In Nordfrankreich ist das Füllen von Kanistern untersagt, in anderen Regionen ist der Treibstoffbezug pro Fahrzeug auf 30 Liter beschränkt. Prioritäten werden Fahrzeugen der Notfallberufe eingeräumt.

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Tausende von Tankstellen in Frankreich sind derzeit leer; vor den anderen bilden sich lange Warteschlangen. Am meisten getroffen ist Nordfrankreich, wo 40 Prozent der Tankstellen ausgefallen sind. Aber auch im Großraum Paris sowie in Südfrankreich werden Benzin und Diesel knapp.

Die Behörden haben in den letzten Tagen schon verschiedene Maßnahmen erlassen: Im Landesnorden ist es untersagt, Kanister zu füllen; im Provence-Departement Vaucluse wurde der Treibstoffbezug auf 30 Liter pro Fahrzeug beschränkt. In Paris haben Notfallberufe beim Tanken Priorität. Trotzdem erklärte der Verband freischaffender Krankenpfleger, sie müssten wegen Benzinmangels bereits viele Termine absagen.

Streit um Löhne

Der Hauptgrund für die Knappheit ist ein Streik bei den führenden Konzernen TotalEnergies und ExxonMobil. Drei der sechs Raffinerien in Frankreich sind stillgelegt, andere teilweise blockiert. Die Gewerkschaft CGT verlangt 10 Prozent mehr Lohn. Die Direktion will die für den 15. November geplanten Tarifverhandlungen aber nicht vorziehen.

Ein weiter Grund für den Run auf die Tankstellen ist allerdings die staatlich gesteuerte Preispolitik Frankreichs. Präsident Emmanuel Macon hatte selber eine Senkung des Benzinpreises um 30 Cent pro Liter angeordnet, worauf TotalEnergies selber nochmal um 20 Cent drauflegte. Die größten Autokolonnen mit mehrstündigen Wartezeiten bilden sich deshalb vor den TotalEnergies-Stationen, die ein Drittel der 11 000 Tankstellen in Frankreich ausmachen.

"Nicht in Panik verfallen"

Die Regierung in Paris hat nun das Sonntagsfahrverbot für Tanklaster per Notdekret aufgehoben, in der Hoffnung, dass Lieferungen aus Belgien die Lage entspannen könnten. Umweltminister Christophe Béchu versprach, die Lage werde sich beruhigen, da er "einen Teil der strategischen Reserven freigegeben" habe.

Dieser ungewöhnliche Entscheid straft allerdings die beruhigenden Worte der Regierung Lügen. Macron musste bereits vergangene Woche einen "Ruhe-Appell" erlassen. Er rief die Sozialpartner auf, rasch Verhandlungen zu starten. An die Autofahrer appellierte er, "nicht in Panik zu verfallen".

Viele Erwerbstätige werden aber diese Woche nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit fahren können. Den Beteuerungen der Regierungen trauen sie nicht. Energiewende-Ministerin Agnès Pannier-Runacher hatte schon am vergangenen Donnerstag erklärt, die Lage dürfte sich "in zwei bis drei Tagen" entspannen. Drei Tage später titelt die Zeitung La Provence: "Jetzt klemmt es wirklich".

Politisch brisante Themen

Benzinpreis und -mangel sind in Frankreich politisch brisante Themen. 2018 hatte die geplante Anhebung der Kraftstoffsteuer die Protestbewegung der "Gelbwesten" ausgelöst. Auch jetzt treffen die Inflation und der Kaufkraftverlust vor allem ärmere Einkommensklassen. Entsprechend gespannt ist die sozialpolitische Stimmung im Land.

Die Gewerkschaft CGT kann bei ihrer Blockade paradoxerweise auf viele Sympathien zählen, nachdem ihr Exponent Thierry Defresne erklärte, TotalEnergies sei gegenüber seinen Aktionären spendabler als gegenüber den Angestellten.

Im letzten Halbjahr hatte der Konzern mehr als 10 Milliarden Euro Gewinn ausgewiesen. Macron lehnt die Besteuerung dieser Übergewinne – in Frankreich "superprofits" genannt – aber bisher ab. Die Linksopposition ruft deshalb für kommenden Sonntag zu einer Demonstration auf, an der auch die neue Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux teilnehmen will. Ihr Kollektiv wirft Macron vor, er erhöhe den "Reichtumsgraben zugunsten des Kapitals und zulasten der anderen".

Im Elysée-Palast herrscht deshalb selber Hochspannung. Ein Minister erklärte anonym, der Präsident verfolge die Lage "wie die Milch auf dem Feuer". Nachdem ihm die "gilets jaunes" die erste Amtszeit durchkreuzt hatten, weiß er, dass auch sein zweites Mandat rasch einmal in Turbulenzen geraten könnte, wenn die Benzinknappheit noch lange anhält. Das Journal du dimanche war am Sonntag überzeugt, dass die Warteschlangen vor den Tankstellen auch in der neuen Woche "bestehen bleiben". (Stefan Brändle aus Paris, 10.10.2022)