Stürmische Zeiten im Twitter-HQ in San Francisco, Kalifornien.

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Kein Tag vergeht derzeit ohne Berichtenswertes aus dem Twitter-Hauptquartier in San Francisco. Mehr und mehr wird klar: Die Social-Media-Plattform wird sich unter der Leitung von Neo-CEO Elon Musk von Grund auf verändern. Vor allem Musks Pläne, neue Geldquellen für das Unternehmen aufzutun, dürften noch deutlich über das bisher Bekannte hinausgehen. Und: Auf die Massenentlassungen vom Freitag folgte ein chaotisches Wochenende für Twitter.

Eine Paywall für ganz Twitter?

Nach Informationen des renommierten Silicon-Valley-Journalisten Casey Newton denkt Musk offen darüber nach, Twitter für alle User kostenpflichtig zu machen. Newton zitiert eine "mit der Angelegenheit vertraute" Person, die die Information gegeben hat, dass ein aktuell diskutiertes Modell eine limitierte kostenlose Nutzungsdauer pro Monat vorsieht. Wer diese Zeit aufgebraucht hat, könnte dann keine Beiträge mehr lesen, ohne ein Abo für den kostenpflichtigen Dienst Twitter Blue abzuschließen.

Elon Musk legt derzeit besonderen Fokus auf die Weiterentwicklung dieses Dienstes und befindet sich nach Informationen von Newton im ständigen Austausch mit der für Blue zuständigen Produktmanagerin Esther Crawford. Doch damit nicht genug: Ein geleaktes Meeting-Protokoll zitiert Musk offenbar mit "Es gibt einen Entscheidungsträger, und das bin ich". Angefügt ist ein Kommentar: Der CEO will über Twitter Blue bis ins kleinste Detail auf dem Laufenden gehalten werden.

Chaos bei Blue-Start am Wochenende

Dieser Fokus auf neue Formen der Monetarisierung und den Bezahldienst Twitter Blue ist kein Wunder. Mit Musks Übernahme nahm Twitter Inc. neue Kredite in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar auf, was das Unternehmen nun jährlich mit einer Milliarde Dollar an zusätzlichen Zinsen belastet. Auf der anderen Seite machte Twitter bisher kaum Profite. Das will – und muss – Elon Musk nun ändern.

Hinter vorgehaltener Hand fragen sich jedoch laut Casey Newton so manche der verbliebenen Angestellten, ob Musk und sein Team überhaupt wissen, was sie tun. Musks Pläne, Blue-Usern nur noch halb so viel Werbung anzuzeigen, könnten laut Newton vorliegenden internen Schätzungen zu derart großen Einbußen bei den Werbeeinnahmen führen, dass das Abo-Modell nur ein weiteres Verlustgeschäft für das Unternehmen werden würde.

Sinnvoll hin oder her – Musk verlangte Tempo bei der Weiterentwicklung von Twitter Blue und drohte Angestellten mit der Kündigung, falls die neue Version des Dienstes nicht bis Ende letzter Woche fertig werden würde. Am vergangenen Freitag folgte dann eine große Entlassungswelle – und ein chaotisches Wochenende in San Francisco.

Am Samstag wurde schließlich ein Update der Twitter-App ausgerollt, laut Versionshinweisen schon mit dem neu aufgestellten Twitter Blue. Dieses soll nun, wie berichtet, knapp acht Dollar monatlich kosten. User, die sich nun für den Dienst anmelden, sollen Zugang zum neuen Verifizierungsmodell erhalten, "halb so viel und bessere" Werbung angezeigt bekommen und längere Videos posten können. Außerdem sollen die Posts von Blue-Profilen vom Twitter-Algorithmus vorgereiht werden. Das Problem dabei: User in einem der unterstützten Länder (USA, Kanada, Neuseeland, Großbritannien), die nach dem App-Update ein Blue-Abo abschlossen, bekamen nach wie vor nur Zugang zur alten Version des Bezahldienstes.

Interne Kritik an neuer "Verifizierung", Blue-Release nun doch verschoben

Wie die "New York Times" berichtet, ruderte Twitter mittlerweile zurück und verschob den Start der neuen Blue-Funktionen. Am Wochenende hatte es unternehmensintern Kritik am neuen Verifizierungsmodell gegeben: Aus einem "Slack"-Channel zitiert die "Times" etwa die Frage einer Twitter-Angestellten, wieso eine "derart riskante Änderung, die das Potenzial hätte, die Wahlen zu beeinflussen", unmittelbar vor den Midterms eingeführt werde.

Am Sonntag antwortete ein Manager, der Rollout der neuen Funktionen würde auf "den neunten November, nach den Wahlen" verschoben. (Jonas Heitzer, 8.11.2022)