Im Gastblog schreibt Sexualberaterin Nicole Siller, wie Intimität und Nähe, Vertrauen und Sich-einlassen-Können eine Basis für emotionale und körperliche Berührungen und Verbundenheit sein können, die erfüllen.

Natürlich, wir sind alle Individuen und unterschiedlich. Jede und jeder von uns hat eine einzigartige Biografie, höchstpersönliche Erlebnisse und Emotionen, Sehnsüchte, vielleicht Fetische, Träume, Erregungsmodalitäten, Fantasien und einen einzigartigen, facettenreichen Weg in diesem Leben. Dennoch gibt es zutiefst menschliche Bedürfnisse, in denen wir uns oft sehr ähnlich sind. Dies bestätigte vor wenigen Jahren auch eine meiner Befragungen. Sowohl Männer als auch Frauen sehnen sich nach mehr. Wonach? Lesen Sie selbst.

Die Sehnsucht, berührt zu werden

Ja, da gibt es diesen Hauthunger. Den Wunsch, zärtlich oder auch erregend auf der Haut berührt, liebevoll gestreichelt und gehalten zu werden. Viele erzählen von der Sehnsucht, die Wärme einer Umarmung zu spüren, sich vielleicht auch anzulehnen. Gar nicht wenige Menschen würden gern die Möglichkeit haben, so lange in einer Umarmung zu bleiben, bis sie diese selbst lösen möchten. Ob mit oder ohne Sex: Nach 20 Sekunden wird das wohltuende Bindungs-, Lust und Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet.

Berührt zu werden wünschen wir uns sehr, sehr oft nicht nur körperlich, sondern auch emotional. Wir möchten also auch innen drinnen spüren, dass wir geborgen sind, dass wir begehrt werden – wollen in unserem Innersten emotional und wohltuend berührt und womöglich auch angeregt und erregt werden, vielleicht aber manchmal nur einfach unsere Sorgen vergessen.

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Wichtig in jeder Beziehung: bewusst Zweisamkeit zu verbringen.
Foto: South_agency Getty Images

Die Sehnsucht nach Intimität

Was die Intimität einer Liebesbeziehung ausmacht, wird einerseits oft nicht bewusst gewählt, sondern unbewusst von der Gesellschaft oder Vorbildern übernommen. Andererseits erlebe ich immer wieder Paare, die sich mit ihren Werten befassen und ganz bewusst festlegen, was Intimität ausmacht und wo es Grenzen einzuhalten gilt. Was also ist es für Sie, was die Intimität Ihrer Zweierbeziehung ausmacht?

Da gibt es noch einen anderen, einen tieferen Aspekt von Intimität. Wir wollen als der Mensch wahrgenommen werden, der wir wirklich sind. Stark und zart, unabhängig und verbunden, führend und uns fallen lassend. Wir wollen einander fühlen und erfühlt werden, spüren und einfach verstanden werden, ohne uns laufend erklären zu müssen. Diese Intimität entsteht oft durch Nähe. Oder ist es umgekehrt?

Die Sehnsucht nach Nähe und Vertrauen

Durch gelebte Intimität kommen wir einander und auch uns selbst oft sehr nahe. Jede und jeder kennt verschiedene Aspekte von Nähe. Wenn ich nach Nähe frage, geht es oft im ersten Schritt um die körperliche Nähe, da wird die Sexualität oft mitgemeint. Nach wie vor ist es für viele Menschen eine Herausforderung, mit dem Partner oder der Partnerin über die eigene Sexualität zu reden.

Für viele braucht es in einer erfüllten Liebesbeziehung zusätzlich aber eine starke emotionale Nähe, also ein Gefühl von vertrauensvoller Verbundenheit. Und ist es nicht auch die geistige Nähe, die uns vielleicht weniger bewusst ist, aber dennoch ganz viel ermöglicht, gerade auch in der Erotik und der Verführung?

Viele Menschen fühlen sich durch Nähe und Intimität besonders verbunden. Dadurch wächst Vertrauen – wir spüren, wir können uns emotional wirklich einlassen und auf allen Ebenen berühren lassen. Spannenderweise ermöglichen gerade diese Verbundenheit, dieses Vertrauen und diese echte Nähe auch unglaubliche Freiheit. Und sehnen wir uns nicht auch danach, verbunden und gleichzeitig frei zu sein?

Die Sehnsucht nach Tiefe und Hingabe

Das Wort Hingabe hat für viele mit Kontrollverlust zu tun, das mögen viele Menschen nicht. Hingabe ist jedoch in der Sexualität und der Erregung ein Geschenk; etwas, das wir lernen können, vor allem, wenn selbstverständliche Intimität, Vertrauen, Nähe möglich sind. Denn es zeigt sich immer wieder eine absolute Sehnsucht nach Tiefe und Hingabe an den Moment der Begegnung, an einen Moment der Erregung, der Lust, an den Menschen des Begehrens.

Anregungen, die diese Sehnsüchte füttern und fördern können

Klingt simpel, ist aber die Basis von allem: echte Freundlichkeit und Aufmerksamkeit. Also Handy aus, muss man heute an der Stelle sagen. Und: bewusst Zweisamkeit verbringen, die uns ein bisschen aus dem Alltag erhebt. Das kann oft schon Lust auf mehr machen. Auch Humor ist unerlässlich. Ebenso, dass wir einander wirklich zuhören können und einander auf allen Ebenen lauschen, vielleicht gerade auch dann, wenn die Worte fehlen. Ein Lächeln, das wir einander immer wieder schenken, vielleicht manchmal verbunden mit einem Kompliment oder zwei. Manchmal fördert es unsere Verbundenheit, die Liebe, ein Wohlgefühl, wenn wir einander konkrete Gefallen tun. Wenn auch noch Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit und Loyalität gelingen, haben Sie quasi schon gewonnen. Damit ist es auch relativ einfach möglich, sich selbst und einander zu vergeben, falls es mal nötig ist. Denn Ärger und Groll verhindern all das, was wir uns an unbeschwerter Freude und Lust mit einander wünschen.

Manchmal wollen wir auch einfach Sex ausschließlich deshalb, um gezielt Erregung und Höhepunkte zu erleben. Der Himmel auf Erden ist gegeben, wenn wir uns dabei auch noch gesehen fühlen, uns hingeben und uns mit allen Sinnen auf einander einlassen können. (Nicole Siller, 7.10.2022)