Jan Ledochowski (rechts) mit dem damaligen Wiener ÖVP-Chef Blümel auf dem Kahlenberg – anlässlich der "Rettung vor den Türken".

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Identitären-Chef Martin Sellner, berüchtigte Rechtsextreme aus der Hooligan-Szene und altbekannte Gesichter der Corona-skeptischen Szene: Sie alle zogen am Samstag gemeinsam mit römisch-katholischen und evangelikalen Gruppen durch Wien, um gegen Abtreibung und Sterbehilfe mobilzumachen. Für den Wiener ÖVP-Politiker Jan Ledochowski war das "vielleicht gerade wegen des strömenden Regens etwas ganz Besonderes". Beim "Marsch fürs Leben" sei die Stimmung "großartig" gewesen: "Wieder so viele junge Leute und Familien, die dafür einstehen, dass jedes Leben zählt!"

Ledochowski hatte Bekanntheit durch eine der groteskeren Episoden in der Geschichte der Wiener ÖVP erlangt. Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2020 konnten er und Suha Dejmek so viele Vorzugsstimmen sammeln, dass sie aufgrund der ÖVP-internen Regeln einen Platz im Landtag erhalten hätten – obwohl sie eigentlich auf der Wahlliste weit hinten platziert waren. Um das zu ermöglichen, hätten dutzende vor ihnen gereihte Kandidaten verzichten müssen. Doch eine junge Bezirkspolitikerin aus der Donaustadt weigerte sich – sie "verschwand", die Vorreihung klappte nicht.

Die "Plattform Christdemokratie"

Hartnäckig halten sich bis heute Gerüchte, die Kandidatin sei von mächtigen Teilen der Landespartei zu ihrem Verschwinden motiviert worden, um Ledochowski und Dejmek als Abgeordnete zu verhindern. Denn intern stoßen die beiden auf einigen Widerstand: Sie sind Vertreter des erzkonservativen Flügels in der Wiener ÖVP. Beide haben ihre Vorzugsstimmen in stark religiösen Wählerschichten gesammelt, unterstützt durch die Abgeordnete Gudrun Kugler. Die "verschwundene" Kandidatin, die in der Bezirksvertretung Donaustadt aktiv ist, war für den STANDARD nicht zu erreichen.

Aktiv sind Ledochowski und Dejmek in der "Plattform Christdemokratie", dort traten sie, zumindest früher, als Präsident und Vizepräsidentin auf. Die Plattform Christdemokratie feierte die Verschärfung der Abtreibungsrechte in Polen und kampagnisierte gegen moderne Sexualkunde. Derzeit sind der Bewegung vor allem Transgender-Rechte ein Dorn im Auge.

Die erzkonservative Plattform wird aber mehr und mehr zu einer Kaderschmiede für die ÖVP. Die Landtagsabgeordnete Caroline Hungerländer hat dort einen "Empowerment-Lehrgang" eingerichtet, bei dem Interessierte für 250 Euro die "Grundlagen zu Geschichte und Politik in Österreich, Religionen, Wirtschaft und Medien" kennenlernen. Gefördert wird das in Österreich vom Malteserorden.

Kaderschmiede?

Hungerländer dürfte sich bei ihrem Aufenthalt am US-amerikanischen "Leadership Institute" zu dem Lehrgang inspirieren haben lassen. Die Politikerin absolvierte einst ein dreimonatiges Praktikum bei der Kaderschmiede für konservative US-Politiker. Zu deren Alumni zählen Fox-News-Moderatoren genauso wie der frühere Vizepräsident Mike Pence, gelehrt werden dort auch die Tricks der US-Politik.

Auf der Seite des Lehrgangs wird mit Absolventen geworben, die es bei der ÖVP weit gebracht haben: Einer ist Referent bei Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler, er schwärmt vom "Erlernen von Spezialwissen durch erfahrene Experten". Ein anderer ist als Referent bei der ÖVP Wien gelandet.

