Im Gastblog interpretiert der Psychotherapeut und Psychoanalytiker Timo Storck die zehnte und letzte Folge der Prequel-Serie zu "Game of Thrones".

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Wenn doch, dann nicht. "House of the Dragon" lässt am Ende der ersten Staffel im großen Stil Drachen steigen, offenbart in der Gesamtschau aber auch ein Problem mit dem Erzählen von Geschichte.

Erzählen von Geschichtsgeschehnissen

In Walter Benjamins Text "Über den Begriff der Geschichte" von 1940 geht es unter anderem um die Interpretation eines Bildes von Paul Klee, das den Titel "Angelus Novus" trägt. Benjamins Argumentation lautet in etwa so: Der Engel der Geschichte wird beständig und unweigerlich in die Zukunft vorangeweht, während er zurückblickt auf die Katastrophe, die Trümmer der Vergangenheit. Das ist bei Benjamin nicht losgelöst vom Aufstieg von Faschismus und deutschem Nationalsozialismus zu verstehen, und es wäre gefährlich, "House of the Dragon", eine Unterhaltungsserie, hier gleichgeordnet zu betrachten, auch wenn es sicher spannend wäre, Faschismus und Herrschaftsverständnis sowie Ikonografie von Haus Targaryen vergleichend zu diskutieren.

"House of the Dragon" hat ein Problem mit der Geschichte und dem Geschichtenerzählen, das zeigt sich Stück für Stück. Über große Teile der ersten Staffel hinweg hat die Serie mit ihrer Vorlage, dem fiktiven Geschichtsbuch "Fire & Blood", gerungen. Zwei Bereiche kann man in der Serie als problematisch sehen (und daraus erwachsen andere Herausforderungen): Zum einen gibt es zahllose Zeitsprünge, die erste Staffel umfasst insgesamt mehr als 20 Jahre. Zum anderen sind weite Teile, sagen wir mal, stark geschehniszentriert. Anders ausgedrückt: Es gibt mehr Hochzeiten beziehungsweise Vermählungsbesprechungen, Geburten, Todesfälle und Krönungen beziehungsweise Nachfolgeerklärungen als innere Zustände.

Das ist eine Herausforderung, die diese Art der Adaption mit sich bringt. Die Verfilmung eines Geschichtsbuchs ist diskontinuierlich und dominiert von der Wiedergabe der Geschehnisse. Das ist allerdings mit zunehmendem Voranschreiten der ersten Staffel von "House of the Dragon" ermüdend gewesen – oft sehen wir weiterentwickelte oder veränderte Beziehungen der Figuren zueinander als bloße Ergebnisse von Entwicklungen, die nicht gezeigt wurden. Und das in einer Serie, die – wie ihre Vorgängerin – eigentlich eine ihrer Stärken darin hat, Spannungen zwischen Figuren und deren Motiven und Motivationen zu erkunden.

Die Drachen bleiben das Bemerkenswerteste und vielleicht auch Erinnerungswürdigste der ersten Staffel.
Foto: Sky/HBO

Der Plot in "House of the Dragon" wird vorangeweht von der Aufgabe, Geschehnisse darzustellen. Das tun andere Geschichtsverfilmungen auch ("The Crown"!), aber es gelingt andernorts manchmal besser, der Chronologie der Ereignisse nicht die Figurenzeichnungen und -entwicklungen nachzuordnen. Dabei hat die Anlage in "House of the Dragon" offenkundig Potenzial: Ausgangspunkt ist doch die Frage, ob das erstgeborene Kind oder der erstgeborene Sohn die Nachfolge auf dem Thron ausfüllen soll. Davon ausgehend entspinnen sich der Konflikt zwischen Alicent und Rhaenyra sowie die Stellvertreterkämpfe der Kinder. Dass Aemond und Lucerys dann die Kontrolle über ihre Drachen (Arrax speit unabgesprochen Feuer, Vhagar lässt das nicht auf sich sitzen) verlieren, lässt sich nicht zuletzt sinnbildlich für das Verhältnis von Plot und Bildgewalt lesen.

