Gibt sich unbeeindruckt von teurer Energie und stagnierender Wirtschaft: Rainer Wimmer, Chef der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge.

Foto: APA / Erwin Scheriau

Am Donnerstag geht die Metallerlohnrunde weiter. Die Fronten zwischen Metalltechnischer Industrie und Gewerkschaft sind verhärtet. Die Arbeitgeber bieten die um die – weitgehend importierten – Energiekosten bereinigte Kerninflation und eine Einmalzahlung, die Gewerkschaft fordert 10,6 Prozent Erhöhung – und droht mit Kampfmaßnahmen.

STANDARD: Gleich nach der ersten Verhandlungsrunde gab es Betriebsrätekonferenzen. Hat die Gewerkschaft zu früh eskaliert?

Wimmer: Nein, wir mussten uns an Verhandlungsterminen und Gegebenheiten orientieren. Die Arbeitgeber verharren auf ihrem Angebot, nur die Kerninflation abzugelten – gerade so, als hätten die Arbeitnehmer keine höheren Energiekosten und Lebensmittelpreise zu zahlen.

STANDARD: Warum Lebensmittelpreise? Es geht um enorme Energie- und Rohstoffkosten, alle mit Öl und Gas importiert, von denen Maschinenbau- und Metallverarbeitungsindustrie sehr stark betroffen sind.

Wimmer: Für die Beschäftigten geht es auch um die Lebensmittelpreise. Nahrungsmittel sind je nach Berechnung mehr oder weniger stark aus der Kerninflation ausgenommen, schreibt die Nationalbank.

STANDARD: Diese Berechnung dient doch dazu, vorübergehende Störungen, etwa durch Ölpreisschocks, aus der Inflationsrate herauszufiltern und so ein realistisches Bild von Inflationstrends für die Geldpolitik zu erzeugen – sofern die Störungen nicht verfestigende Zweitrundeneffekte nach sich ziehen.

Wimmer: Eben. Deshalb ist die Kerninflation für die Lohnrunde nicht brauchbar, sie verzerrt das Bild, denn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen für Brot und Benzin hier Höchstpreise zahlen – Kerninflation hin oder her.

Am Beginn ist die Runde eine große. Wenn es bei den Metallern hart auf hart geht, ist es nur mehr ein kleiner Kreis rund um Chefverhandler Rainer Wimmer.
Foto: APA / Robert Jäger

STANDARD: Aber ist das nicht zu kurz gedacht? Sie verlangen die volle Abgeltung der für die Metallerrunde maßgeblichen Inflation. Der Staat hat mit Energie- und Teuerungszahlungen einen Teil der Teuerung abgegolten. Es steht nirgends, dass allein die Arbeitgeber die Inflation abgelten müssen.

Wimmer: Wir verhandeln aber nicht mit dem Staat. Kein Mensch spricht von den Hilfen für die Wirtschaft, die bekommen fünf Milliarden! Und die Industrie erhöht im Windschatten die Preise, weil es grad so üblich ist. Verrückter geht es nicht. Die maßgebliche Inflation ist 6,3 Prozent und nicht 4,1 Prozent, wie es sich die Industrie gerade wünscht. Das wird die Auseinandersetzung in den kommenden Tagen.

STANDARD: Die Gewerkschaft verhandelt für alle Branchen der Metallindustrie, Ihr Gegenüber ist aber die Metalltechnische Industrie, die andere Rahmenbedingungen hat als Stahl-, Gießerei- oder Fahrzeugindustrie. Was soll das bringen? Die Voraussetzungen sind unterschiedlich. Eisen und Stahl sind deutlich teurer, und das ist der Rohstoff der Metallverarbeiter, die auf dem Weltmarkt durch Strom- und Gaspreise unter Druck sind. Sie werfen das alles in einen Topf.

Wimmer: Das war immer so. Einmal trifft es den Gigl, und einmal trifft es den Gogl.

STANDARD: Aber es stimmt halt nicht mehr, es passt nicht für die aktuelle Krise.

Wimmer: Dieses eine Mal stimmt es vielleicht nicht. Wenn die Rohstofferzeuger unter Druck und die Maschinenbauer vorn sind, dann spricht keiner von ihren Vorteilen. Unser Ziel ist eine solidarische Lohnpolitik. Wir wollen den Haufen zusammenhalten, einen Abschluss für die gesamte Metallindustrie, also für jene, denen es sehr gut geht, und jene, denen es nicht so gut geht.

