Es hätte nicht viel gefehlt und Bram Stokers Horrorklassiker "Dracula", der heuer vor 125 Jahren erschien, hätte in der Oststeiermark und nicht im rumänischen Transsilvanien (beziehungsweise Siebenbürgen) gespielt. In dem Fall wäre dann auch eine lesbische Steirerin und nicht Vlad III. Drăculea das konkrete Vorbild für den Titelhelden gewesen.

Neben seiner Patenschaft für "Dracula" erlangte Vlad III. (1431–1477) zum einen historische Bekanntheit dafür, dass er der Expansion des Osmanischen Reichs auf dem Balkan entschieden entgegentrat. Zum anderen war er vor allem wegen seiner Grausamkeit berühmt-berüchtigt. Er galt als Menschenschlächter, der "dy iungen kinder praten" ließ, wie es in einem zeitgenössischem Text hieß. Insbesondere soll er eine Vorliebe für Hinrichtungen durch Pfählung gehabt haben, die ihm den unschönen Beinamen Țepeș (deutsch "Pfähler") einbrachte.

Prost Mahlzeit! Darstellung von Vlad III., wie er sich während des Essens an einer Massenhinrichtung ergötzt. Holzschnitt von Markus Ayrer (Nürnberg) aus dem Jahr 1499.
Gemeinfrei

Neue authentische Erkenntnisse gesucht

Mehr als ein halbes Jahrtausend nach seinem Tod ist die historische Figur nicht zuletzt durch Bram Stokers Roman von etlichen Legenden überwuchert. Neue "authentische" Erkenntnisse über das Leben des "Pfählers" scheinen fast 550 Jahre später kaum möglich – wenn da nicht das aus Kasachstan stammende Ehepaar Gleb und Svetlana Zilberstein wäre, das sich nun auf neuartige Weise dem Leben des Dracula-Vorbilds nähert.

Die Zilbersteins, die sich selbst als "historische Chemiker" bezeichnen, leben und arbeiten seit 26 Jahren in Tel Aviv. Gemeinsam mit dem emeritierten Professor Pier Giorgio Righetti von der Polytechnischen Universität Mailand entwickelten sie eine biochemische Analysemethode, mit der Proteine aus Manuskripten oder Kleidungsstücken extrahiert werden können, die von längst verstorbenen Personen berührt oder getragen wurden.

Erfolgreich angewandte Methode

Wenn solche "historischen Biomoleküle" – im Wesentlichen Proteine und Metaboliten, die stabiler als DNA sind – gefunden werden, können die Zilbersteins daraus erstaunlich viel ableiten: Informationen über die Umweltbedingungen ebenso wie die Gesundheit, den Lebensstil und die Ernährung der historischen Person, zu der die historischen Moleküle gehörten.

Ihr "Proof of Concept" war das Originalmanuskript von "Der Meister und Margarita" des sowjetischen Schriftstellers Michail Bulgakow, wie das "Smithsonian Magazine" in seiner aktuellen Ausgabe in einer großen Reportage berichtet. Die Zilbersteins fanden prompt Spuren von Morphin und Eiweißmoleküle, die auf ein Nierenleiden hindeuteten. Für das Forscherpaar der Beweis, dass Bulgakow unter dem Einfluss von Medikamenten schrieb, die er zur Linderung akuter Nierenschmerzen verwendete.

Im Fall von Anton Tschechow waren es das Hemd, in dem er starb, und sein letzter Brief, den die Zilbersteins analysierten. Tschechow litt an Tuberkulose und nahm verschiedene Substanzen als Schmerzmittel, aber er starb an einem Schlaganfall, so ihre Erkenntnisse. Im Fall von George Orwell wiederum fanden sie in einem Brief Hinweise auf eine Tuberkulose, die er sich in Spanien zugezogen hatte.

Vlad III. als nächstes Projekt

Ihr nächstes großes Projekt ist nun eben Vlad III. Denn auch hier gibt es ein Originaldokument, von dem sich die Zilbersteins neue Erkenntnisse erhoffen: Konkret geht es um einen Brief, den er am 4. August 1475 an die Einwohner von Hermannstadt (Sibiu) im heutigen Rumänien schrieb. Darin informierte er darüber, dass er sich in Kürze in dieser Stadt niederlassen würde.

Der untersuchte Brief aus dem Archiv der Stadt Hermannstadt.
Foto: Gleb Zilberstein

Im Mai dieses Jahres durfte das Forscherpaar den fast 550 Jahre alten Brief im Museum von Sibiu genauestens in Augenschein nehmen und für seine Zwecke nützen. Um genetisches Material und andere Biomoleküle zu erhalten, ohne den Brief zu beschädigen, entnahmen die Wissenschafter dessen Oberfläche mit Post-it-ähnlichen Plättchen vorsichtig alle erhaltenen Spuren, die nun analysiert werden – egal ob die Biomoleküle nun von Schweiß, Fingerabdrücken, Speichel, Blut oder Tränen (in Vlads Fall eher unwahrscheinlich) stammen.

Mit ihren Analysen erhoffen sich die Zilbersteins, eine Momentaufnahme eines molekularen Porträts von Vlad Dracula knapp zwei Jahre vor seinem Tod zu erhalten, sagt Gleb Zilberstein. Und womöglich wissen wir tatsächlich bald mehr über seine damalige Gesundheit, was er – abseits von Hinrichtungsmählern – so aß und unter welchen anderen Bedingungen er lebte. (Klaus Taschwer, 12.12.2022)