Seit September müssen sich drei junge Afghanen vor Gericht dafür verantworten, die 13-jährige Leonie W. mit Drogen gefügig gemacht und sie anschließend vergewaltigt zu haben – mit Todesfolge.

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Ein junges Mädchen, das mit Ecstasy in einer fremden Wohnung gefügig gemacht und vergewaltigt wird: Was einer Elfjährigen vor einer Woche in Wien zugestoßen sein soll, erinnert stark an den Fall der kaum älter gewordenen Leonie W. Sie sollte eine Nacht im Juni 2021 nicht überleben.

Drei Afghanen sitzen deshalb seit September vor Gericht. Den jungen Männern wird vorgeworfen, Leonie W. eine dreifach tödliche Dosis Ecstasy in ein Getränk gemischt zu haben, ehe es schwer sexuell missbraucht worden sei. Beim zuletzt bekannt gewordenen Vorfall in Wien, bei dem auch die sexuelle Selbstbestimmung einer 14-Jährigen verletzt worden sein dürfte, konnten beiden Mädchen aus der Wohnung flüchten.

Die beiden Causen verbindet aber auch ein weiteres Element: Die Männer filmten mit ihren Smartphones Ausschnitte der mutmaßlichen Tat. Das ist vor allem deshalb interessant, weil sie damit ein durchaus starkes Beweismittel gegen sich selbst angefertigt haben könnten. Im laufenden Prozess um die getötete 13-jährige Leonie W. geht es um einen kurzen Mitschnitt. In der Szene ist zwar keine explizite Vergewaltigungshandlung zu sehen – allerdings ein nacktes Opfer, das sich bereits im Todeskampf befunden habe, wie es hieß, und ein leicht bekleideter Angeklagter.

"Wenn ich so etwas filme, kann das durchaus Rückschlüsse auf eine mutmaßliche Unfreiwilligkeit des Opfers zulassen", sagt Alois Birklbauer, einer der Leiter des Kriminologie-Zentrums der JKU Linz. "Denn warum filmen Täter so etwas? Es geht ihnen darum, das Opfer zu demütigen, das Video ist eine Art Trophäe."

"Diese Art von Brutalität, das kennt man"

Das sieht auch die Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Adelheid Kastner so. Von der Selbstdokumentation der Täter ist sie aber nicht überrascht. "Heute filmen Leute alles, was sie tun", sagt Kastner. "Vermutlich hat es in den konkreten Fällen auch damit zu tun, dass Männer damit ihre eigene 'Potenz' dokumentieren wollen. Nach dem Motto: Was man sich nicht alles traut. Ich glaube, es geht dabei häufig um das Angeben vor einer Gruppe von Gleichgesinnten, die das ebenfalls super finden."

Dass Frauen unter Drogen gesetzt und vergewaltigt werden, sei allerdings alles andere als ein neues Phänomen. "Diese Art von Brutalität, die Männer in einem Rudel demonstrieren wollen, das kennt man", sagt Kastner. "Neu ist nur, dass mitgefilmt wird."

Ob das mittlerweile System hat, lässt sich seriös nicht beantworten. Dazu existiert keine valide Forschung. Auch die Wiener Polizei kann auf Nachfrage nicht sagen, ob es heutzutage öfter vorkommt, dass Vergewaltiger ihr Verbrechen zusätzlich aufnehmen. Für solche Beobachtungen existiert schlicht keine detaillierte Statistik.

Kastner geht allerdings davon aus, dass man künftig wohl noch öfter von diesen Praktiken hören wird: "Wir werden noch einige solcher Fälle erleben, wo Mädchen Drogen nachlaufen und Burschen das im Rudel zum Anlass nehmen, die Konsequenz daraus mehr oder weniger dramatisch ist und dabei auch Filme produziert werden."

Versuchte "Drogengeschenke" an Wiener Hotspots

Dass junge Erwachsene teilweise nicht davor zurückschrecken, selbst auf öffentlichen Plätzen jugendliche Mädchen mit Drogen sexuell gefügig zu machen, thematisierte auch die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) in ihrem Jahresbericht 2021. Dieser erschien im Juni dieses Jahres.

In einem Kapitel des Berichts wird darauf Bezug genommen, dass mit der Corona-Pandemie junge Leute vermehrt auf Hotspots im öffentlichen Raum ausgewichen sind, um sich zu treffen und zu feiern. Um Konflikte zwischen Jugendlichen und der Polizei zu vermeiden, hat die Stadt Wien in den Sommermonaten sogenannte "Awareness-Teams" an belebte urbane Orte geschickt. Diese sollten "bei Bedarf deeskalierend und vermittelnd eingreifen".

Im Zuge des Einsatzes wurden etwa der Donaukanal, der Stadtpark, der Karlsplatz, der Platz zwischen Kunsthistorischem und Naturhistorischem Museum und der Votivpark besucht. "Das Alter der Zielgruppe variierte, sogar unmündige Minderjährige zwischen sieben und 14 waren dabei", hieß es im Bericht. "Manche Personen hatten das Jugendalter überschritten. So konnten junge erwachsene Männer (im Alter von 20 bis 30 Jahren) beobachtet werden, die versuchten, jugendliche Mädchen mit Drogengeschenken sexuell gefügig zu machen."

Die Awareness-Teams seien teilweise aber auch abseits dieser Hotspots verständigt worden – "zum Beispiel als stark alkoholisierte Mädchen in der Innenstadt Unterstützung anforderten, weil ihnen Unbekannte die (vermeintlich) sichere Begleitung nach Hause angeboten hatten". Das Unterstützungsangebot sei besonders stark von vulnerablen Gruppen angenommen worden. Die KJA listete etwa die Gruppe der Zwölf- bis 18-Jährigen auf, die "nach übermäßigem Alkoholkonsum oder der Einnahme anderer Substanzen in ihrer Handlungsfähigkeit zeitweise stark eingeschränkt waren". Bei anderen Gruppen waren auch Rassismus und Diskriminierung Thema.

Drei Awareness-Teams mit je vier Personen waren im Auftrag der MA 13 (Bildung und Jugend) im Vorjahr von Mitte Juni bis Ende Juli in Wien im Einsatz. 2022 waren vier Teams zu je vier Personen von 23. Juni bis 18. September an den Wochenenden und vor Feiertagen unterwegs. (David Krutzler, Jan Michael Marchart, 18.11.2022)