Die Wissenschaftstreibenden in Österreich durchleben dieser Tage eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Die steigenden Kosten reißen aktuell ein Milliarden-Loch in die Budgets der heimischen Forschungsstätten – es fehlt an Geld für Heizung, Material und Verlängerung von Verträgen. Am Montag öffneten die Universitäten nach der Sommerpause wieder ihre Pforten für den Studienbetrieb in denkbar schlechter Stimmung. Und am Dienstag: Nobelpreis für Anton Zeilinger!

Der 4. Oktober 2022 ist ein Tag für die Geschichtsbücher, so viel steht fest. Unklar ist aber noch, welche Geschichte hier gerade geschrieben wird. Ist es jene des höchst persönlichen Triumphs des Quantenphysikers Zeilinger, der mit der prestigereichsten wissenschaftlichen Auszeichnung eine jahrzehntelange, Nobelpreis-lose Durststrecke für Österreich unterbrechen konnte? Oder könnte es eine gar noch größere Erfolgsgeschichte werden und den Beginn einer neuen Ära markieren, in der Wissenschaft in diesem Land die ihr angemessene Förderung und Bedeutung zukommt?

Am 4. Oktober 2022 hat sich Anton Zeilinger seinen Platz in der Wissenschaftsgeschichte endgültig gesichert.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Die heimische Forschungslandschaft befindet sich aktuell in einer ambivalenten Situation: Einerseits ist das Geld zum Heizen knapp, andererseits bekommt erstmals seit Jahrzehnten ein Österreicher einen wissenschaftlichen Nobelpreis. Österreich ist in Europa führend bei der Wissenschaftsskepsis, gleichzeitig sind wir Europameister bei Patentanmeldungen. Noch ist es nicht gelungen, das Henne-Ei-Problem von mangelnder Finanzierung für Wissenschaft und unterdurchschnittlicher Begeisterung in der Bevölkerung effektiv anzugehen.

Prekäre Verhältnisse

So muss der österreichische Wissenschaftsfonds FWF Jahr für Jahr Projekte ablehnen, obwohl sie von allen internationalen Gutachten als exzellent eingestuft werden – die Geldmittel des Fonds reichen einfach nicht, um alle zur Förderung empfohlenen Projekte zu stützen. Um weitere Nobelpreise in Österreich möglich zu machen, gehört die Grundlagenforschung dringend ausreichend dotiert. Die derzeit laufenden Verhandlungen bezüglich des Finanzrahmens für die Jahre 2024 bis 2026 für den FWF und die Akademie der Wissenschaften sind die beste Gelegenheit dafür.

Ein weiteres Problem sind die prekären Verhältnisse für Nachwuchsforschende: An den heimischen Forschungsstätten werden jungen Talenten meist nur befristete Stellen angeboten und kaum Laufbahnstellen, die eine langfristige Perspektive bieten würden. Kluge Köpfe in prekäre Verträge zu zwängen ist das beste Mittel, um sie dauerhaft ins Ausland oder an die Privatwirtschaft zu verlieren.

Im Sinne der Frauenförderung in der Wissenschaft wurden zwar schon einige Maßnahmen auf den Weg gebracht, allerdings mit teilweise bescheidenem Effekt. So liegt die Frauenquote bei den Professuren in vielen Disziplinen immer noch im einstelligen Prozentbereich, und selbst unter den Studierenden gelingt es in Fächern wie Informatik trotz jahrzehntelanger Anstrengungen nicht, einen Frauenanteil von mehr als nur 20 Prozent zu erzielen.

Am 4. Oktober 2022 hat sich Anton Zeilinger seinen Platz in der Wissenschaftsgeschichte endgültig gesichert. Vielleicht kann dieser Tag aber auch eine Zeitwende einläuten, nach der es endlich gelingt, den gordischen Knoten aus Wissenschaftsfeindlichkeit in der Bevölkerung und chronischer Unterfinanzierung durch die Politik zu durchschlagen. (Tanja Traxler, 6.10.2022)