Losgelöst von Volvo: Der Polestar 3 ist das erste Modell der jungen E-Marke mit völlig eigenständigem Erscheinungsbild, an dem sich auch künftige Polarsterne orientieren werden.
Foto: Andreas Stockinger

So klein die Marke, so groß das Spektakel. 800 geladene Gäste, davon die Hälfte Medienvertreter aus aller Welt, waren bei der Weltpremiere des Polestar 3 in Kopenhagen mit von der Partie. Zu den Klängen von "The Age of Aquarius" wurde das Zeitalter des Wassermanns eingeläutet, Kali Yuga und so – nein, das vielleicht nur unterschwellig: Vielmehr wurde die junge Geschichte im Zeitraffer vor Augen geführt, fünf Jahre Polestar und dann Bühne frei für Thomas Ingenlath, den Markenchef.

Herz der Marke

Der hatte Großes zu künden: Der 3er sei das künftige Herz der Marke, das hiermit zu schlagen beginne, dies sei der Anker von Polestar, und mit groß sind auch gleich die Dimensionen gemeint: 4,90 Meter SUV der eher extravaganten Art, dazu gleich mehr.

Davor rasch die wesentlichen technischen Daten: 2,99 Meter Radstand, ein Luxusmaß. Zwei E-Motoren mit 360 kW, 840 Nm Drehmoment. Allrad mit Torque Vectoring. Unterflur verbaute 111-kWh-Batterie (107 kWh netto) von CATL. 610 km Reichweite, Schnellladung mit bis zu 250 kW – bringt den Akku in 30 Minuten auf 80 Prozent. Beim Wechselstrom-Laden sind 11 kW angesagt, und anders als etwa Porsche setzt Polestar nicht auf 800-, sondern auf 400-Volt-Technologie. Die Wärmepumpe ist Serie.

Die Performance-Version bringt es auf 380 kW und 910 Nm, die Reichweite reduziert sich dann auf maximal 560 km, und statt 21-Zöllern sind 22er angeschnallt. Die Zwei-Kammer-Luftfederung des adaptiven Fahrwerks bietet im Geländemodus bis zu 25 cm Bodenfreiheit, die Höchstgeschwindigkeit liegt bei jeweils 210 km/h. Der Kofferraum fasst 484 bis 1.411 Liter, nicht wirklich üppig, wie der erste Lokalaugenschein ergab, und mit 2.584 bis 2.670 kg Leergewicht reiht sich der 3er in die Liga gewichtiger Gentlemen-SUVs ein, die Anhängelast liegt bei 2.200 kg, da geht sich schön ein Schwedenboot hintendran aus.

Jedes Jahr ein neues Modell

Was das kosten darf? Schlanke 89.900 Euro, verrät Thomas Hörmann, Geschäftsführer Polestar Österreich, die Performance-Version kostet 6.600 mehr. Bestellbar ist das Fahrzeug ab sofort – und jetzt der Wermutstropfen: Bis ins vierte Quartal 2023 bleibt der Polestar 2 das einzige verfügbare Modell (der 1er ist ja ausgelaufen), denn statt ins späte Frühjahr verzögert sich die Auslieferung des 3ers ins späte nächste Jahr.

Dann allerdings, und damit zurück zu Ingenlath und zur Weltpremiere, gehe es Schlag auf Schlag, jedes Jahr ein neues Modell, auf den 3er folge das noch größere SUV-Coupé Polestar 4, der 5er wird ein Gran Turismo, und die Studie O2 wird dann zum 2+2-sitzigen Roadster, zum Polestar 6, ein Auto zum Zungeschnalzen, so bildschön.

Die Schlagzahl ist hoch, bis 2026 ist für jedes Jahr ein neues Auto avisiert, das Schlusslicht bildet der knackige E-Roadster Polestar 6.
Foto: Andreas Stockinger

Erst China, dann USA

Gebaut werde der SUV zunächst in einem Volvo-Werk in China, 2024 folge die Produktion im US-Volvo-Werk, auch eine Fertigung in Europa ist angedacht. In 25 Märkten sei Polestar derzeit präsent und 67.000 Autos weltweit auf der Straße: Ingenlath, stolz auf den Status des begehrten Newcomers, sieht Polestar als "David unter Goliaths", vielleicht schwingt er im Geiste schon die Schleuder aus veganem Material, und jetzt aber ernsthaft: Polestar will 2030 in der Produktion CO2-neutral sein. "Früher gab es zwei ikonische skandinavische Automarken", fährt der charismatische Deutsche in chinesischen Diensten fort, eine davon (Saab, Anm.) sei verschwunden, doch Polestar werde die Lücke füllen.

Polestar 3: Warum ein SUV? Weil die Leute, seit sie einmal auf dem Rücken eines Pferdes gesessen seien, hohe Sitzposition schätzten, schmunzelt Ingenlath und ergänzt, gleich seriöser gemeint, dieser Wagen sei ein Appell an alle fünf Sinne. Das führen wir nicht im Detail aus, schwenken lieber zum Design, der Firmenchef selbst stammt aus dieser Ecke, aber für jenes des Polestar 3 zeichnet ein Österreicher verantwortlich, der Grazer Maximilian Missoni.

Luxuriöse Beinfreiheit

Anders als Volvos auf gleicher neuer Plattform kommender EX90 habe man keinen Siebensitzer im Sinn gehabt, sondern ein Auto mit zwei Sitzreihen, mit luxuriöser Beinfreiheit hinten. Eine erste Sitzprobe bestätigt den Anspruch, die Oberschenkel bleiben aber etwas angewinkelt und ruhen nicht auf der Sitzfläche; wäre sie zwei, drei Zentimeter höher, alles wäre optimal. Dann ginge sich aber die flache Dachlinie nicht mehr aus.

Was Missoni da auf die vier Räder gestellt hat? Einen klar gezeichneten E-SUV mit einem Hauch von Aggressivität im Erscheinungsbild, ein klein wenig außerhalb gewohnter Sehgewohnheiten, dies aber vor dem Hintergrund, dass "ein SUV nicht so aussehen soll, als würde er Kinder zum Frühstück verspeisen", gleich fallen einem Audis und BMWs ein. Der 3er ist darüber hinaus der erste Polestar mit eigenständigem Markenauftritt, völlig losgelöst von Volvo, ein Familiengesicht, das sich auch bei den nächsten Polarsternen finden wird.

Für Klarheit, Luftigkeit und Beinfreiheit hat der Polestar 3 Platz.
Foto: Andreas Stockinger

Aerodynamik

Da Aerodynamik eine zentrale Rolle spielt bei der Effizienz von E-Autos, griff man zu unkonventionellen Methoden – markantestes, auch ästhetisch kreativstes Detail ist sicherlich der Frontspoiler vorn auf der Motorhaube, der die dortigen Luftverwirbelungen verringert. Missoni hat auch eine spannende Seitenlinie hingekriegt und innen, wie gesagt, viel Klarheit und Luftigkeit. Das riesige aufgestellte Tablet stört seit Tesla eh niemanden mehr, der kleine Instrumentencluster hinterm Lenkrad erinnert an den VW-Ansatz bei ID.3 und Co, und bei den Materialien tönt Polestar ins selbe Horn wie der Großteil der Branche: Rezyklate, wo es geht, natürliche Materialien wie Flachs, Leder und Wolle aus artgerechter Haltung. So weit, so politisch korrekt. Unterm Strich aber ist der Polestar 3 sicherlich ein spannender Neuzugang. (Andreas Stockinger, 18.10.2022)