Wladimir Putin hat die Schlacht um Kiew verloren. Er hat die Schlacht um Charkiw und Isjum verloren. Und nun hat er auch noch die Schlacht um Cherson verloren, bevor sie überhaupt erst richtig losgegangen ist. Seine russischen Besatzungstruppen wurden von der herannahenden ukrainischen Gegenoffensive zur Flucht gezwungen. Putin war wieder einmal zu feige, diese krachende Niederlage selbst zu verkünden. Wieder einmal musste sein Verteidigungsminister ausrücken, um den Rückzug aus ausgerechnet jener Stadt zu verkünden, in der man zu Beginn des gescheiterten Eroberungsfeldzugs Banner aufhängen ließ, auf denen Cherson als für immer russisch bezeichnet wurde. Zum Glück wurde daraus nicht einmal ein Jahr.

Russische Truppen in Cherson ziehen sich hinter den Dnjepr zurück.

Doch von Glück können die Bewohnerinnen und Bewohner Chersons ansonsten nicht reden. Die Stadt dürfte quasi menschenleer sein. Wer nicht verhaftet, niedergebombt oder erschossen wurde, wurde auf russisch-besetztes Territorium verschleppt – auf das linke Ufer in Fließrichtung des Dnjepr. Genau dahin fliehen jetzt auch Putins Schergen.

Knapp 30.000 Mann zieht die russische Armee nun hinter den Dnjepr zurück. Es ist eine strategische Niederlage, weil sich Moskau die Eroberung Odessas und damit die Abnabelung der Ukraine vom Schwarzen Meer quasi abschminken kann. Eine strategische Niederlage ist es auch deshalb, weil die ukrainischen Verteidigerinnen und Verteidiger sowie ihre Verbündeten sehen, dass die Waffenlieferungen offensichtlich doch die gewünschten Erfolge erzielen können – und außerdem, weil dadurch die auf die russisch besetzte Krim führenden Versorgungslinien sowie jene, die von dort kommen, leichter unter Beschuss geraten können.

Niederlage

Und dennoch war es aus russischer Sicht strategisch wahrscheinlich schlau, diesen Schritt zu setzen, weil die Alternative aller Wahrscheinlichkeit nach wohl nur eine militärische Niederlage in der Schlacht um Cherson gewesen wäre.

Eine solche wäre für Wladimir Putin innenpolitisch noch fataler gewesen. Er sitzt freilich noch immer relativ solide im Sattel – fast 100.000 toten und verletzten Soldaten zum Trotz. Aber wenn auf Niederlage nur mehr Niederlage folgt, kommt irgendwann jedes Regime ins Wanken. Deshalb also erstmal ein Rückzug, bevor der Winter die Ukraine vollends in seinen Griff nimmt.

Am Ostufer wurden die russischen Defensivstellungen bereits ordentlich ausgebaut. Ein paar Artilleriegeschoße werden dort hineinprasseln, mit ukrainischen Soldaten ist aber wohl nicht zu rechnen – nicht zuletzt weil man mit der Sprengung von Brücken vorgesorgt hat und abziehende Russen wohl noch nachhelfen werden.

Eine breite Wasserstraße, wie sie der Dnjepr darstellt, gilt als ungemein schwierig zu überwinden – nichts, was man in einem schlammigen Winter ohne Lufthoheit – denn eine solche hat die Ukraine nicht – machen sollte.

Die Ukraine hat Putin also dazu gezwungen, zumindest aus militärischer Sicht ausnahmsweise das Richtige zu machen. Womöglich trägt das dazu bei, dass sich interne Putin-Kritiker vorerst weiterhin zurückhalten und der Krieg sogar verlängert wird.

Das einzig Richtige bliebe am Ende aber freilich immer noch der komplette Rückzug Russlands aus der Ukraine. Vielleicht kann Putin aber auch dazu noch gezwungen werden. (Fabian Sommavilla, 10.11.2022)