Für die Industrieangestellten unter den rund 200.000 Arbeitnehmern in der Metallindustrie verhandelt Karl Dürtscher von der Gewerkschaft GPA (rechts). Gemeinsam sind die zwei ein gewichtiges Gespann.
Foto: APA / Franz Neumayr

STANDARD: So eine Energiekrise wie jetzt gab es noch nie. Braucht es neue Instrumente oder Lohnformeln? Die Konjunktur bricht ein, das BIP stagniert. Nehmen Sie großflächigen Jobverlust in Kauf mit Ihrer starren Haltung?

Wimmer: Nein, das tun wir nicht. Aber wir können die Abwanderung der Industrie auch durch niedrige Löhne nicht aufhalten. Das war immer so. Kein Mensch spricht von den Milliardenhilfen für die Betriebe: Senkung der Körperschaftssteuer: zwei Milliarden Euro – in einer Zeit, wo vielleicht eh bald alle am Boden liegen; Abschaffung der Spekulationssteuer: 250 Millionen Euro; Senkung der Beiträge zum Insolvenzentgeltfonds: 125 Millionen Euro; Senkung der Unfallversicherungsbeiträge: 250 Millionen Euro; Familienlastenausgleichsfonds: 400 Millionen Euro; Energiekostenzuschuss: 1,3 Milliarden Euro, Strompreiskompensation: 235 Millionen Euro; Erhöhung Investitionsfreibetrag und so weiter. Darüber wollen die Arbeitgeber nicht reden, sondern über die Hilfen für Privathaushalte, die übrigens auch die Millionäre bekommen. Das wird’s nicht spielen. Wir lassen sie nicht mit ihren Gewinnen auf unsere Kosten abhauen.

STANDARD: Wie stark sind die Druckmittel der Gewerkschaft? Einige Betriebe wären über einen Warnstreik vielleicht nicht unfroh, denn während eines Stillstands fallen wenigstens keine Energiekosten an …

Wimmer: Das schauen wir uns an. Außer in Teilen des Automobilsektors ist die Auslastung hoch. Die Arbeiter sollen Tag und Nacht arbeiten, so viele Aufträge sind abzuarbeiten. Deshalb wollen die Arbeitgeber die Arbeitszeit ausweiten und Überstundenzuschläge reduzieren. Zurzeit pfeift es überall, die Ergebnisse 2022 sind schon eingefahren.

STANDARD: Das wird nicht so bleiben. Die Stagnation ist laut jüngster Schnellschätzung des Wifo bereits angekommen. Ist Ihnen in Ihrer letzten Lohnrunde als Chef der Produktionsgewerkschaft egal, wie schlimm es nächstes Jahr wird und wie viel Produktion ausgelagert wird?

Wimmer: Nein, natürlich nicht. Aber wenn sie Unternehmer fragen, wie es in Zukunft wird, werden sie immer sagen, es wird alles schlechter. Die Industrie rationalisiert mit oder ohne uns. Auch wenn wir auf alles verzichten würden, wird rationalisiert. Die Gier ist ein Hund! Im Zeitraum 2019 bis 2021 wurden rund 6.000 Stellen in der Metallindustrie wegrationalisiert, obwohl der Produktionswert um fünf Milliarden Euro gestiegen ist. Das heißt, wir produzieren heute mit weniger Leuten mehr Waren und Güter. Wir können das nicht beeinflussen, wir können nicht anschaffen, dass mehr Industrie stattfindet. Aber Österreich würde ohne Industrie ärmer, weil die Kaufkraft von guten Arbeitsplätzen in der Industrie abhängt. Vom Tourismus und Nägel-Maniküren allein werden wir auf Dauer nicht leben können. Europa hat sich das Ziel gesetzt, die Industrialisierung voranzutreiben und Österreich ist im Maschinenbau, im Hightech-Bereich und vielen Nischen relativ gut unterwegs, wenngleich wir in manchen traditionellen Industriebereichen Rückgänge verzeichnen.

