Wir lassen Wortinterviews, also solche, die in "Frage" und "Antwort" gegliedert sind, von den Interviewpartnern autorisieren – sofern diese das wünschen.

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Im Transparenzblog "So sind wir" berichtet die STANDARD-Redaktion über die eigene Arbeitsweise. Nach welchen medienethischen Grundregeln handeln wir? Aus welchen Fehlern lernen wir? Wir machen unsere Selbstreflexion öffentlich.

Ein ÖVP-Landeshauptmann lässt über seinen Sprecher ausrichten, dass er für die Gesamtschule eintrete. Ob man Interesse an einem Interview hätte? Natürlich, lautet die Antwort des innenpolitischen Ressorts. Immerhin ist es nicht alltäglich, dass ein konservativer Spitzenpolitiker für ein Projekt eintritt, das in Österreich als "linke" Bildungspolitik gilt. Der Pressesprecher freut sich und mailt drei Zitate des Politikers, mit der Bemerkung: "Daraus könnt ihr ein Interview stricken." Wir lehnen kategorisch ab, der Landeshauptmann gibt am Ende doch ein "richtiges" Interview.

Ein Historiker gibt ein Telefoninterview. Es ist ein lebhaftes Gespräch, am Ende ersucht er, ob er das verschriftlichte Interview noch einmal sehen dürfe. Der Bitte wird entsprochen. Er schickt das Interview an die Redaktion zurück, übersät mit roten Anmerkungen, teils vollständigen Veränderungen – nicht nur der Antworten. Sogar die Fragen schrieb der fleißige Forscher um. Es dauert einige Tage, bis er versteht: So geht's nicht.

Das muss auch ein Spitzenpolitiker akzeptieren, der plötzlich darum ersucht, auch Titel, Untertitel und den Vorspann seines Interviews sehen zu dürfen. Machen wir nicht.

Letztentscheidung der Redaktion

Die genannten Ereignisse sind tatsächlich eingetreten, Kolleginnen und Kollegen können sich bis heute daran erinnern. DER STANDARD hat in all diesen Fällen nicht nachgegeben und auf seine redaktionelle Unabhängigkeit und die Letztentscheidung der Redaktion gepocht.

Was DER STANDARD gemacht hat und weiter macht: Wir lassen Wortinterviews, also solche, die in "Frage" und "Antwort" gegliedert sind, von den Interviewpartnern autorisieren – sofern diese das wünschen. Das ist im deutschsprachigen Raum üblich, auch Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung und Die Zeit handhaben das so.

Warum autorisieren wir?

Wortinterviews werden nie in verschriftlichter Form wiedergegeben. Langatmige Antworten und ausgedehnte Passagen werden gestrafft und im Sinnzusammenhang gekürzt. Manchmal werden auch Antworten an eine andere Stelle platziert, als sie im Gesprächsverlauf fielen. Das nennt man Redigieren – es ist Aufgabe der Redaktion, das Interview im Sinne der Leserinnen und Leser verständlich und gut lesbar zu machen.

Das genau ist freilich oft der strittige Punkt: Stimmen Sinn und Inhalt des Interviews noch? Wurde das Gegenüber richtig verstanden? Ändert sich die (Kern)Aussage eines Interviews durch verkürzte Wiedergabe?

Das sind die Gründe, warum Autorisierungen Sinn machen. Freilich unter bestimmten, strengen Bedingungen, die auch der Deutsche Journalistenverband in seiner Richtlinie aus dem Jahr 2019 empfiehlt: Autorisierungen hätten "der sachlichen Korrektheit, der Sinnwahrung und sprachlichen Klarheit" zu dienen. Und weiter: "Änderungen müssen sich darauf beschränken." Das bedeutet weiters: Titel, Einleitung, aber auch die für die Publikation vorgesehenen Fotos werden nicht zur Autorisierung geschickt.

Die Sache mit den Zitaten

Mitunter werden auch Zitate in unseren Geschichten autorisiert. Zitierungen sind grundsätzlich eine heikle Angelegenheit, hier gehen wir im Sinne des Ehrenkodex für die österreichische Presse vor, in dem es im Kapitel "Genauigkeit" heißt: "Durch Anführungszeichen gekennzeichnete Zitate müssen so weit wie möglich den Wortlaut wiedergeben. Eine lediglich sinngemäße Wiedergabe darf nicht unter Anführungszeichen gesetzt werden. Anonyme Zitierungen sind zu vermeiden, sofern es nicht um die Sicherheit der zitierten Person oder die Abwehr eines anderen schweren Schadens von dieser geht."

Für uns bedeutet das: Wir lassen Zitate etwa dann autorisieren, wenn unsere Gesprächspartnerin fürchtet, dass das, was sie uns am Telefon gesagt hat, in einem bestimmten Kontext vielleicht anders klingen könnte, als es gemeint war, weil die Aussage missverständlich sein könnte; oder weil unser Gesprächspartner einen komplizierten fachlichen Zusammenhang erklärt – und wir uns selbst nicht sicher sind, ob wir ihn richtig verstanden haben. In dem Zusammenhang kann es sogar sinnvoll sein, ein wenig Kontext, also Text rund um das bewusste Zitat, mitzuschicken. Dies tun wir vor allem im Rahmen unserer Wissenschafts- und Gesundheitsberichterstattung: Wir bemühen uns um größtmögliche wissenschaftliche Genauigkeit.

Für den STANDARD ein No-Go: Wir schicken nie den gesamten Text zur "Autorisierung", weder an Pressesprecher noch an Anwälte oder an die handelnden Personen unserer Berichterstattung.

Wie funktioniert Autorisierung?

Die Journalistin, der Journalist schickt das transkribierte Interview, also jenen Textteil, der Fragen und Antworten umfasst, an die interviewte Person beziehungsweise deren Sprecherin oder Sprecher, mit dem Ersuchen, dies bis zu einer bestimmten Deadline anzusehen. Das Interview oder die Zitate werden zurückgeschickt, mit der Bitte, gewisse Formulierungen zu verändern.

Hier beginnt der Graubereich jeder Autorisierung: Was ist noch okay, und wo werden Grenzen überschritten? Was sind berechtigte Einwände der Interviewten, und wo wird's schlicht unverschämt?

Vor allem im Bereich der politischen oder der Wirtschaftsberichterstattung sind die diesbezüglichen "Verhandlungen" zwischen Interviewern und Interviewten durchaus hart. Zwei oft auftretende Argumente der Interviewten:

  • "Das habe ich nicht gesagt" – stimmt das? Die Aufnahme des Gesprächs (zumeist erfolgt sie via Smartphone) wird nochmals konsultiert. Das wurde so gesagt. Vielleicht hat es der Inteviewte im Gesprächsverlauf nicht so gemeint – dann reden wir darüber, wie er es gemeint haben könnte.
  • "Das möchte ich noch gerne dazuschreiben." Hier wird es problematisch. Was nicht in der Interviewsituation gesagt wurde, kann nicht nachträglich eingefügt werden. Ausnahmen bestätigen die Regel: Mitunter liegen zwischen Interviewführung und Publikation einige Tage, in der Zwischenzeit haben sich gewisse, für das Gespräch relevante, Ereignisse ergeben, es ist im Sinne der Leserinnen und Leser, hier noch etwas zu ergänzen. (Petra Stuiber, 8.11.2022)