Der Erdmond ist ein einzigartiges Kuriosum: Kein Trabant im Sonnensystem ist in Relation zu seinem Planeten derart groß, und auch seine im Vergleich zur Erde geringe mittlere Dichte bereitete den Forschenden lange Zeit Kopfzerbrechen. Ähnliches gilt für seine erdähnliche Zusammensetzung. Unter all den teils recht fantasievollen Hypothesen zur Erklärung all dieser Beobachtungen hat sich in den 1970er-Jahren letztlich die spektakulärste durchgesetzt.

Diese mittlerweile gut begründete Hypothese besagt, dass unser Heimatplanet rund 150 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems von einem etwa marsgroßen Himmelskörper getroffen wurde. Material dieses Protoplaneten, dem man den Namen Theia gab, vermischte sich mit der herausgeschlagenen Kruste der jungen Erde und bildete so schließlich nach mehreren Jahrtausenden unseren so merkwürdig großen Mond.

Die Geburt des Erdmondes vollzog sich womöglich schneller als bisher gedacht.
Illustration: NASA's Ames Research Center

Mögliche Sturzgeburt

Was nach bisherigen Annahmen ein langsamer Prozess war, könnte in Wahrheit jedoch laut einer aktuellen Studie gleichsam eine Sturzgeburt gewesen sein: Eine neue Hypothese auf Basis von bisher unerreicht genauen Simulationen legt nahe, dass die Entstehung des Mondes möglicherweise nur eine Frage von Stunden war.

Die ersten verlässlichen Hinweise, wie der Mond entstanden sein könnte, brachten Neil Armstrong und Buzz Aldrin im Juli 1969 zur Erde. 21,6 Kilogramm Mondgestein wurden damals von den Nasa-Astronauten im Rahmen der Apollo-11-Mission heimgeführt. Die Proben erlaubten erstmals eine Datierung des Erdtrabanten. Außerdem belegten sie die Ähnlichkeit der Zusammensetzung von Mond- und Erdgestein. Die neuen Erkenntnisse lieferten die Grundlage für die Kollisionshypothese, doch viele Details blieben umstritten: Warum gleicht das Mondgestein so sehr jenem der Erde, obwohl der Mond eigentlich hauptsächlich aus Theia bestehen müsste?

Hochaufgelöste Simulation

Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen hat ein Team um Jacob Kegerreis vom Ames Research Center der Nasa verschiedene mögliche Szenarien für die Mondentstehung durchgespielt. Grundlage ihrer Untersuchung bildete ein Computerprogramm namens SPH With Inter-dependent Fine-grained Tasking (SWIFT), das darauf ausgelegt ist, komplexe und sich ständig verändernde Netze der Gravitation sowie hydrodynamische Kräfte zu simulieren, die auf große Mengen an Materie einwirken.

Video: Wie unser Mond geboren wurde.
NASA's Ames Research Center

"Der Großteil der bisherigen Mond-Simulationen umfasste 100.000 bis eine Million Partikel, aber diese Auflösungen können einige Kernmerkmale großer Einschläge wie die planetare Rotationsperiode oder die Masse der ausgeschleuderten Trümmer nicht schlüssig abbilden", erklärten die Forschenden. Daher gingen die Forschenden bei ihrer aktuellen Simulation von 100 Millionen Partikel von jeweils 14 Kilometer Größe und zehn Billionen Tonnen Masse aus.

Mondgeburt binnen Stunden

Auf dieser Grundlage simulierten Kegerreis und sein Team 400 Impakt-Durchgänge und kamen dabei zu einem überraschenden Ergebnis, wie sie im Fachjournal in der Fachzeitschrift "The Astrophysical Journal Letters" berichten: Sollte der Protoplanet Theia die junge Erde im 45-Grad-Winkel getroffen haben (und das entspricht der aktuellen Annahme), müsste ein gewaltiger Brocken abgesprengt und in einen weiter außen liegenden Orbit katapultiert worden sein.

"Der innere Rest überträgt dabei Drehimpuls auf den Satelliten, bevor er selbst wieder zur Erde zurückfällt", erklärte Kegerreis. Und das wiederum würde bedeuten, dass sich der äußere Brocken nur wenige Stunden nach der Kollision in einer annähernd kreisförmigen Erdumlaufbahn im Abstand von rund sieben Erdradien stabilisiert hat. (tberg, 10.10.2022)