Fast alle der 700 Befragten sehen Verbesserungsbedarf.

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Wien – Wie geeignet sind die vor vier Jahren eingeführten Deutschförderklassen (DFK) für Kinder, die schlecht oder unzureichend Deutsch sprechen? Antworten auf diese Frage versprach eine große Evaluierungsstudie, die das Bildungsministerium 2020 in Auftrag gab – und die Ende 2022 präsentiert werden sollte. Die Präsentation der Ergebnisse nahm dem Ministerium allerdings am Montag die "Kronen Zeitung" ab, der im Vorfeld die Ergebnisse zugespielt wurden. Und diese zeichnen kein rosiges Bild: Demnach haben 21 bis 55 Prozent der Schulkinder die sprachbezogenen Ziele nicht erreicht. Auch sprach sich die Mehrheit der 700 befragten Pädagoginnen und Schulleitungen für mehr Schulautonomie bei der Umsetzung der Deutschförderklassen aus.

Der "Leak" sorgte am Dienstag jedenfalls für reichlich Unmut. Das Evaluationsteam rund um Studienleiterin Christiane Spiel hat laut ihren Angaben nichts mit dem Bericht zu tun. Das Bildungsministerium selbst kündigte prompt zusätzliche Mittel an: In Summe zehn Millionen Euro sollen für vier zusätzliche Förderstunden pro Klasse fließen. An den separaten Klassen will das Bildungsministerium dennoch festhalten.

Maßnahme von ÖVP und FPÖ

Ein kurzer Rückblick: Die unter Schwarz-Blau eingeführten Deutschförderklassen gibt es seit dem Schuljahr 2018/19. Dabei werden Schülerinnen und Schüler, die die Unterrichtssprache nicht gut genug beherrschen und deshalb als außerordentliche Schüler (a.o.) eingestuft werden, bis zu 20 Stunden pro Woche in eigenen Klassen in Deutsch gefördert. Nur Fächer wie Werken, Musik oder Turnen verbringen sie gemeinsam mit ihrer Stammklasse. Separate Klassen werden allerdings erst ab acht Schülern pro Standort eingerichtet.

Die maximale Besuchsdauer einer Deutschförderklasse liegt bei vier Semestern. Je nach Ergebnis des Einstufungstests MIKA-D können Schüler bei einem entsprechenden Ergebnis als ordentliche Schüler in einer reguläre Klasse wechseln, als außerordentliche Schüler in einen parallel zum Regelunterricht stattfindenden, weniger umfangreichen Deutschförderkurs übertreten oder bis zur Höchstdauer in einer Deutschklasse verbleiben.

DER STANDARD

Langjährige Kritik am Modell

Dass dieses Modell zielführend ist, haben Sprachwissenschafterinnen seit jeher bezweifelt: Auf Isolation, zu wenig Sprachkontakt und Laufbahnverluste wurde bereits in Studien hingewiesen. All das perlte bisher am Ministerium mit Verweis auf die Evaluierung ab.

Und nun soll auch diese wenig Aussagekraft haben: Denn die Evaluierung berücksichtige die aktuelle Situation nicht, heißt es vonseiten des Bildungsministeriums. Was damit gemeint ist? "Durch den Krieg am Rande Europas wurden allein seit dem Frühjahr 2022 knapp 13.000 aus der Ukraine vertriebene Kinder und Jugendliche ins österreichische Schulsystem aufgenommen." Durch diese und die "höchsten Asylantragszahlen seit der Nachkriegszeit" hätten sich die Herausforderungen geändert.

Weil das System am "Rande seiner Kapazitäten" sei, sollen nun zehn Millionen Euro für zusätzliche vier Förderstunden pro Klasse kommen. Die Deutschförderklassen selbst seien aber immer noch das "beste Mittel" für den Deutscherwerb, meint das Bildungsministerium.

Keine andere Situation laut Spiel

Dieses Argument kann Studienleiterin Spiel im Gespräch mit dem STANDARD nicht nachvollziehen. Am Modell habe sich nichts geändert, zumal die Erhebungen teils noch in den Zeitraum der Fluchtbewegung fielen. "Ich sehe keinen Grund, warum die befragten Lehrpersonen die Deutschförderklassen nun anders bewerten würden", sagt Spiel.

Basis der Studie, die nun dem STANDARD vorliegt, war ein sogenannter "Extremgruppenvergleich". Dabei wurden Schulen, in denen Kinder sehr schnell in den ordentlichen Status wechseln konnten, mit jenen verglichen, in denen dies nicht der Fall war. Anschließend wurde geschaut, ob dies in unterschiedlicher Ausstattung oder ähnlichem begründet war.

Zentrales Ergebnis laut Spiel: Beide Gruppen unterschieden sich kaum, die Antworten der Schulleiter und Lehrkräfte waren ähnlich. So sprachen sich etwa praktisch alle dafür aus, dass die Deutschförderung nicht schon nach vier Semestern enden dürfe. Außerdem wurden durchgehend integrative Fördermodelle besser bewertet als die Deutschförderklassen. Der MIKA-D selbst wurde laut Spiel als mittelmäßig wahrgenommen – er sei nicht ideal, "manche haben sogar gesagt, er ist unbrauchbar".

Die Ergebnisse des MIKA-D würden auch "nicht rosig" aussehen, meinte Spiel. Laut der Befragung der Lehrkräfte und Direktoren erreichten 21 bis 55 Prozent der Schüler die sprachbezogenen Ziele nicht. Daher habe es einen starken Wunsch nach Weiterentwicklung des Tests gegeben. Außerdem wünschten sie sich mehr Flexibilität: Die Entscheidung über die Art der Deutschförderung solle bei der Schule liegen. Weiters sprach man sich für eine Flexibilisierung aus: Für die Entscheidung über den Wechsel in den ordentlichen Status solle nicht nur der MIKA-D entscheiden, sondern auch die Einschätzung der jeweiligen Lehrkraft, die Deutsch als Zweitsprache unterrichtet.

Arbeiterkammer fordert Umdenken

SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz ist von den Ergebnissen nicht überrascht: "Die Deutschklassen waren immer schon eine schlechte Idee und sind nun hochoffiziell gescheitert", hieß es in einer Aussendung. Auch der Wiener Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) forderte, dass Polaschek "die Reißleine ziehen und das türkis-blaue 'Prestigeprojekt' beenden muss." Deutschförderung in der Schule sei extrem wichtig. "Wir müssen aber die geeigneten, kindgerechten Maßnahmen dafür einsetzen und nicht aus reiner Parteitaktik an einem Projekt festhalten, das nicht funktioniert." Auch die Arbeiterkammer forderte ein Umdenken – die Evaluierungsergebnisse würden den Resultaten anderer Untersuchungen der vergangenen Jahre entsprechen.

Der Wiener Bildungsdirektor Heinrich Himmer hält es für sinnvoll, die Schulen mehr mitreden zu lassen – und nicht ein fixes Modell für alle zu verfügen. Es gebe bereits Gespräche über mehr Autonomie für die Schulen, zeigte sich Himmer in der "ZiB 2" von Montag zuversichtlich, dass gemeinsam mit dem Bildungsministerium eine gute Lösungen gelingen werde.

Die FPÖ plädiert dagegen für ein Festhalten am Modell: "Wer für Integration ist, kann nicht gegen Deutschförderklassen sein", so der blaue Wiener Bildungssprecher Maximilian Krauss. (Elisa Tomaselli, APA, red, 5.12.2022)