Ist angetreten, um das Profil des Jüdischen Museums zu erweitern: die Historikerin Barbara Staudinger aus Wien-Kaisermühlen.

Foto: Regine Hendrich

Auch wenn sie Geschichte studiert hat, sei sie ein "Mensch, der im Hier und Jetzt lebt". Das glaubt man Barbara Staudinger aufs Wort. Auf ihrer Facebookseite etwa teilt die neue Direktorin des Jüdischen Museums Wien (JMW) regelmäßig in komödiantischer Manier Alltagsbeobachtungen. "Lachen", sagt sie dem STANDARD, "ist wichtig, gerade im Judentum."

Oft habe sie beobachtet, dass Schulgruppen vor dem Hineingehen ins Jüdische Museum in der Dorotheergasse (erster Bezirk) von Lehrpersonen ermahnt würden, dass jetzt aber "Schluss sei mit Lachen". Ganz falsch findet sie das. "Wo kommen wir denn hin, wenn wir Kindern das Lachen verbieten?"

Wer mit Barbara Staudinger über ihre im Juli angetretene Aufgabe spricht, merkt bald: In puncto Energie und Lebensfreude steht sie ihrer Vorgängerin Danielle Spera um nichts nach. Die hätte nach zwölf Jahren zwar gerne weitergemacht, aber kritische Stimmen sahen ein Hemmnis darin, dass Spera in der sehr diversen jüdischen Community politisch zu verstrickt sei.

Tatsächlich aber setzte sich Staudinger im Sommer 2021 in einem objektiven Bewerbungsverfahren einstimmig als beste Kandidatin gegen 20 andere durch. Überzeugt hat ihr Konzept, mit dem sie seit 2018 als Chefin des Jüdischen Museums in Augsburg bereits Erfolg hatte: mehr Öffnung in Richtung jener Bevölkerungsschichten, die sonst nicht ins Museum finden.

Aus Wien-Kaisermühlen

Aufgewachsen ist die 49-Jährige in Wien-Kaisermühlen. "Keine so schöne Kindheit", wie sie sagt. Die Mutter war Lehrerin, Staudinger wollte Schauspielerin werden, studierte dann aber Theaterwissenschaft und Geschichte, begann, sich für Randgruppen und Minderheiten zu interessieren – "vielleicht, weil wir in Kaisermühlen selbst nicht so wirklich hineingepasst haben".

Staudinger, katholisch getauft, aber mit 17 aus der Kirche "wegen Ungläubigkeit" ausgetreten, schrieb über den Protestantismus in Österreich, über ein Forschungsprojekt kam sie schließlich zum Judentum – es wurde ihr Lebensthema. Sie studierte zusätzlich Judaistik, um ein noch tieferes Verständnis dafür zu bekommen. Wenn Staudinger nach den Besonderheiten des Hebräischen gefragt wird, bekommt sie leuchtende Augen, erklärt zum Beispiel, wie die Worte für Sonne und Diener religionsgeschichtlich und sprachlich zusammenhängen.

2001 promovierte Staudinger. Ihre zahlreichen Publikationen reichen von jüdischer Kulturgeschichte disziplinübergreifend bis ins ethnologische Fach. In der Wissenschaft genießt Staudinger großes Renommee, trotzdem wollte sie dort nie bleiben. "Ein wissenschaftlicher Aufsatz wird im deutschsprachigen Raum durchschnittlich von 0,8 Leserinnen gelesen, das heißt: von niemandem."

Mehr Pop als Pomp

Sie selbst sei eine Freundin "der vermittelnden Wissenschaft. Ich bin überzeugt, dass man komplexe Inhalte den Menschen spannend und verständlich erklären kann." Das war auch schon Danielle Speras Ansinnen. Ihr Konservativenimage wurde sie dennoch nie los. Staudinger wirkt feministischer, experimentierfreudiger, mit Zug in Richtung Popkultur. Mehr Pop als Pomp.

Bei einer Ausstellung in Augsburg zu jüdischem Feminismus lud sie etwa die Rapperin Lady Bitch Ray ein, um mit ihr auch über muslimischen Feminismus zu sprechen. Eine andere Schau hieß Die Stadt ohne: Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge. Droht bei so viel Integration anderer Gruppen nicht eine Verwässerung des Museumsprofils? "Nein", sagt Staudinger energisch, sie kennt den Vorwurf. "Wir sind und bleiben ein Museum der jüdischen Minderheit, aber wir wollen Fragen aus jüdischer Perspektive stellen, die für andere Minderheiten auch relevant sein können."

Als erste kleine Ausstellung zeigt Staudinger ab sofort eine Videoinstallation von James T. Hong. Beginnend mit Willi Brandts berühmtem Kniefall sind zahlreiche weitere politische Entschuldigungsgesten und -formeln, die zu Floskeln wurden, aneinandergereiht. Dazu stellt man ein Zitat der Shoah-Überlebenden Ruth Klüger: "Man sagt ‚Nie wieder‘, und dann schauen Sie sich mal all die Massaker an, die inzwischen passiert sind. Es ist absurd zu sagen, es soll nicht wieder passieren."

Aus der vergleichenden Genozidforschung habe sie viel gelernt, sagt Staudinger, aber heute werde in den Postcolonial Studies oft Geschichte mit gegenwärtiger Politik vermischt. "Das sollte man trennen". Bei der jüdischen Community in Wien, in der "von stark konservativ bis superlinks" ein breites Spektrum vertreten sei, gilt Staudinger jedenfalls als politisch unbeschriebenes Blatt. "Manchmal ist es dabei vielleicht ganz gut, wenn man selbst keine Jüdin ist. Am wichtigsten aber ist offene Kommunikation, dann gibt es eigentlich keine Probleme."

Neubau und Holocaust-Museum

Ende November folgt mit 100 Missverständnisse über und unter Juden die erste große Ausstellung, bei der auch einmal Philosemiten auf den Prüfstand kommen. Die Geschichte des Antisemitismus und der Shoah sei aber natürlich "mit jedem Objekt bei uns präsent". Trotzdem würden viele Besucher danach fragen, wo es denn eine Gesamtdarstellung des Holocaust gibt. "Wir brauchen dafür ein eigenständiges Museum", ist Staudinger überzeugt.

Dass das aber, ebenso wie ein von ihr favorisierter Neubau des JMW im zweiten Bezirk, dem Zentrum jüdischen Lebens in Wien, derzeit aus finanziellen Gründen in weiter Ferne scheint, ist Staudinger bewusst. "Reden sollten wir trotzdem darüber", sagt sie. Türen öffnen, frischen Wind und neue Ideen einbringen – und im Gespräch bleiben, selbst dann, wenn es aussichtslos scheint: Staudingers Weg ist eingeschlagen. (Stefan Weiss, 13.10.2022)