Draco Novus

Denn letztlich bleiben die Drachen das Bemerkenswerteste und vielleicht auch Erinnerungswürdigste der ersten Staffel von "House of the Dragon". Es ist ein langer kulturhistorischer Weg gewesen von ersten Siegfried-Verfilmungen und Ähnlichem hin zu den Aufnahmen der Drachen, die wir hier zu sehen kriegen. Draco Novus.

Und, na klar: Wir wollen ja die Drachen sehen, wir streamen hier nicht "House of the Maulesel". Nur bleibt nicht viel anderes vom Staffelfinale übrig. Selbst noch zur Begrüßung Ottos in Dragonstone kommt Rhaenyra auf ihrem Drachen angeflogen, auch wenn sie wahrscheinlich nur gerade kurz im Garten gewesen ist. Was passiert ansonsten? Rhaenys übermittelt Rhaenyra und Daemon die Nachricht von Viserys Tod und der Krönung Aegons. In einer der Parallelmontage der ersten Folge, in der das Turnier mit den Wehen (und dem Ableben) Aemmas zusammengefügt wurde, nachgebildeten Art sehen wir nun Daemons Kriegsbesprechung parallelisiert mit Rhaenyras Qualen der Niederkunft, die in die Geburt eines toten Kindes münden werden. Einer dieser beiden Zwillinge, die gleich aussehen und (phonetisch nahezu) gleich heißen, bringt Rhaenyra wenig später die Krone ihres Vaters, sodass sie zur Königin ausgerufen werden kann. Auch Otto Hightower kommt etwas später nach Dragonstone und verkündet das Angebot Alicents (erklärtermaßen ihres, nicht das des Königs), das zum einen wohl kaum ehrlich ist, zum anderen die Kinder Rhaenyras und Daemons zu Dienstboten König Aegons degradiert.

Ehespannungen und Drachenkontrolle

Insgesamt gibt es Spannungen zwischen den Eheleuten, man ist sich uneins in der Haushaltsführung of the Dragon: Enthauptung Ottos und Vernichtungskrieg gegen Alicent, wie Daemon es sich vorstellt, oder Besonnenheit und Sicherung der Verbündeten nach Rhaenyras Vorstellungen. Zu diesen Verbündeten gehört Corlys, dem es nun doch wieder besser geht (Gesundung by plot: Stimmt es, dass die Sea Snake einen eigenen Serienableger erhalten soll?). Ansonsten wird es aber schwierig für Rhaenyra, denn viele derjenigen (Ich zeige auf dich, Haus Barratheon! – das gleichwohl am Ende natürlich durch Rebellion dem Haus Targaryen den Targaraus machen wird), die ihr einst die Treue geschworen haben, haben das offenbar nur gemacht, weil es noch keinen männlichen Erben gegeben hatte. Lucerys wird nach Storm's End geschickt, um die Unterstützung durch die Barratheons zu sichern. Er reist per Drache.

Dort findet er nicht nur eine Zurückweisung seines als leer empfundenen Angebots (er ist nicht einmal verheiratbar, denn er ist ja seiner Stiefschwester versprochen), sondern auch Aemond (der verheiratbar und ready to go ist). Aemond tituliert Lucerys erneut als "Lord Strong". Borros Barratheon verwehrt sich dagegen, dass in seinem Haus Blut vergossen wird. Was liegt näher, als alternativ Drachen steigen zu lassen? Allerdings wird deutlich, dass Lucerys seinen Drachen Arrax nicht unter Kontrolle hat (spürt der Drache die Demütigung durch Aemond?), als dieser Feuer gegen Vhagar einsetzt, auf dem Aemond reitet. Das Verhältnis von Aemond und Vhagar war früher schon als Ausdruck (sexueller) Potenz ersichtlich gewesen. Das greift nun auf den Vergleich zwischen Aemond und Lucerys über, um deren Heiratsqualitäten es ja zuvor gegangen war, und nun eben nicht mehr nur in Richtung eines Vergeben-Seins, sondern auch im Hinblick auf die Potenz. Lucerys verliert hier das Kräftemessen um potente Drachenbeherrschung. Zum einen, weil Arrax sein eigenes Ding macht und Lucerys dem gegenüber ohnmächtig ist, zum anderen, weil Vhagar sich rächt und Lucerys sowie Arrax tötet.