"Mitmenschen in Elitepositionen"

"Bei Vorträgen und Führungen merkten wir, dass auch Mitmenschen in Elitepositionen, die genau wissen, wie die juristisch-politischen Mechanismen in Österreich funktionieren, dieselben Werte wie wir teilen können", schreibt Lehrgangsleiterin Svetlana Kim-Pacher in einem Gastbeitrag. "Ich erinnere mich etwa an eine Diskussion mit Bernhard Bonelli, dem Kabinettschef des Bundeskanzlers (Sebastian Kurz, Anm.) – sie begann mit einer interessanten, aber distanzierten Ausführung sachlicher Aspekte, aber als die Rede auf die persönliche Glaubensbiografie kam, fielen alle weltlichen Schranken: Wir fühlten einander verstanden und geistlich nahe." Auch die Abgeordnete Gudrun Kugler soll vorgetragen haben, ebenso der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer, der dort meinte, man soll nur in die Politik gehen, "wenn man die Menschen liebt". Die meisten Vortragenden hätten keine politische Funktion, sagt Ledochowski dem STANDARD.

Obwohl man bei der Plattform Christdemokratie betont, überparteilich zu sein, finden sich nur ÖVP-Politiker in deren Umfeld. Die Abschlussfeier fand im Springer-Schlössl statt, wo auch die türkise Parteiakademie untergebracht ist. Die ÖVP-Landtagsabgeordnete Caroline Hungerländer erklärt: "Die Plattform Christdemokratie ist keine ÖVP-Initiative und setzt sich parteiunabhängig für christliche Werte in Politik und Gesellschaft ein". Ledochowski sagt allerdings, es habe eine "Kooperation mit der Politischen Akademie und der Konrad-Adenauer-Stiftung" bestanden.

Hungerländer selbst sei "kein Mitglied" und übe "keine Funktion aus", aber "es bestanden in der Vergangenheit themenbezogene Kooperationen, nämlich zu jenen Themen, die ich als Abgeordnete im Gemeinderat auch thematisiert habe". Da sei es etwa um die weltweite Christenverfolgung oder die "Cancel-Culture" rund um das Karl-Lueger-Denkmal in Wien gegangen.

Sie habe die Plattform bei "Konzeption und Aufbau" eines Integrationslehrgangs "im ersten Jahr beratend begleitet", dafür weder Bezahlung noch andere Zuwendungen erhalten. Derzeit diene sie nur als Vortragende, der Lehrgang sei auch umbenannt und umstrukturiert worden, woran sie nicht beteiligt gewesen sei.

Verbindungen ins Kanzleramt

Ledochowski selbst hat nach seinem verhinderten Einzug in den Gemeinderat jedenfalls eine Stelle als Referent und Bereichssprecher "Christdemokratie" in der Wiener ÖVP erhalten. Beruflich ist er bei der Familie & Beruf Management GmbH tätig, die zum Bundeskanzleramt gehört. Dort arbeitet auch ein weiteres Vorstandsmitglied der Plattform Christdemokratie. Und Dejmek? Die Unternehmensberaterin ist nun beim Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) als Mentorin und Coach aktiv. "Ich bin aktuell aufgrund meiner Ausbildung und Expertise als zertifizierter Business-Coach und Unternehmensberaterin mit ausgezeichneten Arabisch- und Englischkenntnissen beim Projekt ‚Kompass‘ für die Einzelcoachings der internationalen Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Migrationshintergrund tätig. Natürlich ist diese Tätigkeit bezahlt", sagt sie dem STANDARD.

Auch ihr Ehemann ist als Unternehmensberater aktiv, an seinem Unternehmen ist auch Dejmek beteiligt. Als Referenz dort angeführt: das Bundeskanzleramt. "Mein Mann und ich, wir sind – wie Sie sicher recherchiert haben – selbstständige Unternehmensberater mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Kernkompetenzen und haben in dieser Funktion mit vielen Firmen und Partnern zu tun", sagt Dejmek. Und: "Ich bezweifle die Relevanz der Tätigkeiten von der Firma meines Mannes in Bezug auf die Recherche meiner Person und meiner Rolle in der Plattform Christdemokratie." (Fabian Schmid, 18.10.2022)