor allem aber nehmen diese Belastungen durch die Luftfahrt immer noch weiter zu: Abgesehen von der kurzen Verschnaufpause der Covid-19-Pandemie sind die Treibhausgasemissionen von Flügen in den letzten zwei Jahrzehnten um 2,5 Prozent pro Jahr gestiegen. Sollte sich dieser Trend in den nächsten knapp 30 Jahren weiter so fortschreiben, werden die Auswirkungen der Branche auf die globale Erwärmung in diesen drei Jahrzehnten größer sein als vom Beginn der Luftfahrt um 1900 bis heute, schreibt der norwegische Klimapolitikforscher Steffen Kallbekken mit seinem US-Kollegen David Victor (UC in San Diego) im Fachblatt "Nature".

Wie aber lässt sich dieser Trend umkehren? Welche Möglichkeiten gibt es, Fliegen weniger klimaschädlich zu machen? Oder werden wir nicht darum herumkommen, unsere eigenen Reisetätigkeiten im Flieger – Stichwort Flugscham – einzuschränken? Vor allem über die zweite Frage wird ab Dienstag bei der alle drei Jahre stattfindenden Konferenz der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) in Montreal diskutiert werden.

Ambitionierte Nachhaltigkeitsziele

Ministerinnen und Minister aus 193 Ländern werden bei der Tagung dieser UN-Organisation versuchen, ein branchenweites Ziel für die Senkung der Emissionen auszuhandeln, das mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang steht. Viele Luftfahrtunternehmen und -Branchenverbände haben auch schon sehr kühne Erklärungen abgegeben und sich zum Teil sogar dazu verpflichtet, die CO2-Belastung bis 2050 auf null zu reduzieren. Doch wie soll und wie könnte das funktionieren?

"Die Vorbereitungen auf die Konferenz deuten darauf hin, dass man sich vor allem auf bekannte Ideen konzentrieren wird: auf sauberen Flugzeugtreibstoff und Programme zum Ausgleich für die Kohlenstoffemissionen", sagt Steffen Kallbekken im Gespräch mit dem STANDARD. "Das ist kein Zufall: Diese Ideen stören die Industrie am wenigsten, die am besten so weitermachen will wie bisher."

Das sei aus deren Sicht auch nachvollziehbar: Viele Fluggesellschaften müssten mit hauchdünnen Gewinnspannen arbeiten, und Flughäfen müssten die Kosten für Infrastrukturinvestitionen wieder hereinholen. Deshalb seien aber auch strengere Vorgaben der Politik besonders wichtig – und auch kritische Berichte der Medien. So hat der britische "Guardian" fragwürdige CO2-Kompensationen etwa bei der Fluglinie Easyjet aufgedeckt, die damit laut einem neuen "Guardian"-Bericht Ende des Jahres wieder aufhören wird.

Sauberere Treibstoffe

Auf nachhaltige Treibstoffe (Sustainable Aviation Fuels, kurz SAFs) setzen unter anderem auch die Austrian Airlines. Doch die Sache mit den SAFs hat zwei gröbere Haken: Ihre Herstellung, zu der unter anderem Altspeiseöl verwendet wird, ist erstens noch sehr teuer. "Und dann stellt sich noch die Frage, ob sich ihr Anteil von aktuell 0,05 Prozent in Europa, das Spitzenreiter ist, auch hochskalieren lässt", sagt Kallbekken, der Forschungsdirektor des renommierten Cicero-Instituts für Klimaforschung in Oslo ist.

"Saubere Treibstoffe werden zwar sicher eine wichtige Rolle spielen, um den Beitrag der Luftfahrtindustrie zu senken, aber das kann nicht die einzige Maßnahme bleiben", ist der Experte überzeugt, der sich in einigen aktuellen Forschungsprojekten mit der Zukunft der Luftfahrt befasst.

Eine weitere klimaschonende Alternative wären Flugzeuge, die mit Strom betrieben werden und senkrecht starten und landen können. Das wird in Norwegen bereits erprobt – erleichtert durch die Tatsache, dass es aufgrund der Fjorde viele schwer erreichbare Orte gibt, dafür aber jede Menge Wasserkraft.

Batterien und Wasserstoff

Dieser an sich vorbildliche Ansatz dürfte freilich Grenzen haben: "Für Langstreckenflüge und große Flugzeuge sind die Batterien noch viel zu schwer und werden es bis auf weiteres vermutlich auch bleiben", meint Kallbekken, der noch auf etliche weitere Alternativen hinweist, die viel stärker in Betracht gezogen werden sollten: Dazu zählt er etwa auch Wasserstoffantriebe: "Die jüngste US-Klimagesetzgebung sieht hohe Ausgaben für Wasserstoff vor. Das könnte ebenfalls ein Hebel für eine saubere Luftfahrt werden."

Zugleich gibt der Klimapolitikexperte aber auch zu bedenken, dass es auch beim Wissen über die Auswirkungen des Fliegens auf den Klimawandel noch offene Fragen und Unsicherheiten gibt. "Das betrifft vor allem die Rolle der Kondensstreifen bei der Wolkenbildung, die doppelt so klimaschädlich sein könnten wie das CO2. Eine Befürchtung ist, dass diese Zirrusbildung bei wasserstoffbetriebenen Flugzeugen sogar noch größer werden könnte."

Radikale Innovationen

Dennoch setzt Kallbekken Hoffnungen auf radikale Innovationen, die wir heute womöglich noch gar nicht kennen oder die sich erst in sehr frühen Phasen befinden wie etwa Flugzeugturbinen, die CO2 aus der Luft filtern könnten. Hier bräuchte es mehr Offenheit und Interesse seitens der Industrie – am besten gleich bei der ICAO-Konferenz – sowie stärkere Anreize der Politik. Diese müsste den Druck auf die Industrie erhöhen und so Veränderungen beschleunigen.

Denn das Zeitfenster bis 2050 schließt sich rasch angesichts der komplexen Infrastrukturen und der strengen Sicherheitsauflagen des Flugverkehrs. "Bis Innovationen auch umgesetzt werden, dauert es zumindest ein Jahrzehnt", schätzt Kallbekken, der davon ausgeht, dass es ganz ohne individuelle und verordnete Einsparungen von Kurzstreckenflügen wohl nicht gehen wird. Seine eigenen Flugreisen zu Konferenzen jedenfalls hat der Klimapolitikexperte für Luftfahrt längst radikal eingeschränkt. (Klaus Taschwer, 28.9.2022)