Ladenöffnungszeiten bleiben ein Reizthema. Vor allem über die Heiligkeit des freien Sonntag lässt sich trefflich streiten.

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Wien – "Öffnest du am Sonntag nur eines von deinen Toren, wirst du in der Hölle schmoren." So ganz ernst hat sich Richard Lugner selbst nie genommen. Was den offenen Einkaufssonntag betrifft, so lässt der 90-jährige Unternehmer jedoch nicht locker. Wie alle Jahre wieder vor Weihnachten sitzt Lugner im Saal Nummer zehn seines Kinocenters vor einer riesigen bunten Karikatur. Auf der Leinwand prangen ein feister Gewerkschafter und ein schelmisch grinsender Pfarrer, die dem etwas jugendlicheren Abbild seiner selbst den Zutritt in den Handel vor runtergelassenen grauen Rollbalken verwehren.

Zweimal ist der Einkaufscenterbetreiber mit seinem Ansinnen, den einkaufsfreien Sonntag zu kippen, vor dem Verfassungsgerichtshof gescheitert. Nun will er es, wenn sonst gar nichts mehr geht, ein drittes Mal versuchen. Wenngleich er sich diesmal auf einen Sonntag im Jahr beschränkt – nämlich den vierten vor Weihnachten. Und zugleich für eine Stunde längeres Offenhalten an den Adventsamstagen kämpft.

Dass er dafür einen Verfassungsprofi brauche, sei ihm schon klar, sagt er und versichert, dass er erst einmal das Gespräch mit allen Beteiligten suchen wolle, vom Wiener Bürgermeister bis zum Wirtschaftsminister.

"Welt hat sich weitergedreht"

Seit Jahren sei rund um liberalere Öffnungszeiten hierzulande Stillstand, poltert Lugner. "Die Welt hat sich derweil weitergedreht, und der Gesetzgeber hat es nicht kapiert." Gerade vor Weihnachten erziele der Einzelhandel 50 Prozent höhere Umsätze. Doch statt diese zu nützen, schmeiße man die Kunden an Samstagen um 18 Uhr aus den Geschäften. In vielen anderen Ländern hätten die Unternehmer hier weitaus freiere Hand. In Österreich aber gebe es für sie an den Sozialpartnern und der Politik kein Vorbei.

Im Vorjahr sprang die Gewerkschaft erstmals über ihren Schatten und vereinbarte mit den Arbeitgebern einen offenen Sonntag im Dezember. Anstoß dafür war das kürzeste Weihnachtsgeschäft in der Geschichte des österreichischen Handels. Zudem hatte ihn der Lockdown während der Pandemie um den 8. Dezember als stärksten Einkaufstag gebracht. Für die Geschäfte wie auch ihre Mitarbeiter zählten daher jeder Euro mehr Umsatz und Gehalt.

Gebracht hat es unterm Strich finanziell nicht viel. Der Handel gab die Schuld an den mauen Umsätzen am Sonntag der vielerorts noch geschlossenen Gastronomie. Auch Supermärkte durften nicht öffnen.

Schwache Kaufkraft

Dass dieses Modell in die Verlängerung geht, schließt die Gewerkschaft aus: 2021 sei ein Ausnahmejahr gewesen. Erneut am Sonntag zu rütteln komme nicht infrage. An Rückendeckung fehlt es Lugner heuer allerdings auch in den eigenen Reihen. Manch ein Händler und da und dort auch Shoppingcenter drehten zwar an der Uhr – jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Sie reduzierten ihre Öffnungszeiten leicht, um die davongaloppierenden Energiekosten und den wachsenden Personalmangel abzufedern.

"Eine Sonntagsöffnung ist dieses Jahr einfach nicht drin. Das gibt die schwache Kaufkraft nicht her", sagt Rainer Will, Chef des Handelsverbands, dem STANDARD. Teure Energie stelle die Betriebe vor enorme Herausforderungen. Für 2023 zeichneten sich für den Einzelhandel Mehrkosten von insgesamt rund 486 Millionen Euro ab. Und "trotz Überzahlung" fehlten ihm Mitarbeiter. "Der Handel kann sich Konditionen für einen offenen Sonntag nicht leisten." Dafür brauche es erst eine Reform des Rahmenrechts, sprich geringere Zuschläge für die Arbeit an Feiertagen.

Angst vor Pönalen

Das Weihnachtsgeschäft gehöre gut genützt, betont Will. Für die Zeit danach sieht seine Branche, was die Ladenöffnung betrifft, aber Handlungsbedarf. Allerdings ganz anderen, als es Lugner vorschwebt.Statt bis 20 und 21 Uhr wollen viele Händler in Einkaufszentren nur noch bis 18.30 Uhr oder 19 Uhr aufsperren. Derzeit drohen ihnen dafür noch Pönalen. Will appelliert an die Shoppingcenter-Betreiber, die Kernbetriebspflichten 2023 nach den Ferien temporär zu verkürzen.

Das Thema birgt Zündstoff – lassen sich die Interessen des in sich heterogenen Handels doch schwer unter einen Hut bringen. Einkaufscenter-Betreiber, die am Umsatz ihrer Mieter, nicht aber an ihren Kosten beteiligt sind, erinnern dabei gerne an niemals schlafende internationale Onlineriesen.

Ehe sich Lösungen für die Ladenöffnung finden, muss sich der Handel auf neue Löhne und Gehälter einigen. Am Donnerstag setzten sich die Sozialpartner dafür erneut an einen Tisch. Ihre Vorstellungen klafften jedoch noch weit auseinander. Noch ist unklar, wie weit sie sich annäherten. (Verena Kainrath, 10.11.2022)