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Bei Depressionen können Psychopharmaka ein hilfreiches Medikament sein. Allerdings herrscht immer noch viel Unwissen zu dem Thema – Aufklärung ist daher enorm wichtig.

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An Psychopharmaka scheiden sich die Geister. Viele Menschen verwenden sie auf Verschreibung, wenn es ihnen psychisch nicht gut geht, und profitieren sehr davon. Andere lehnen jedes Medikament aus dieser Klasse kategorisch ab. Insgesamt kursiert viel Unwissen oder Halbwissen zu den Substanzen, oft dominieren in der Diskussion darüber auch diverse Mythen. Doch diese Missverständnisse schüren zugleich Ängste, vor allem bei Menschen, die darauf angewiesen sind. DER STANDARD hat deshalb ein Gesundheitsforum zum Thema Psychopharmaka initiiert. Die Psychiaterin Edda Winkler-Pjrek von der Med-Uni Wien klärt auf, wie genau Psychopharmaka wirken und wann man sie einsetzen kann, und beantwortet konkrete Fragen der Leserinnen und Leser.

Vorab gilt es eines zu klären: Spricht man von Psychopharmaka, handelt es sich dabei um eine ganze Klasse von Medikamenten. Der Begriff steht für Antidepressiva, Antipsychotika, Schlafmittel, bestimmte Antiepileptika oder Medikamente gegen Demenz. In der Alltagssprache sind mit Psychopharmaka meist Antidepressiva gemeint, die bei Depressionen oder Angststörungen eingesetzt werden. Sie sind auch jene Medikamente aus der Klasse, die am häufigsten verschrieben werden – für das Jahr 2019 etwa gibt die Sozialversicherung 6.539.900 verschriebene Dosen an.

Die große Frage, um die sich die Diskussionen drehen, ist: Was kann man prinzipiell mit Psychopharmaka erreichen? Sie beeinflussen den Stoffwechselvorgang im Gehirn und haben damit Einfluss auf die psychische Verfassung. Denn ein wichtiger Grund, warum Depressionen überhaupt entstehen, ist ein Mangel an Botenstoffen und Neurotransmittern im Gehirn, weiß Winkler-Pjrek: "Für eine Depression gibt es nicht nur eine Ursache, es ist immer eine Mischung aus verschiedenen Auslösern: beruflicher Stress etwa, private Belastungen, persönliche Verluste und mehr. Wenn die Botenstoffübertragung im Gehirn perfekt abläuft, dürfte das leichter zu verarbeiten sein, man kann sich besser selbst raushelfen aus psychischen Stimmungstälern. Sind die Neurotransmitter nicht perfekt eingestellt, gibt es die Möglichkeit, mit Medikamenten nachzuhelfen."

Wobei Psychopharmaka Probleme nicht lösen können. Aber, betont die Expertin, Psychopharmaka können die Probleme aus der subjektiven Sicht schrumpfen lassen: "Betroffene sind dann fokussierter, man kann besser erkennen, was im Moment wichtig ist für einen. In der Depression fallen einem ja nur die schlechten Sachen ein."

Deutliche mehr Offenheit

Insgesamt stellt Winkler-Pjrek viel Offenheit gegenüber den Medikamenten fest: "Vor allem die jüngere Generation ist bereits informiert und will auch gut aufgeklärt werden, ich sehe da wenig Ablehnung. Ich halte eine gute Aufklärung auch für sehr wichtig, damit Menschen frei entscheiden können, ob sie Psychopharmaka einnehmen wollen oder nicht." Denn niemand müsse dies tun, als Ärztin berate sie nur, es gibt auch andere Therapieansätze.

"Jeder Mensch bringt unterschiedliche Voraussetzungen mit, entsprechend braucht auch jeder etwas anderes. Je nach persönlichem Bedarf wird eine entsprechende Therapie vereinbart. Oft ist das auch eine Kombination aus Psychopharmaka und Gesprächstherapie. Es gibt ja auch Patienten, die sich durch eine Depression so schlecht konzentrieren können, dass es ihnen schwerfällt, einem Gespräch zu folgen. Da sind Medikamente wirklich hilfreich." Insgesamt könne man aber nichts verallgemeinern, man entscheide je nach Ausgangssituation, was die passende Behandlung ist. Und Winkler-Pjrek berichtet aus ihrer Praxis: "Das kann für ein und dieselbe Person je nach Lebensphase ein unterschiedlicher Zugang sein."

