Am Unterricht des Sportlehrers sollen sogar schulfremde Personen – offenbar für Assistenzdienste beim Geräteturnen – beteiligt gewesen sein und dabei Schüler "betatscht" haben.

Foto: APA/EVA MANHART

Wien / Wiener Neustadt – Im Missbrauchsfall um einen Sportlehrer, der bis zu seinem Suizid im Mai 2019 an einer Wiener Mittelschule etliche Buben im Alter von neun bis 14 Jahren missbraucht haben dürfte, gibt es neue Vorwürfe. Diese richten sich auch gegen den früheren und den derzeitigen Direktor der betroffenen Schule und wurden seitens der Opferanwältin Herta Bauer, die mehrere ehemalige Schüler vertritt, in einer weiteren Sachverhaltsdarstellung der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gebracht.

Bildungsdirektor Heinrich Himmer bestätigte der APA am späten Freitagnachmittag die medial bisher nicht bekannten Inhalte jüngster Zeugenaussagen. Die in Bauers Sachverhaltsdarstellung erhobenen Vorwürfe würden sich "weitgehend" mit Informationen decken, die auch der Bildungsdirektion Wien vorliegen, meinte Himmer: "Ähnliche Zeugenaussagen wurden auch bei der Untersuchungskommission gemacht."

Ergebnis der Untersuchungskommission

Himmer hatte das aus Mitgliedern der Bildungsdirektion, der Kinder- und Jugendanwaltschaft (KJA) und der Kinder- und Jugendhilfe der Stadt Wien bestehende Gremium eingesetzt, das die Vorgänge in bzw. um die betroffene Schule aufarbeiten sowie sicherstellen sollte, dass derartige Fälle an Bildungseinrichtungen zukünftig verhindert werden können. Wie Himmer betonte, hat die Bildungsdirektion die dabei gewonnenen Erkenntnisse bereits in insgesamt fünf Sachverhaltsdarstellungen gegossen, die der Staatsanwaltschaft Wien übermittelt wurden.

Indes liegt nun auch das Ergebnis der Untersuchungskommission schriftlich vor. "Wir haben gestern den vorläufigen Endbericht der Kommission bekommen", gab Himmer bekannt. Details dazu dürften in der kommenden Woche bekannt gegeben werden.

Mögliche Mittäter

Die Opferanwältin hatte Ende September bei der Staatsanwaltschaft eine erste Sachverhaltsdarstellung gegen zwei mögliche Mittäter des Pädagogen wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses eingebracht, die von der Anklagebehörde aber vorerst nicht aufgegriffen wurde. Die Staatsanwaltschaft kam nach kurzer Prüfung zum Schluss, dass die aktuelle Verdachtslage nicht für ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren reiche.

Die zwei langjährigen Bekannten des Sportlehrers – ein ehemaliger Schüler des Pädagogen sowie ein früherer Lehrer an einer anderen Schule und Basketballtrainer – wären von diesem bei einem Sportverein "eingeschleust" worden und hätten sich dort gegenüber Kindern und Jugendlichen übergriffig verhalten, hatte die in der Anzeige geäußerte Verdachtslage gelautet.

Unterricht trotz Ermittlungen

Zwischenzeitlich haben sich nun weitere Zeuginnen und Zeugen bei der Opfervertreterin gemeldet und Aussagen getätigt, die vor allem den schulischen Bereich betreffen und sich gegen die Schulleitung richten. Der mutmaßlich über viele Jahre hinweg übergriffige Sportlehrer war im Frühjahr 2019 von einem früheren Schüler angezeigt worden. Nachdem bei dem Pädagogen eine Hausdurchsuchung stattgefunden hatte, soll der Direktor in Kenntnis der angelaufenen Ermittlungen diesen ungeachtet dessen nicht unverzüglich außer Dienst gestellt haben.

Der Lehrer konnte daher noch bis zum 24. Mai 2019 unterrichten, wobei die letzten Tage vor seinem Suizid Zeugenangaben zufolge von "besonders aggressivem Verhalten gegenüber seinen minderjährigen Schülern", wie in der Anzeige dargelegt wird, geprägt waren. Von sportlichen Schindereien bei Hitze im Turnunterricht und verbalen Ausfällen ist in diesem Zusammenhang die Rede, einen Schüler soll der Lehrer am Ohr gezogen haben.

Beweismaterial verschwunden

Jüngste Angaben von ehemaligen Schülern erhärten auch Verdachtsmomente, dass nach dem Suizid des Sportlehrers in der Schule möglicherweise Beweismaterial beiseite geschafft wurde, das im Rahmen der beim Pädagogen durchgeführten Hausdurchsuchung von der Polizei nicht beachtet worden war. Die Hausdurchsuchung hatte sich auf die Wohnung des Lehrers beschränkt. Dabei hatte dieser in der Schule einen eigenen Laptop, eine eigene Kamera und Daten- und Speicherträger gelagert.

Der enge Bekannte und Ex-Schüler des Lehrers soll nach dessen Ableben mehrfach mit dessen Auto zur Schule gekommen sein und den Spind des Lehrers sowie die so genannte Chill-Out-Zone leer geräumt haben, in der es zu Missbrauchshandlungen gekommen sein dürfte. Der Bekannte sei "die ganze Woche da" gewesen und habe "die Sachen geholt", wird in einer Aussage behauptet. Der Direktor soll ihn erst danach mit einem Hausverbot belegt haben.

Am Unterricht des Sportlehrers sollen sogar schulfremde Personen – offenbar für Assistenzdienste beim Geräteturnen – beteiligt gewesen sein und dabei Schüler "betatscht" haben. Ein ehemaliger Schüler berichtet von einem "alten Mann mit grauen Haaren", der "sehr unangenehm" gewesen sei und "uns immer überall angefasst" habe. (APA, 2.12.2022)