IT-Fachkräfte dringend gesucht: In fünf Jahren könnten bereits 30.000 Menschen im Sektor fehlen.

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Schon vor der Pandemie fehlten vielerorts die Fachkräfte. Das Problem ist bekannt, aber die Situation spitzt sich weiter zu. Das verdeutlicht ein Blick in den IT-Sektor. Mangelte es in Österreich im Jahr 2018 noch an rund 10.000 ITlern, sind es heuer bereits 24.000, wie eine Studie der Wirtschaftskammer zeigt. Tendenz steigend. In Österreich und selbst in der EU ist Personal schwer zu finden. Um Menschen aus Drittstaaten ins Land zu holen, gibt es seit mehr als zehn Jahren die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte). Diese auch zu bekommen, war bisher aber hochbürokratisch.

Immer wieder beschwerten sich Stimmen aus der Wirtschaft, immer wieder wurde die Regierung zu einer Reform der Karte aufgefordert, immer wieder verliefen Diskussionen im Sand. Im Oktober war es dann aber so weit: Neue Regeln für die Rot-Weiß-Rot-Karte traten in Kraft. Was hat sich damit geändert? Zu den wesentlichsten Punkten zählen gesenkte Gehaltsgrenzen und aufgeweichte Regeln bei Sprachkenntnissen. Außerdem kann die Familie zeitgleich einen Antrag für eine Aufenthaltsbewilligung stellen. Das Verfahren soll dadurch einfacher, schneller und flexibler geworden sein. (Details siehe Infokasten)

"Durch die Reform kann der Antrag gleichzeitig für die Fachkraft und die Angehörigen eingebracht werden, das war bisher nur zeitversetzt möglich. Für Menschen, die in ein anderes Land ziehen, ist das enorm wichtig", sagt der Geschäftsführer der Austrian Business Agency (ABA) René Tritscher im Gespräch mit dem STANDARD. Die ABA ist eine von der Regierung eingerichtete Servicestelle, die Unternehmen bei der RWR-Karte unterstützt. "Die Lockerung der Sprachanforderungen ist essenziell, viele Firmen sind international aktiv und suchen Fachkräfte, die ohnehin auf Englisch kommunizieren."

Anstieg spürbar

Staatstragende Bedeutung kam der Rot-Weiß-Rot-Karte in der Praxis bisher nicht zu, aktuell sind rund 5300 Exemplare vergeben, zahlreiche davon an Sportlerinnen und Sportler. Daran ist nicht allein das Konzept der Karte schuld, vor allem an den überlasteten Behörden spießt es sich immer wieder.

Hat die Reform das nun geändert? Laut Daten, die Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am Dienstag veröffentlichte, wurden heuer 1890 Rot-Weiß-Rot-Karten für Mangelberufe ausgestellt, mehr als doppelt so viel wie im Vergleichszeitraum 2021. Die Zahlen sind damit immer noch niedrig, Tritscher zufolge gebe es aber einen spürbaren Trend nach oben. Der Zulauf bei der ABA sei aber schon vor der Reform gestiegen. "Für heuer haben wir mit 500 Beratungen gerechnet und stehen Ende November bereits bei mehr als 1300."

Start-up hilft

Frustriert von den rot-weiß-roten Bürokratismen und dem schwer zu überblickenden Formulardschungel hat Sabine Drescher Anfang des Jahres ein Start-up namens WorkInEurope gegründet, das Unternehmen und Antragstellerinnen und Antragstellern die Arbeit abnimmt. "Auf unserer Plattform kann man seine Daten eingeben und abschätzen lassen, ob es für eine Genehmigung reicht", sagt Drescher.

"Antragsteller haben oft Angst, einen Fehler zu machen, und beschränken sich zuerst auf Dinge wie das Einreichen des Passes", sagt Drescher. "Dabei geht Zeit verloren, den Pass hat er ja sowieso. Wichtiger wäre, sich zuerst den Strafregisterauszug zu holen und andere Behördenwege zu absolvieren."

WorkInEurope bietet einen Rundumservice. Für 999 Euro übernimmt das Start-up die ganze Abwicklung bis zur genehmigten RWR-Karte. Start-ups bzw. Unternehmen, die gewisse Schritte selbst übernehmen, kostet es die Hälfte. In ein bis drei Monaten sei – sofern die Voraussetzungen passen – vom Erstkontakt bis zur Genehmigung alles erledigt, sagt Drescher.

Suche in Südosteuropa

Um neue Fachkräfte ins Land zu bekommen, hat Österreich den Fokus mittlerweile auf Südosteuropa gelegt. "Wir sehen noch großes Potenzial in Albanien, Kosovo und Nordmazedonien", meint Tritscher. Dort gebe es viele gut ausgebildete, junge Menschen im IT- und Elektronikbereich. Viele würden auch gut Deutsch sprechen. Aktiv anwerben wolle man vor allem Uni-Absolventen. Bisher lag der Schwerpunkt der Anwerbungen bei den EU-Ländern Polen, Rumänien oder Bulgarien. Dort ist das Fachkräfteangebot aber deutlich geschrumpft, da sie in ganz Europa gesucht werden.

In den kommenden fünf Jahren könnte der Fachkräftemangel laut Wirtschaftskammer allein in der IT-Branche auf 30.000 Menschen steigen. Dazu kommen Pflege, Bau, Gastronomie, Tourismus und viele andere Branchen. Die Liste der Mangelberufe, für die es erleichterte Voraussetzungen bei der Rot-Weiß-Rot-Karte gibt, wurde für 2022 auf 158 Berufe erweitert. Dem Allzeithoch bei offenen Stellen steht allerdings ein wirtschaftlicher Abschwung im nächsten Jahr gegenüber. Es warten herausfordernde Zeiten. (Andreas Danzer, 6.12.2022)