Regelmäßige Einnahme

Entscheidet man sich für die Einnahme eines Medikaments, muss man es regelmäßig einnehmen: "Die meisten sind so konzipiert, dass man sie einmal am Tag nimmt. Vergisst man das zwei, drei Tage lang, lässt die Wirkung nach. Vor allem wenn man eine höhere Dosis einnimmt, kann man dann durchaus Absetzungssymptome bekommen", betont Winkler-Pjrek. Wichtig ist dabei: Das sind keine Entzugserscheinungen. Es kann passieren, dass man schwitzt, Kopfweh hat, dass man ängstlich ist oder sich müde fühlt. Nach ein paar Tagen ist das aber vorbei.

Generell haben Antidepressiva wenig Nebenwirkungen und machen auch nicht abhängig, ebenso wie Antipsychotika. Anders ist es bei Benzodiazepinen, kurz Benzos genannt. Diese wirken angstlösend, muskelentspannend und dämpfend auf das Zentralnervensystem. Winkler-Pjrek würde diese nur zurückhaltend einsetzen: "Sie lösen das Problem an sich nicht. Was man damit erreichen kann, ist, dass man eine Situation, die man ansonsten womöglich komplett vermeiden würde, besser aushält." Spätestens wenn man bei Benzos eine Dosissteigerung benötigt – ein Charakteristikum einer Abhängigkeit –, sollten aber die Alarmglocken schrillen.

Es bleibt der Kritikpunkt, dass oft länger probiert wird, welches Medikament das richtige ist. Aber das sei ganz normal, betont Winkler-Pjrek: "Manche Betroffene bekommen ein Medikament, und es passt sofort, bei anderen sind mehrere Therapieversuche notwendig. Das ist auch bei anderen Medikamenten für chronische Probleme so, etwa bei Blutdruckmedikamenten oder Cholesterinsenkern. Es ist wirklich ärgerlich, wenn Psychopharmaka da anders beurteilt werden, nur weil sie bei einem psychischen Problem eingesetzt werden."

Fragen aus der STANDARD-Community

DER STANDARD hat Fragen der Community zum Thema Psychopharmaka gesammelt und beantwortet ausgewählte Postings.


Antwort: Frauen erhalten nicht automatisch mehr Verschreibungen von Psychopharmaka als Männer, allerdings werden etwa doppelt so viele Antidepressiva an Frauen als an Männer verschrieben, weiß Winkler-Pjrek. Das hat vermutlich zumindest zwei Ursachen. Die Prävalenz von Depressionen ist bei Frauen in etwa doppelt so hoch wie bei Männern. Warum das so ist, weiß man nicht genau, Gründe dafür können sein, dass Frauen eher zugestanden wird, ihre Emotionen wahrzunehmen, Männer dagegen neigen stärker dazu, sich in Verdrängungsverhalten zu flüchten, beispielsweise in Alkoholkonsum. Darüber hinaus nehmen Frauen in Bezug auf Depressionen das Angebot der Gesundheitsdienste stärker wahr.


Antwort: Eine genetische Untersuchung vorab und auch eine Medikamenten-Blutspiegelbestimmung können schon Sinn machen, um die Rate des Ansprechens zu erhöhen. Aber nicht immer gibt das eindeutigen Aufschluss. So gebe es etwa Rapid Metabolizer, also Menschen, die die Substanzen sehr rasch verwerten, aber trotzdem einen guten Spiegel im Blut haben. Eine genetische Untersuchung mache aber vor allem bei Non-Response gegenüber Medikamenten Sinn, betont Winkler-Pjrek. Den Vorwurf, dass viel probiert wird, findet sie nicht gerechtfertigt: "Es gibt Menschen, die bekommen ein Medikament, und es passt. Bei anderen sind mehrere Therapieversuche nötig. Aber das ist auch bei anderen Medikamentenklassen für chronische Probleme so, etwa bei Blutdruckmedikamenten oder Cholesterinsenkern. Es ist ein ganz normaler Vorgang."


Antwort: Die Gewichtszunahme, die bei manchen Medikamenten als Nebenwirkung auftritt, passiert vor allem über eine Veränderung der Appetitregulation, in der Folge isst man mehr. Bei gleichbleibender oder sogar verminderter körperlicher Aktivität wird dieser Energieüberschuss dann als Fett gespeichert. Man könne dann versuchen, auf ein anderes Medikament umzusteigen, sagt Winkler-Pjrek. Aber leider bringe das nicht immer den gewünschten Erfolg.

