Das WHW-Kollektiv (v. li: Sabina Sabolović, Nataša Ilić und Ivet Ćurlin) setzt auf Diskurs statt auf große Namen.
Foto: Damir Žižic

Es klang nach frischem Wind, als 2019 bekannt wurde, dass das kroatische Kuratorinnenkollektiv WHW die Leitung der Kunsthalle Wien übernehmen werde. Unter Vorgänger Nicolaus Schafhausen hatte sich die Einrichtung mit ihren Standorten im Museumsquartier (MQ) und am Karlsplatz in Richtung Bedeutungslosigkeit bewegt, das Publikum blieb aus, die Einnahmen waren alles andere als berauschend. Kurz stellte man sogar den Weiterbestand der Kunsthalle infrage. Umso mehr ließ die Besetzung der städtischen Kunsthalle mit einem weiblichen Team auf einen Neustart hoffen.

WHW (What, How & for Whom), bestehend aus Ivet Ćurlin, Nataša Ilić und Sabina Sabolović, gründete sich 1999 und leitete 15 Jahre die Galerie Nova in Zagreb. Vor drei Jahren kam das Trio mit zahlreichen Vorhaben in die Stadt: Mehr Dialog, mehr Rumor lautete die Parole. Die Kunsthalle versprach ein Ort der Produktion und des Diskurses zu werden und wieder stärker die lokale Kunstszene zu unterstützen. Wie sieht die Situation tatsächlich nach drei Jahren aus?

Theorie und Text

Die Pandemie bremste erst mal, die Debütschau ...von Brot, Wein, Autos, Sicherheit und Frieden konnte Anfang März 2020 gerade noch stattfinden. Ausstellungen mussten verschoben, Projekte abgesagt werden. Ab da fielen die Besucherzahlen in ein Tief und sind dort – wie auch bei anderen Kultureinrichtungen – aktuell kaum herauszuholen: 2019 kamen 73.000 Besucher in die Kunsthalle, 2021 waren es nur 26.749. Zahlen von 2022 möchte man aber nicht veröffentlichen, angeblich gäbe es einen Aufwärtstrend, heißt es.

Ob WHW ein Rezept parat hat, fehlendes Publikum anzulocken, ist aber fraglich. Scheint doch die künstlerische Programmierung bewusst Nischen zu bedienen. Von den bis dato gezeigten Ausstellungen sind nur wenige wirklich gelungen: Die Soloschau von Ines Doujak war ein Highlight, auch die aktuelle Präsentation feministischer Filmkollektive aus Frankreich ist sehenswert. Die Gruppenausstellung And if I devoted my life to one of its feathers des peruanischen Kurators Miguel A. López zeigte zwar eine Bandbreite diverser und indigener Positionen aus über 20 Nationen, verlief sich aber in einer Fülle an Themen. Generell dominieren unbekannte Namen, zu theoretische Zugänge und viel Text. Die drängende Frage lautet: Wen will die Kunsthalle erreichen? For whom?

Publikum, Pluralität und Picasso

Die breite Masse ist es offensichtlich nicht: "Wir würden uns wünschen, dass unser Programm allen gefällt, aber das ist weder eine realistische Erwartung noch unser Ziel", sagen die Direktorinnen. Ihre Strategie setzt weniger auf große Namen als auf aktuelle Diskurse: Klimakrise, Kolonialismus oder Feminismus. "Das Publikum kommt vielleicht nicht wegen der Künstlerliste, sondern weil es sich für das Thema interessiert", hofft man.

Ausstellungen mit populären Künstlerinnen zu präsentieren und so automatisch Aufmerksamkeit zu generieren sei nicht die Absicht des Kollektivs. Dies würden bereits genügend andere Institutionen der Stadt tun. "Es würde nicht viel zum Ökosystem der Wiener Kunsteinrichtungen beitragen, wenn wir das Gleiche machen." Kategorisch schließt WHW große Namen aber nicht aus, nächstes Jahr wird ein Picasso zu sehen sein – wenngleich anders kontextualisiert.

Nischenprogramm

Der Plan, neue Besucherinnen ans Haus zu locken und daran längerfristig zu binden, könnte mit diesem Kurs dennoch nicht allzu leicht aufgehen. Auch finanziell könnte es knapp werden: Aufgrund der geringen Einnahmen und der steigenden Inflation reicht das jährliche Budget von vier Millionen Euro für diese Saison wohl nicht aus. Eine Konsequenz wäre, weniger Ausstellungen pro Jahr zu realisieren, heißt es.

Wichtiges Anliegen des Kollektivs ist es, die Pluralität der Kunstszene und der multikulturellen Stadt abzubilden. Die Inhalte sollen Minderheiten und Communitys ansprechen, erklärt WHW. Konkretes Beispiel: die 2021 gezeigte Doppelausstellung von Ana Hoffner ex-Prvulovic* und Belinda Kazeem-Kamiński, in der es um Macht, Heteronormativität und Rassismus als politische Instrumente ging.

Ob man aber mit solch komplexen Inhalten wirklich Menschen außerhalb der Kunstblase sowie aus einer bildungsfernen Schicht erreicht, ist anzuzweifeln. Ein Dilemma, mit dem sich viele Kunstinstitutionen beschäftigen. Die Kunsthalle plant Kollaborationen mit Gemeindebau Wien, der Brunnenpassage in Ottakring sowie Berufsschulen. Ob dort tatsächlich neue Besucherinnen gefunden und in die Ausstellungen gebracht werden, wird sich weisen. Eine Überraschung wäre es.

Fragliche Prioritäten

Die von ihrem Vorgänger vernachlässigte lokale Kunstszene sei "wichtigster Verbündeter", und tatsächlich wird darauf geachtet, eine Balance zwischen Wiener und internationalen Künstlern herzustellen, wenngleich Letztere überwiegen. Die jährliche Ausstellung zum Preis der Kunsthalle im Frühjahr wurde erstmals auf mehrere Positionen ausgeweitet, um den Absolventinnen der Kunstunis eine Bühne zu bieten. Verwunderlich ist hingegen, dass eine Präsentation ausschließlich lokaler Künstler partout ausgeschlossen wird.

Den Tiefstand der Besucherzahlen kommentiert WHW so: "Wir wollen andere Parameter entwickeln, um unser Publikum zu evaluieren. Die Zeit, in der nur wachsende Zahlen gemessen wurden, sind vorbei. Es geht darum, eine Beziehung aufzubauen: Wer ist das? Wie oft kommt das Publikum? Und warum?" Der frische Wind lässt auf sich warten. Zwei Jahre läuft der Vertrag des Teams noch. Viel Zeit bleibt also nicht mehr. (Katharina Rustler, 5.6.2022)