Indira Varma trägt einen Mantel und Ohrringe von Dolce & Gabbana.
Foto: Liam Bundy

Normalerweise erscheint Indira Varma auf Knopfdruck auf dem Bildschirm, in Streamingserien wie Game of Thrones oder Obi Wan Kenobi. Heute dauert es etwas länger, bis die britische Schauspielerin in dem digitalen Fenster erscheint. "Sorry für die Verspätung. Ich war mit dem Hund spazieren", sagt sie etwas abgehetzt, besagten Vierbeiner glücklich hechelnd auf dem Schoß. "Vielleicht sollte ich die Kamera ausschalten. Ich sehe schrecklich aus mit meinen zerzausten Haaren und ganz ohne Make-up", scherzt Varma zu Beginn des Videointerviews.

Musik, Sprache, Literatur und Theater

Dabei steht ihr der natürliche Look sehr gut. Einige Tage zuvor gab sie ein ganz anderes Bild ab: Geschminkt, gestylt und in aktueller Mode gekleidet posierte sie in London für das RONDO-Modeshooting. Wenngleich sie wohl das Zeug dazu hätte, Model wollte sie nie sein: "Es gibt viele großartige, intelligente Frauen, die auch noch wunderschön sind. Ich habe großen Respekt davor, wenn sie sich durchs Modeln zum Beispiel ihr Studium finanzieren. Für mich ist es eher ein Spiel. Ich fühle mich bei Shootings immer an meine Kindheit erinnert. Ich liebte es, mich zu verkleiden."

Passend dazu, der einstige Berufswunsch der Britin: Clown. Ihr Interesse galt eher körperlichen oder musikalischen Ausdrucksformen. Sprache sei für sie, die mit einer schweizerischen Mutter und einem indischen Vater aufwuchs, nie die primäre Form gewesen, sich zu vermitteln. Erst durch die Englischmatura und das Schauspielstudium an der Royal Academy of Dramatic Art entdeckte sie ihre Liebe zu Sprache und Literatur. Der Fokus an der renommierten Londoner Ausbildungsstätte lag auf Theater. Und noch immer steht Indira Varma regelmäßig auf der Bühne, wie kürzlich am Harold Pinter Theatre in London an der Seite von Game of Thrones-Star Emilia Clarke im Stück The Seagull.

Kleid und Ohrringe von Simone Rocha.
Foto: Liam Bundy

Internationaler Durchbruch

Wirklich bekannt wurde die heute 49-Jährige aber durch die Arbeit in Filmen und Serien. 1996 spielte Varma ihre erste große Hauptrolle in der Bollywoodproduktion Kamasutra: A Tale of Love. Die Kritiken zu dem Film waren durchwachsen, in Indien schlug der Film wegen seiner erotischen Szenen hohe Wellen und wäre beinahe auf dem Index gelandet. Internationale Prominenz erlangte Indira Varma schließlich als Ellaria Sand in der Erfolgsserie Game of Thrones. Von Staffel vier bis sechs war sie in dem Fantasyepos zu sehen. 2019 spielte sie in der Steampunk-Krimiserie Carneval Row gemeinsam mit Orlando Bloom und Cara Delevigne, und zuletzt hatte sie einen großen Auftritt als Doppelagentin und Märtyrerin Tala Durith in der Star Wars-Serie Obi Wan Kenobi.

Blazer Michael Kors, Ohrringe Dolce & Gabbana.
Foto: Liam Bundy

Das Fantasygenre scheint hoch im Kurs zu stehen. Vielleicht auch deshalb, weil die Menschen angesichts der düsteren Weltlage ab und zu gerne der Realität entfliehen? Das sei bestimmt ein Aspekt, aber Fantasy erfreue sich seit jeher großer Beliebtheit, sagt Varma. "Das Schöne an diesen Geschichten ist, dass sie für alle Menschen Identifikationsfläche sein können. Die Geschichten sind meistens Metaphern. Es geht um die Sinnsuche. Damit beschäftigt sich auch das Publikum." Wenn ihr selbst alles zu viel werde, gehe sie mit ihrem Hund spazieren oder arbeite in ihrem Garten. Indira Varma schwenkt die Kamera und gewährt einen Blick auf die üppige Vegetation vor ihrem Wohnzimmer.

Die Natur sei ihr liebstes Mittel zur Realitätsflucht – vor allem wenn sie mal wieder zu viel Medieninhalte konsumiert habe. "Die Nachrichten sind oft frustrierend für mich. Ich frage mich dann immer, wie wir so große Probleme, etwa den Klimawandel, lösen können und was mein Beitrag sein soll", erzählt die Britin. Sie wolle sich in den jeweiligen Feldern nicht als Expertin präsentieren, aber als Schauspielerin habe sie immerhin die Möglichkeit, durch Unterhaltungsformate Menschen auf Themen aufmerksam zu machen, die sonst nicht damit in Berührung kommen würden.

Mantel, Rock, Stiefel, Accessoires Dior.
Foto: Liam Bundy

Starke Frauen

Das können sie zum Beispiel mit Indira Varmas neuestem Projekt, Extrapolations. Die Serie wird für den Streaminganbieter Apple TV+ produziert und stellt in verschiedenen, miteinander verbundenen Geschichten die Auswirkungen des Klimawandels dar. Als Propaganda soll das Ganze aber nicht verstanden werden. "Ich will niemandes Meinung ändern, sondern bloß zum Hinterfragen anregen", sagt Varma, die in Extrapolations an der Seite von Edward Norton spielt. Auch Meryl Streep ist Teil des Casts. "Lange Zeit gab es neben ihr vielleicht noch Helen Mirren oder Judi Dench. Ansonsten wurden ältere Frauen aber kaum repräsentiert", sagt die 49-Jährige. Die Situation habe sich mittlerweile gebessert, das Pendel schwinge gerade in die andere Richtung.

Auch was die Darstellung weiblicher Figuren generell angehe: "Früher wurde mir bei Castings oft gesagt, ich komme zu tough rüber. Frauen sollten Verletzlichkeit ausstrahlen", erzählt sie. Mittlerweile sei das Gegenteil der Fall, alle müssten ausschließlich stark und mächtig sein. Bevor sich Indira Varma verabschiedet und das Fenster auf dem Bildschirm wieder schwarz wird, also noch ein kleiner Appell noch an die Regisseurinnen und Drehbuchautoren: Mehr nuancierte Figuren abseits von plakativen Klischees, please! (RONDO, Michael Steingruber, 13.12.2022)

Jacke, Ohrringe Miu Miu.
Foto: Liam Bundy
Pullover Versace.
Foto: Liam Bundy
Kleid Roksanda, Ohrringe Simone Rocha.
Foto: Liam Bundy