Antwort: Auch hier kann eventuell der Umstieg auf ein anderes Präparat helfen. Dies muss mit dem behandelnden Arzt, der behandelnden Ärztin besprochen werden. Der Libidoverlust ist aber sehr oft nicht durch die Medikamente verursacht, er ist vielfach ein Symptom der Depression an sich. Und er bleibt selbst nach Remission der restlichen Symptome sehr oft bestehen. Hier könnte man eventuell mit Psychotherapie dem Problem auf den Grund gehen.

Antwort: Das Lenken eines Fahrzeugs in einem durch Substanzen, egal welcher Art, beeinträchtigten Zustand ist nicht erlaubt. Sofern nach einem Unfall eine Beeinträchtigung durch Substanzen festgestellt wird, könnte deshalb die Haftpflichtversicherung die Zahlung verweigern.

Antwort: Es gibt laufende Studien zur antidepressiven Wirkung von Psilocybin-Derivaten bei Depressionen und Süchten. DER STANDARD berichtete etwa hier, hier und hier darüber. Präparate befinden sich aber derzeit alle noch in der Studienphase, sie stehen zur breiten Anwendung nicht zur Verfügung. In den Studien wird auch immer ein Anwendung in Kombination mit Psychotherapie untersucht. Generell darf man sich davon aber nicht eine solch substanzielle Wirkung erwarten, wie sie medial oft gepriesen wird.

Antwort: Es gibt immer wieder neue Substanzen. Zuletzt wurde an der Uni Wien ein Wirkstoff entwickelt, DER STANDARD berichtete. Derzeit gibt es aber keine neue Substanz in Zulassung, die einen großen Durchbruch bedeuten würde.

Antwort: SSRI sind jedenfalls wirksame Antidepressiva und übertreffen bezüglich ihrer Wirkung eine Placebo-Therapie. Seit der Entwicklung der SSRI in den 1980er-Jahren wurde eine große Anzahl neuerer Antidepressiva entwickelt.

Antwort: Nein, Antidepressiva verändern nicht grundsätzlich die Persönlichkeit. Sie können aber auf einzelne Facetten des Verhaltens/Erlebens wie z. B. das Grundangstniveau oder die Impulsivität einwirken.

Antwort: Die Wahrscheinlichkeit für ein malignes neuroleptisches Syndrom liegt bei unter 1:5000 und ist wahrscheinlich für ältere Substanzen deutlich höher als für die atypischen Antipsychotika.

Antwort: Benzodiazepine können abhängig machen. Eine Graduierung der "Schwere" der Abhängigkeit und ein Vergleich von psychoaktiven Substanzen untereinander ist schwierig. Nikotin beispielsweise macht viele Menschen schon nach kurzer Zeit hochgradig süchtig und führt auf Dauer zu schwersten körperlichen Schäden bis zum Tod. Trotzdem sind nikotinhaltige Derivate ohne Rezept frei verfügbar. Benzodiazepine können aber in der kurzzeitigen Therapie psychischer Symptome hervorragende Ergebnisse erbringen und sind deshalb in der Medizin nützlich. Zur längerfristigen Therapie von Schlafstörungen und Angststörungen gibt es aber auch eine Reihe von Alternativen, die als erste Wahl verwendet werden sollten.

Antwort: Die Langzeittoxizität von Antidepressiva ist insgesamt niedrig, allerdings gibt es Unterschiede zwischen den Substanzen. Studien, die über Jahrzehnte laufen, fehlen weitgehend. Die Einnahme von Medikamenten ist immer eine Kosten-Nutzen-Rechnung und muss individuell zwischen Arzt/Ärztin und Patient geklärt werden.

Antwort: Beim (zu schnellen) Absetzen von Antidepressiva kann es zu Absetzsymptomen kommen wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit, die aber nach wenigen Tagen wieder verschwinden. Es kann aber vorkommen, dass nach einiger Zeit die Erkrankung wieder zum Vorschein kommt. Winkler-Pjrek rät deshalb nicht zu eigenmächtigem oder zu schnellem Absetzen. Man soll besser in Absprache mit Arzt oder Ärztin langsam die Dosis reduzieren und die Stimmung beobachten. Sollten dabei wieder Anzeichen der Depression auftreten, könne man diese so rasch abfangen. (Pia Kruckenhauser, Judith Wohlgemuth, 15.12.2022)