Als Russland vor knapp drei Wochen seine Luftangriffe auf zivile Infrastruktur der Ukraine intensivierte, da wurde das im Westen als Reaktion auf die russischen Rückschläge an der Front gewertet. Dass es in den Kampfgebieten aus Sicht Moskaus längst nicht nach Plan läuft, entspricht nun auch der jüngsten Einschätzung britischer Geheimdienste: Die russischen Bodentruppen hätten in den meisten Frontabschnitten mittlerweile eine langfristig ausgerichtete Defensivstellung eingenommen, berichtete das Verteidigungsministerium in London am Freitag.

Im besonders umkämpften Gebiet Cherson habe Russland seine Truppen zudem mit erst kürzlich eingezogenen Reservisten aufgestockt. Im täglichen Geheimdienstbericht der Briten heißt es dazu, Moskau sei offenbar zur Einschätzung gelangt, "dass die stark unterbesetzte, schlecht ausgebildete Truppe in der Ukraine derzeit nur zu defensiven Operationen fähig ist".

Die russische Seite erklärte indes, alle Zivilisten der Region Cherson seien in russisch kontrolliertes Gebiet gebracht worden. Aus Kiew kam dazu gleich doppelter Widerspruch: Zum einen erklärte die ukrainische Armee am Freitag, dass Moskaus "sogenannte Evakuierung" nach wie vor weitergehe. Zum anderen spricht Kiew eben nicht von Evakuierungen, sondern vergleicht das russische Vorgehen mit "Deportationen" der Sowjetzeit.

Auch die Ukraine rüstet sich für den Winterkrieg.
Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko

Abgeschossene Drohnen

Was die Abwehr der russischen Luftangriffe betrifft, so meldete sich am Freitag ein Sprecher der ukrainischen Luftwaffe zu Wort: Bereits mehr als 300 Shahed-136-Drohnen aus dem Iran habe die Ukraine demnach abgeschossen. Der Iran allerdings hat bestritten, derartige Waffen überhaupt an Russland geliefert zu haben.

Im Zusammenhang mit dem russischen Vorwurf, wonach Kiew den Einsatz einer "schmutzigen Bombe" plane, will die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) demnächst eine Beobachtermission in die Ukraine schicken. Die Regierung in Kiew, die den Vorwurf zurückweist, habe selbst um die Entsendung von Inspektorenteams gebeten. Bei der Explosion einer "schmutzigen Bombe" wird konventioneller Sprengstoff verwendet, dabei wird aber radioaktives Material freigesetzt. (Gerald Schubert, 28.10.2022)