Die schrumpfende Kaufkraft spüren auch die Händler.

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Was Corona dank der üppigen Hilfen nicht geschafft hat, die Energie- und Inflationskrise könnte nun eine Entwicklung anschieben, die in vielen Teilen Europas bereits im Gange ist: Die gebremste Kauflust der Konsumenten trifft den Handel hart. Die Menschen greifen vermehrt zu billigen Produkten und verzichten auf unnötige Ausgaben. Zu groß ist die Sorge, dass die hohen Energierechnungen tiefe Löcher ins Haushaltsbudget reißen. Auch die steigenden Kreditraten in manchen Haushalten knabbern an der Kaufkraft.

Noch ist das Jahr nicht zu Ende, die zentrale Frage, wie sich das Konsumvertrauen entwickelt, wird wohl entscheidend. Interessenvertreter warnen vor einer Pleitewelle. Die Zwischenbilanz im Einzelhandel und die aktuellen Insolvenzzahlen des Alpenländischen Kreditorenverbands (AKV) deuten schon jetzt auf deutliche Bremsspuren hin. Im bisherigen Jahr 2022 hat der Handel etwa in Wien den ersten Platz der von Insolvenzen betroffenen Branchen belegt und die Baubranche auf den zweiten Rang verdrängt. Österreichweit liegt er auf Platz zwei. Die Insolvenz der Textilkette Ordia Österreich mit 239 betroffenen Mitarbeitern und eines Gebrauchtwagenhändlers ist mit ein Grund, dass die meisten betroffenen Dienstnehmer in insolventen Handelsbetrieben beschäftigt waren.

Firmeninsolvenzen verdoppelt

Insgesamt hat sich die Zahl der Firmeninsolvenzen in den ersten drei Quartalen 2022 auf 3714 Pleiten mehr als verdoppelt. Wobei man in Erinnerung rufen muss, dass das Insolvenzgeschehen während Corona nahezu zum Stillstand kam. Das Vor-Corona-Niveau ist noch nicht ganz erreicht. Das dürfte aber in den nächsten Wochen passieren.

Der AKV kommt jedenfalls zum Schluss, dass "während der Pandemie zahlreiche Unternehmen trotz bereits vorliegender Vermögenslosigkeit die staatlichen Stundungen in Anspruch genommen haben und daher erst jetzt in den Verfahrenszahlen ihren Niederschlag finden".

Noch stellt sich die Lage bei den Privatinsolvenzen weniger dramatisch dar, allerdings steigt die Zahl auch hier – um knapp 28 Prozent auf 6823. Die Teuerungswelle dürfte den Trend befeuern. Die Auswirkungen der multiplen Krisen für die Handelsbetriebe seien in der derzeitigen Lage schwierig abzuschätzen, sagt Michael Buttkus. Der Handel reagiere aber bereits, beobachtet der Retail-Experte der Managementberatung Horváth & Partners und verweist auf ein Beispiel aus Deutschland. Dort entdeckte etwa der Handelsriese Edeka im Frühling seine Diskont-Seele, was einen heftigen Schlagabtausch mit der Diskont-Konkurrenz heraufbeschwor. Für Buttkus ein Beleg für den "Rutsch nach unten" – nicht nur im Lebensmittelhandel. Auch im Bekleidungssektor geht es bei vielen eine Stufe tiefer. Wer sich bei ausreichender finanzieller Flüssigkeit gerne in höherpreisigen Läden etwa von Peek & Cloppenburg einkleidet, sucht sein Glück bei Karstadt.

Was sich Betriebe und Konsumenten leisten

Auch wenn die Betriebe kaum abschätzen könnten, wie es weitergeht, müssten sie "ihre Hausaufgaben wirklich gut erledigen", ist der Experte überzeugt. Ob der Versandhändler recht behalte, der davon ausgeht, dass die Geschäfte heuer so laufen werden wie im Vorjahr, oder doch jene, die mit 50 Prozent des Geschäfts disponieren, werde man erst nach der Krise wissen. Das gleich gilt für die Frage, ob sich Konsumenten und Konsumentinnen Nachhaltigkeit und Bio in den kommenden Monaten leisten können und wollen. Nicht nur die Verbraucher stehen auf der Bremse, meint Buttkus, viele Betriebe würden die für den Moment nicht überlebensnotwendige grüne Transformation nach unten priorisieren. (Regina Bruckner, 6.10.2022)