Glück ist ein großes Wort. Wenn das komplexe Menschlein des 21. Jahrhunderts – jenes, das in den privilegierten Teil der Welt hineingeboren ist, in dem es um die Nahrungszufuhr nicht bangen muss – beim Essen allzu viel Glück verspürt, dann ist meist das schlechte Gewissen nicht weit. Oder zumindest die Reflexion darüber, was es da tut und empfindet und warum das der Fall ist. Und das war’s dann auch schon wieder mit dem Glück. Dem Glück beim Essen folgt meist die Trübung auf dem Fuße. Wozu haben wir uns Neurosen angezüchtet?

Fett und Zucker

Nennen wir es also lieber satte Freude, Befriedigung – oder auch Stillung der Gier. Regelmäßig bekomme ich Fotos von einem Freundespaar, das sich mit den Fleischbergen, die es zu verschlingen anhebt, abbildet, gern auch mit dem Knochenhaufen danach. Schriebe ich hier von "Glück", das sie dabei empfinden – was sie vielleicht sogar so benennen würden –, dann wäre sicher sofort die Hölle los. Aber das ist sie ja ohnehin, werden Sie antworten, nämlich die von furzenden Rindviechern bevölkerte Klimahölle, die nicht zwischen Fleischfressern und Veganerinnen unterscheiden wird. Nein, eh nicht lustig. Trotzdem ist für manche Menschen Fleisch – und für manche davon viel Fleisch – der allerhöchste Genuss.

Manch ein Gericht wirkt wie eine Zeitmaschine und bringt einen direkt zurück in die Kindheit.
Foto: Tobias Burger

Dennoch, ziemlich sicher werden die meisten Menschen auf die Frage, welches Essen sie glücklich, glücklicher, am glücklichsten macht, gedanklich in eine andere Richtung schweifen. Die Neurobiologie ist ein Hund. Es ist kein Geheimnis: Die Glückshormone – Serotonin, Dopamin, Oxytocin, Noradrenalin, Phenethylamin, Endorphine und wie sie alle heißen – verstecken sich vor allem in fetten und süßen oder zumindest kalorienreichen Nahrungsmitteln. Jenen, die besonders rar waren, als wir noch als fröhliche Heiden und Heidinnen im Wienerwald umhertollten. Dickes Schokoladeeis war nicht an jedem Eck zu haben, die Cremeschnitte war noch nicht erfunden.

Hat die Evolution recht?

Nicht nur in diesem Punkt ist unsere Entwicklung offenbar zu flott vonstattengegangen, unsere Anpassung an die neuen Lebensumstände, wo wir nicht jeder Energiequelle nachjagen müssen, suboptimal geblieben. Aber wer weiß, vielleicht hat ja die Evolution recht, und unser derzeitiges Dasein wie die Maden im Speck ist zeitgeschichtlich bald wieder einmal vorbei.

Die Made im Speck – der Prototyp des glücklichen Essers, von keinem eingelernten Bedürfnis geplagt, Vitamine oder Ballaststoffe zu sich zu nehmen. Folgt man diesem Gedanken – und er ist nicht ganz abwegig –, dann ist glücklichmachendes Essen ein sicherer Pfad zur Regression. Wenn wir ihn nicht öfter beschreiten, dann deshalb, weil wir uns nicht nur als Menschheit, sondern auch individuell zivilisatorisch entwickelt haben.

Wohlfühlessen bei Oma

Zumindest ist das die optimistische Arbeitshypothese. Ein Beispiel: In meiner Kindheit – die ich in einem Klosterinternat verbrachte, in dem ich kulinarisch auf Jahre hinaus beschädigt wurde – machte meine Großmutter eine Süßspeise, die sich "Nussnudeln mit Schneehaube" nannte. Das waren mit Nüssen und Honig und was auch immer abgemischte Fritatten, die in eine – ich bin sicher, schwerstens gebutterte und gebröselte – Form geschaufelt und mit einer dicken Eierschneehaube bedeckt und gebacken wurden. Fürwahr süße Erinnerungen. Aber nie und nimmer käme ich auf die Idee, dieses Gericht heute zu mir nehmen zu wollen. Ich mag so etwas nicht. Die Möglichkeit, mich in eine – ohnehin fiktive – Welt der familiären Geborgenheit und unschuldigen Wärme zurückzufressen, bleibt mir verschlossen.

Glauben Sie mir, ich schwindle Sie nicht an, der kulinarische Weg, den ich genommen habe – den der Gansleber (selbstredend ungestopft, seit Jahren) und des Champagners –, ist ja auch nicht empfehlenswerter. Noch dazu teurer. Allerdings gibt es sehr wohl Esser und Esserinnen, die ihre kulinarische Regression zu Kleinkindern offen ausleben: Dazu rechne ich etwa jene, die gerne Schwedenbomben konsumieren, möge Gott mir beistehen (es wird sich bald herausstellen, wer mir böser ist, die Schwedenbombenkonsumentinnen oder die Veganer: Oder sind Schwedenbomben vielleicht sogar vegan?).

Kaum etwas tröstet mehr und ist wohliger als Pasta, wie hier eine saftige Lasagne.
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Ein Teller Pasta

Lasst uns doch alle bei einem Teller Nudeln wieder zusammenfinden! Die sind zwar nicht süß, aber wie gesagt, Kohlehydrate sind auch etwas Tröstliches. Es gibt tatsächlich wohl wenig Menschen, die keine Pasta mögen. Pizza und Risotto, die ebenfalls immer wieder als glückshormontriggernde Speisen genannt werden, sind komplizierter, dem einen zu viel Teig, der anderen zu viel feuchtes Schwappen. Aber ein Teller Pasta, da kann sich jeder finden, da ist alles möglich, von einer üppigen Bolognese über eine immerhin politisch korrekte Bioeier-Carbonara mit Pancetta vom glücklichen Schwein, all die herrlichen Sughi mit Meeresgetier (nein, nicht jetzt mit der Überfischung und der Problematik der Fischzucht anfangen) bis zu den hundert Sorten Gemüse, denen die Gottesgabe Olivenöl – also das muss schon sein, sonst wird’s nichts mit dem Glück – auf die Sprünge hilft.

Ja, das Schnitzi, das es früher nur am Sonntag gab, kann es auch sein. Oder aber das Erdäpfelgulasch, von mir aus auch mit hineingeschnittener Braunschweiger. Angelernt, aber nachhaltig vorhanden ist bei mir die vage Sehnsucht nach Pasta e fagioli, ein italienisches Wärme- und Trostessen, das sich vegan und durch die Bohnen dennoch eiweißreich präsentiert, aber auch mit jeder Art von Speck oder Salsiccia, äh, runder gemacht werden kann. Zum Sich-Eingraben, gatschig, Babyfood. Aber auch ein Vehikel zum Ausleben der kulinarischen Ansprüche mit zunehmendem Lebensalter. Ich sage nur: Miesmuscheln anstelle des Schweins. Oder: Hummer, Krustentiere. Regressive Progression oder umgekehrt, jedenfalls ganz nahe am Glück. (RONDO Exklusiv, Gudrun Harrer, 8.1.2023)