Baumgartlinger im Zweikampf mit einem Angreifer aus Portugal.

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Julian Baumgartlinger hat nach wie vor Spaß. Eines der vielleicht letzten Ziele ist, mit Augsburg nicht aus der deutschen Bundesliga abzusteigen.

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Julian Baumgartlinger dankt für die Zeit. Er hat das Bedürfnis, sich mitzuteilen. Der 34-jährige Mittelfeldspieler des FC Augsburg haut nicht auf den Tisch, auf dass dieser wackelt und letztendlich zusammenbricht. Es ist nicht der Zeitpunkt, um abzurechnen, aber doch einer, um laut nachzudenken. "Mir geht es gut, ich bin fit, ich bekam auch wieder Einsätze, Fußball macht Spaß." Die vergangenen zwei Jahre sind für den Salzburger eher humorlos gewesen. Eine schwere Knieverletzung und ein zweite. Reha und Reha. "Mir ist eine gewisse Sturheit gegeben. Ich habe nicht fertig, möchte selbstbestimmt entscheiden, wann meiner Karriere vorbei ist."

Baumgartlinger war jahrelang Kapitän der österreichischen Nationalmannschaft. Die Betonung liegt auf war. Bei der EM im Juni 2021 hat er eine Minute lang gespielt, sein Beitrag zum Scheitern im Achtelfinale an Italien war also überschaubar. "Aber ich war in der Kabine. Auch jene, die nicht spielen, spielen eine Rolle." Er räumte 84-mal im defensiven Mittelfeld ab. Ein Leader, auf Baumgartlinger wurde gehört. Ein 85. Mal wird es nicht geben. "Es ist schwer zu verdauen, weg zu sein, es tut weh. Aus professioneller Sicht ist es verständlich, so ist das Business. Rational habe ich mit dem Nationalteam abgeschlossen, emotional nicht. Dieser Zustand bleibt wohl länger aufrecht."

Baumgartlinger heischt nicht nach Mitleid, er bettelt nicht um ein Abschiedsspiel. Schließlich hat Fußball mitunter mit Würde zu tun. Ihm geht es um den Stil. Es gibt keinen Kontakt zum Fußballbund ÖFB. Teamchef Ralf Rangnick nominiert ihn ab und zu für die sogenannte Abrufliste, die zum Tragen kommt, sollte ein Kadermitglied kurzfristig ausfallen. Abgerufen und angerufen werden freilich andere. "Das ist keine Kritik an Rangnick, aus professioneller und sportlicher Sicht verstehe ich es ja." Baumgartlinger verweist auf den Fall Aleksandar Dragovic. Die beiden haben eine gemeinsame Historie, spielten miteinander bei Bayer Leverkusen. Innenverteidiger Dragovic ist vollfit, dient Roter Stern Belgrad. Der 31-Jährige hat genau 100 Länderspiele am Buckel, in den Beinen. Ein 101. wird es kaum geben. "Für mich ist das schwer zu ertragen, er hat sein Herzblut reingelegt, jetzt ist er außen vor." Auch Dragovic steht meist auf der Abrufliste. Angerufen wurde er nie. Wobei auf seiner Position das Gedränge in der Tat riesengroß ist.

Mentale Leistung

Baumgartlinger hat die jüngsten ÖFB-Partien passiv verfolgt. Das 3:0 in der Nations League gegen Kroatien und zuletzt das 2:0 in aller Freundschaft gegen Italien stimmen ihn zuversichtlich. "Ein Stil ist erkennbar, es scheint viel möglich zu sein." Marko Arnautovic habe ihn verblüfft. "Marko erstaunt dauernd, in alle Richtungen. Als er nach China ging, sagten viele, jetzt ist es vorbei. Er zeigt, dass es nicht vorbei ist, überzeugt bei Bologna. Das ist auch eine tolle mentale Leistung, er ist zu Recht Rekord-Nationalspieler."

Die WM geht an Baumgartlinger nicht spurlos vorbei. Die meisten Favoriten seien noch dabei, sagt er, andere Kontinente hätten im Vergleich zu Europa aufgeholt. "Auf ein Halbfinale Argentinien gegen Brasilen würde ich mich freuen, das Viertelfinale zwischen England und Frankreich ist vorentscheidend."

Die Diskussionen um die Menschenrechtsverletzungen beim höchst umstrittenen Gastgeber Katar seien einerseits notwendig, anderseits kämen sie viel zu spät. "Wo war die Moralfrage bei der Vergabe? Nun wird Druck auf die Spieler gemacht, sie sind aber das schwächste Glied." Er stellt ein gewagtes Gedankenexperiment an, das von der Realität circa so weit weg ist wie Katar von der Demokratie oder die ÖVP von keinem Chat-Problem. "Wären wir qualifiziert und wäre ich Kapitän, ich wüsste nicht, wie wir mit der Situation umgegangen wären. Es hätte jedenfalls vernünftig moderiert gehört."

Am 2. Jänner wird Baumgartlinger 35. Er genießt den "Geruch der Kabine", hofft auf Einsätze, hat vor, mit Augsburg nicht abzusteigen. "Wir spielen definitiv gegen den Abstieg." Er hat beschlossen, dem Fußball treu zu bleiben. Selbstbestimmt treu zu bleiben. "Entweder im Management oder im Jugendbereich, es gibt erzieherisch viel zu tun." Im Gegensatz zum zurückgetretenen Kollegen Martin Hinteregger sei er nie Burnout-gefährdet gewesen. "Weil mich sportliche Rückschläge als Privatmensch nicht beeinträchtigt haben. Ich habe ein tolles Umfeld, eine tolle Familie."

Baumgartlinger dankt für die Zeit. Weihnachten verbringt er daheim in Mattsee. Wo sonst? (Christian Hackl, 9.12.2022)