Übermalung der Kolonialgeschichte: In der Serie "Do You Know Our Names?" reproduziert Rajkamal Kahlon anthropologische Abbildungen von Frauen und gestaltet sie neu.
Foto: Rajkamal Kahlon

Vier indigene Kinder sitzen auf dem Boden, auf ihren nackten Bäuchen steht "Fuck you" gepinselt. Daneben posiert ein Kolonialherr mit pink eingefärbter Kleidung. Figuren sind von Bandagen umschlungen, andere saugen deren Enden wie Spaghetti in ihre Münder ein. Außerdem zu sehen: Totenköpfe, Penisse und blutige Messer.

In diesen Zeichnungen hat Rajkamal Kahlon ihr Unwesen getrieben und sich so manchen Scherz erlaubt. Die in Berlin lebende US-amerikanische Künstlerin mit indisch-pakistanischen Wurzeln nützt vorgefundene Abbildungen aus Dokumenten oder Büchern als Unterlage, die sie dann bemalt und illustrativ erweitert. Oft sind es Werke, die aus der Hochphase des Kolonialismus stammen und Menschen als andersartig exotisieren. Ihre Ergänzungen können als Umkehrung des kolonialen Blicks verstanden werden.

Nicht nur symbolisch nimmt die Künstlerin Bücher wie Die Völker der Erde von 1902 auseinander, sondern tut dies auch physisch. Während einer Residency am Wiener Weltmuseum im Jahr 2017 stieß Kahlon im Fundus eines Antiquariats auf jenes Werk des deutschen Anthropologen Kurt Lampert und zerlegte es in seine Einzelteile. Die darin wie Forschungsobjekte dargestellten Menschen will sie durch aufwendige Kleidung oder Frisuren Würde und Handlungsfähigkeit zurückgeben. Die Bandagen zeigen zum einen die kolonialen Fesseln und zum anderen die Befreiung daraus. Zwischen brutalen Gesten schweben auch mal ein rosa "Refugees Welcome"-Ballon oder witzige Körperteile – es ist auch Platz für Heiterkeit.

Die umfassende Serie "Die Völker der Erde" bekleidet eine ganze Wand, die als zentrales Element in der neuen Einzelschau steht, flankiert wird sie von lebensgroßen Cut-Outs aus Holz.
Foto: www.kunst-dokumentation.com

Dreidimensionale Karikatur

Die umfassende Serie bekleidet eine ganze Wand, die als zentrales Element in der neuen Einzelschau von Rajkamal Kahlon in der Kunsthalle Wien steht. Unter dem Titel Which Side Are You On? werden Werke aus ihrer 20-jährigen Praxis sowie Auftragsarbeiten gezeigt. Ein wichtiger Bestandteil sind lebensgroße, fotorealistische Cut-Outs, die wie Aufsteller verteilt sind. Basierend auf Fotografien kolonialer Motive schafft Kahlon Figuren auf Holzplatten, die wie zu dreidimensionalen Karikaturen aus ihren Zeichnungen erwacht mit Klischees brechen und Rollenzuschreibungen umkehren.

Begleitet durch ein unabdingbares Booklet fächern die kleinteiligen Werke ihre Vielschichtigkeit auf. Wenngleich diese unterschiedliche Geschichten erzählen – sei es von ethnischen Porträts diverser Volksgruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien oder stereotypen Darstellungen der Bevölkerung aus Indien –, so ist die künstlerische Herangehensweise oftmals die gleiche. Der etwas plakative Vorgang wiederholt sich also, und obwohl die Recherchen von Kahlon dazu ausgiebig und interessant sind, wirkt die sehr karg gestaltete Ausstellung am Ende doch etwas eintönig.

Kuratiert wurde die Schau von WHW selbst, dem aktuellen Leitungstrio der Kunsthalle. Wie freitags bekannt wurde, wird es wohl eines ihrer letzten Projekte in der Halle im Museumsquartier sein. Der Vertrag wird nicht verlängert. (Katharina Rustler, 6.12.2022)