In Berlin versammelten sich laut Polizeiangaben rund 10.000 Demonstrantinnen und Demonstranten aus ganz Deutschland.

Foto: Birgit Baumann

Die Phalanx der Polizisten ist unübersehbar. Dicht an dicht stehen sie vor dem Reichstagsgebäude in Berlin. An diesem Samstag ist das deutsche Parlament gut gesichert. Szenen, wie sie sich Sommer 2020 dort abgespielt haben, sollen nicht noch einmal vorkommen.

Damals versuchten Demonstranten, die mit der Coronapolitik der deutschen Regierung nicht einverstanden waren, den Reichstag zu stürmen, sie kamen bis knapp vor die Eingangstüre. Und auch an diesem sonnigen Herbst-Samstag sind viele zum Reichstag gekommen, um gegen die deutsche Regierung zu protestieren. Aufgerufen zum Protest hat die AfD. Das Motto: ""Energiesicherheit und Schutz vor Inflation – Unser Land zuerst". Die Wiese auf der Westseite vor dem Reichstag ist gut gefüllt, die Polizei spricht von rund 10.000 Demonstrantinnen und Demonstranten, die aus ganz Deutschland angereist sind. Ein AfD-Sprecher nannte am Nachmittag die gleiche Größenordnung.

Mehr als eine Demo

"Was für ein wunderbares Bild", freut sich AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, als er auf die Bühne kommt und auf die Menge blickt. Viele Deutschland-Fahnen sind zu sehen, auch viele blaue AfD-Fahnen und das neue Motto von Deutschland, um das sich die Regierung gefälligst zuerst kümmern soll. "Wir sind hier für die Freiheit", ruft Chrupalla und die Menschen jubeln.

Es ist, zumindest für die AfD, mehr als eine Demonstration. Sie will mit dieser Protestaktion den "heißen Herbst" für die deutsche Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP einläuten. Im vergangenen Jahr ist es für die Partei nicht gut gelaufen. Interne Grabenkämpfe erschütterten sie, zudem konnte sie bei Landtagswahlen nicht mehr die gewohnten Erfolge verbuchen.

In den ersten Jahren nach 2015 hatte die AfD stark von der starken Fluchtbewegung Richtung Deutschland profitiert. Doch als dieses wieder abnahm, kam ihr das zentrale Thema abhanden.

Rückkehr mit Protest

Das rächte sich bei den Landtagswahlen 2022. Sie verlor im Saarland, flog in Schleswig-Holstein aus dem Landtag und büßte auch bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen ein. Nun aber wähnt sich die AfD zurück auf der Siegerstraße. Sie will den Protest der Unzufriedenen bündeln – jenen, die mit der Energiepolitik der Regierung nicht einverstanden sind und die Angst haben, dass die Inflation ihren Lohn wegfrisst.

"Die Bundesregierung macht keine Politik für die Bürger, die Grünen wollen, dass unser Land schwach wird", konstatiert Hauptredner Chrupalla und erntet viel Applaus. "Habeck muss weg", fordert er dann noch und der Beifall wird noch lauter. Der Grüne Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck ist das erklärte Feindbild der AfD.

Deren Lösung für billigere Energie schaut übrigens so aus: "Der Gaspreis sinkt, wenn wir wieder günstiges Gas aus Russland beziehen", wie es Chrupalla formuliert. Daher verlangt die AfD: Die beschädigte Gaspipeline Nord Stream 1 müsse repariert werden und danach, ebenso wie Nord Stream 2, in Betrieb genommen werden.

Größte Demonstration bisher

"Ami, go home", ist auf einigen Transparenten zu lesen. Und "Vormundschaft der USA beenden". Im Osten Deutschlands hat sich die Unzufriedenheit vieler Bürgerinnen und Bürger schon bei mehreren Demonstrationen gezeigt. Sie finden immer montags statt – eine Anspielung an die "Montagsdemonstrationen" in der DDR, die es 1989, kurz vor dem Fall der Mauer, gegeben hat.

So groß wie in Berlin war der Protest allerdings noch nirgends. Zum Schluss seiner Rede gibt Chrupalla seinen Fans noch ein Versprechen: "In den nächsten 25 Jahren stellen wir unser Land wieder auf die Füße. Und heute fangen wir damit an." Die AfD hofft, dass im Falle von Blackouts und Energieknappheit im Winter, noch mehr Menschen zulaufen. Sie fordert auch den Neubau von Atomkraftwerken in Deutschland. Am morgigen Sonntag wird in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt, und es könnte sein, dass die AfD schon vom Frust profitiert. Einige Umfrageinstitute sagen ein zweistelliges Ergebnis für sie voraus.

Nach den Reden vor dem Reichstag, setzt sich der Demonstrationszug durch das Regierungsviertel in Gang. Immer wieder versuchen Gegendemonstranten, vorzudringen. Es sind einige Gegendemos angemeldet und so schallt bald Ruf "Ganz Berlin hasst die AfD" über die Straßen. "Nazis raus", ist auch zu hören. Zur größten Gegendemo hatte die Initiative "Aufstehen gegen Rassismus" und das Bündnis für ein weltoffenes und tolerantes Berlin aufgerufen, zu dem zahlreiche Organisationen vom Landessportbund bis zum Zentralrat der Muslime in Deutschland zählen. Gekommen sind laut Polizei rund 1.500 Personen.

1.900 Polizistinnen und Polizisten waren im Einsatz, 400 davon hatte die Berliner Polizei aus anderen Bundesländern angefordert. Insgesamt gab es nach einer ersten Bilanz der Polizei von Samstagabend 24 Festnahmen und 18 Strafanzeigen unter anderem etwa wegen Körperverletzung, Beleidigung, Raubdelikten oder dem Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen. (Birgit Baumann, red, 8.10.2022)