Dass Aemond, der vorher noch irritierend dämlich gelacht hat, sich davon schockiert zeigt, ist merkwürdig. Einerseits kann man sagen, dass der Kampf um den Thron in der Generation der Kinder zwar ernst und mit Augenverlust geführt wurde, aber vielleicht auch nicht komplett überblickt werden konnte, als ein Kampf um Leben und Tod, in dem die Opposition um den Thron eben nicht nur in Schach gehalten, sondern vernichtet wird. Andererseits hat "House of the Dragon" einiges dafür aufgewendet, Aemond als machtbewusst und antisozial zu zeichnen. Was hatte er denn erwartet? Vhagar entgleitet seiner Kontrolle, als er Lucerys und Arrax gemeinsam zerfleischt, aber das ist doch von Aemonds Motiv nicht so besonders weit entfernt.

Time after time

Das ist also nun der Aufbau für die zweite Staffel. Aegon II. ist König, Alicent (und Otto) ziehen die Strippen in King's Landing, was auch bedeutet, dass das Leben von Rhaenyra und ihrer Familie weiter bedroht bleibt; nicht dass sowohl Rhaenys als auch Rhaenyra nicht schon jeweils zwei Kinder verloren hätten. Lucerys' Tod hat den Blick Rhaenyras auf den Nutzen der Besonnenheit zudem verändert. "Die Schwarzen" zeichnen sich zudem durch die Allianz mit Haus Velaryon als Seemacht ab.

Dass insgesamt das Haus des Drachens derart in der Geschichte vorangeblasen wird, dass man nur die Flügel ausbreiten und auf die Trümmer der Folgen von Krönung um Krönung, Hochzeit um Hochzeit, Geburt um Geburt und Tötung um Tötung blicken kann, tut der Serie nicht immer gut. Es bleibt abzuwarten, wie lange das durch bloße Drachenbestaunung aufgewogen werden kann.

Ausblick

Was bleibt daher zu hoffen? Vielleicht, dass "House of the Dragon" sich auf seine Stärken besinnt, nämlich die Erkundung der Motive und Entwicklung der Figuren und der daraus erwachsenen Spannungen untereinander. Das zu tun bedeutet eben nicht allein zu erzählen, dass jemandem Dinge zustoßen oder sich dadurch etwas verändert, das andere Ereignisse nach sich zieht.

Ich würde mir an der einen oder anderen Stelle eine fokussiertere Charakterentwicklung wünschen: Was sollen wir nun von Daemon halten? Ist er ehefrauenmordender Soziopath, drachenbeschwörender Draufgänger oder irgendetwas anderes? Wie steht es mit der Emanzipation? Sind Alicent und Rhaenyra machtbewusst, machtbesessen, manipulierbar, muttergefühlsgeleitet oder einfach ausgewogener zwischen Besonnenheit und Destruktivität als die Männer? Zeitsprünge sollten dosierter eingesetzt werden, wenn überhaupt. Und ein Hochzeitsmoratorium wäre nicht schlecht. Spätestens in der Sekunde, in der Mysaria, sollte sie noch leben, und Larys heiraten, um ihre Intrigenkompetenz zu vereinigen, werde ich aufhören weiterzuschauen. (Timo Storck, 25.10.2022)