Johannes Collini (rechts) vom gleichnamigen Metallveredler gilt als hartes Gegenüber von Metallerchef Rainer Wimmer.
Foto: APA / Franz Neumayr

STANDARD: Sie sagen, Abwanderung passiert sowieso, egal was wir bei den Lohnverhandlungen fordern. Sie helfen so bei der Deindustrialisierung mit …

Wimmer: Frau Unternehmerin Ungerboeck, das ist genau die Argumentation der Arbeitgeber (lacht). Genau das wirft uns die Industrie vor. Die Entscheidung, ob Magna nach Slowenien geht oder Engel in Tschechien produziert – da wird doch kein Betriebsrat gefragt, das findet jedenfalls statt! Die Inflation ist enorm hoch, aber der Regierung fällt nichts anderes ein als Gutscheine und Preisbremsen, die nicht funktionieren. Die Gewinne der Energiekonzerne sind unanständig hoch und gehören abgeschöpft. Aber schnell. Wenn es nächstes Jahr hart auf hart geht und Kurzarbeit kommt, werden die Leute ihre Energierechnungen nicht mehr zahlen können. Darum muss der wirtschaftlich Stärkere mehr Verantwortung übernehmen, denn die Unternehmen haben gut verdient. Elf Milliarden Euro wurden in den vergangenen fünf Jahren ausgeschüttet.

STANDARD: Diese elf Milliarden sind jetzt wieder die Zahlen der gesamten Metallindustrie. Damit können Sie doch nicht in der Metalltechnischen Industrie argumentieren. Diese Globalrunde gibt es nicht mehr …

Wimmer: Ja, es gibt Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen, aber selbst innerhalb einer Branche gibt es teilweise große Unterschiede, auch beim Anteil der Personalkosten am Umsatz. Aber wir brauchen eine Gesamtbetrachtung der Metallindustrie. Es ist naiv zu glauben, dass uns die Unternehmen freiwillig höhere Lohnerhöhungen geben, wenn sie gut verdient haben. Also müssen wir Druck machen, sonst sitzen wir ewig und es kommt doch nichts heraus. Erst, wenn der Druck steigt, wenn wir in die Betriebe gehen und Versammlungen machen, bewegt sich etwas. Deshalb halten wir am 2. November unsere große bundesweite Betriebsräte-Konferenz ab, da werden die Kampfmaßnahmen im Detail beschlossen. Falls nichts weitergeht, gibt es ab 7. November Warnstreiks.

STANDARD: Es ist aber keine Erfindung oder Schwarzmalerei, wenn davor gewarnt wird, dass sich die hohe Inflation verfestigt und hohe Abschlüsse an Wert verlieren, weil die Kaufkraft sinkt. Nehmen Sie das in Ihrem letzten Jahr als Metallgewerkschaftschef billigend in Kauf?

Wimmer: Keineswegs. Es geht uns um Nachhaltigkeit und soziale Absicherung, Einmalzahlungen verpuffen, eine prozentuelle Erhöhung stärkt die Kaufkraft langfristig, dadurch erhöhen sich zum Beispiel das Weihnachts- und Urlaubsgeld.

STANDARD: Saftige Einmalzahlungen decken die Inflation auch ab, und die Leute sind mündig genug, Geld auf die Seite zu legen. So günstig wie heuer, nämlich als steuerfreie Prämie, gibt es Einmalzahlungen nicht so bald wieder. Sollte man da nicht beherzt zugreifen, weil es brutto für netto ist?

Wimmer: Aber nicht statt einer strukturellen Erhöhung, sondern obendrauf. Ohne prozentuelle Erhöhung summieren sich die Verluste für einen durchschnittlichen Metallarbeiter in zwanzig Jahren auf 66.000 Euro. Wir brauchen neben Ist-Lohnerhöhungen auch eine Erhöhung der Mindestlohntabelle, denn sonst bekämen tausende Zeitarbeiter in der Autoindustrie nichts.

STANDARD: Abstufungen gemäß Wirtschaftslage können sinnvoll sein. Die Sozialpartner haben in Krisensituationen immer vernünftige Lösungen gefunden. Nächstes Jahr wird die zurückliegende Inflation bei zehn Prozent liegen, wenn es so weitergeht …

Wimmer: Das ist ein Thema für die Lohnrunde nächstes Jahr, da werden sie uns präsentieren, wie es aussieht. Und die Regierung wird auch etwas tun müssen. Unsere Betriebe büßen Wettbewerbsfähigkeit ein, weil anderswo der Gaspreis niedriger ist. In Spanien geht der Gaspreisdeckel, aber bei uns soll das nicht funktionieren. Das glaubt keiner mehr. (Luise Ungerboeck, 31.10.2022)