Kanzler Scholz will Chinas Vorhaben entgegen seiner Koalitionspartner durchboxen.

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Es ist nicht der Name, der Tollerort für Chinas Staatsreederei Cosco so wertvoll macht, sondern seine Funktion: Tollerort ist einer der vier Terminals am Hamburger Hafen, an dem Cosco seit Jahrzehnten seine Containerschiffe be- und entlädt. Seit einem Jahr will Cosco aber nicht mehr nur Kunde sein, sondern auch Teilhaber – und damit seine maritime Seidenstraße in Europa ausbauen.

Der Betreiber von Tollerort, das Unternehmen Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), das zum Großteil der Stadt Hamburg gehört, hat dem Einstieg Coscos längst zugestimmt: Schließlich verspricht Geschäftspartner Cosco weitere Ladungen über Tollerort abzuwickeln und damit weitere Gewinne und Arbeitsplätze.

Aber weil Cosco nun einmal unter der Kontrolle von Chinas Kommunistischer Partei steht und der Hamburger Hafen nach Ansicht des deutschen Wirtschaftsministeriums zur kritischen Infrastruktur gehört, wurde im Herbst des Vorjahres ein Verfahren initiiert, um den Teilverkauf (35 Prozent) zu prüfen. Mit Monatsende läuft die Frist für einen Regierungsbeschluss von SPD, Grünen und FDP aus, damit ist nun ein Koalitionsstreit vom Zaun gebrochen.

Ampelstreit eskaliert

Denn das Kanzleramt von Olaf Scholz, einst Bürgermeister von Hamburg, pocht offenbar darauf, die Frist verstreichen zu lassen. Damit käme das Cosco-Geschäft automatisch zustande. Scholz, der demnächst nach China reist, stellt sich damit gegen die Meinung von insgesamt sechs Ministerien (aller Ampelfarben), allen voran dem federführenden Wirtschaftsressort. Laut deutschen Medienberichten besteht dort die Sorge, dass durch den Verkauf ein "Erpressungspotenzial" für China entsteht. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat demnach seine Absicht, dem Geschäft ein Verbot zu erteilen, bereits angemeldet. Doch das Kanzleramt nehme das Thema nicht auf die Tagesordnung, womit kein Beschluss gefasst werden könne.

Auch Sicherheitsbehörden und die EU-Kommission haben vor dem chinesischen Einstieg gewarnt, da der Hamburger Hafen nicht nur zivile, sondern auch militärische Bedeutung habe. Laut der polnischen Investigativplattform "VSquare" sind die EU-Häfen an Nord- und Ostsee ein Hub für militärischen Nachschub aus den USA für die Nato-Ostflanke. Das Risiko chinesischer Spionage sei auch deshalb zu groß.

Puzzleteile der chinesischen Seidenstraße

Nicht erfreut über eine Absage wäre wohl China. Das Außenamt in Peking hatte Berlin vor einem Monat davor gewarnt, "normale Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu politisieren, oder sich im Namen der nationalen Sicherheit auf Protektionismus einzulassen".

Erzürnt über die ablehnende Haltung Habecks sind jedenfalls Hamburg und die HHLA, die sich als "Ende der Seidenstraße" in Stellung gebracht hatte: Sie fürchten, dass ihr wichtiger Handelspartner China, der heutzutage den größten Warenumschlag auf europäischen Häfen ausmacht und sich bereits in 14 EU-Ländern (Stichwort Piräus in Griechenland) eingekauft hat, dann andere Häfen vorziehen würde.

Thorsten Benner von der Berliner Denkfabrik Global Public Policy Institute widerspricht auf Twitter der Darstellung der Stadt Hamburg: Dass Cosco Häfen gegeneinander ausspielt, stimme zwar, aber könne kein Grund dafür sein, mit diesem System weiterzumachen. Stattdessen sollte Deutschland mit der EU eine gemeinsame europäische Hafenstrategie vorantreiben.

Benner erinnert daran, dass der Angriffskrieg Russlands gezeigt habe, wie verwundbar Deutschland sein könne, wenn es sich wirtschaftlich von Autokraten abhängig mache, und dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) angekündigt habe, diesen Fehler nicht zu wiederholen. Wie ernst die deutsche Ampel das meine, werde sich nun zeigen. (Flora Mory, 21.10.2022)