Bis vor wenigen Millionen Jahren dürften rund um den Globus zahlreiche Nashornarten die Kontinente bevölkert haben. Nach einer Aussterbewelle während der letzten Eiszeit sind heute nur mehr fünf bekannte Arten übrig: das Panzer-, das Java- und das Sumatra-Nashorn in Asien sowie das Spitzmaul- und das Breitmaulnashorn in Afrika. Sie alle sind mehr oder weniger stark vom Aussterben bedroht.

Das Breitmaulnashorn hat sich vor mehreren hunderttausend Jahren in zwei Unterarten aufgespaltet. Das Südliche Breitmaulnashorn erfreut sich dank einer Population von geschätzten 20.000 Exemplaren einer gewissen Zukunftsperspektive. Das Nördliche Breitmaulnashorn in Zentralafrika dagegen hat im Grunde schon verloren: Nur mehr zwei Individuen leben bestens bewacht und fürsorglich umhegt im kenianischen Wildtierreservat Ol Pejeta, und beide sind weibliche Tiere: die 33-jährige Najin und ihre elf Jahre jüngere Tochter Fatu. Trotzdem wollen Forschende die Hoffnungen nicht aufgeben, denn unter Einsatz modernster Reproduktionsmethoden scheint eine Rettung zumindest möglich.

Die letzten beiden Weibchen des Nördlichen Breitmaulnashorns leben im Wildtierreservat Ol Pejeta in Kenia.
Foto: Jan Stejkal, Safari Park Dvůr Králové

Keimzellen als Meilenstein

Unter anderem versucht ein Team vom BioRescue-Konsortium, Eizellen und Spermien der Nashörner künstlich im Labor zu erzeugen. Nun berichten die Forschenden im Fachjournal "Science Advances" von einem Meilenstein: Erstmals sei es gelungen, sowohl aus embryonalen Stammzellen als auch aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) primordiale Keimzellen – die Vorstufen von Eizellen und Spermien – zu züchten.

Bei dem Projekt unter der Federführung des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) versuchen die Forschenden, unter anderem aus den Hautzellen von Nashörnern Spermien und Eizellen zu generieren. Leihmütter des nah verwandten Südlichen Breitmaulnashorns, so die Idee, werden die daraus entstehenden Embryonen austragen.

Völliges Neuland

Von einem Stück Haut zum lebenden Nashorn ist es allerdings ein weiter Weg. Zwar gibt es Vorbilder – das Labor von Letztautor Professor Katsuhiko Hayashi von der Osaka University und der Kyushu University in Fukuoka, Japan, hat es bereits bei Mäusen geschafft –, doch die einzelnen Schritte sind für jede Art Neuland.

"Es ist das erste Mal, dass primordiale Keimzellen einer großen und zugleich bedrohten Säugetierart aus Stammzellen generiert werden konnten", sagte Masafumi Hayashi, Erstautor der Studie von der Osaka University. Bislang war das nur bei Nagetieren und Primaten gelungen. Anders als bei Nagetieren identifizierten die Forschenden bei den Nashörnern das Gen SOX17 als einen Schlüssel für die Entstehung der Vorläuferzellen. Das Gen spielt auch bei der menschlichen Keimzellentwicklung – und somit womöglich bei vielen Säugetierarten – eine wesentliche Rolle.

Tante Nabires Hautzelle

Die in Japan verwendeten embryonalen Stammzellen vom Südlichen Breitmaulnashorn stammen aus dem Labor von Avantea im italienischen Cremona, wo sie das Team von Cesare Galli erstmals gezüchtet hat. Die jetzt verfügbaren primordialen Keimzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns sind aus den Hautzellen von Fatus Tante Nabire entstanden. Nabire war 2015 im tschechischen Safari-Park Dvůr Králové verstorben, am Berliner Max-Delbrück-Center hatte ein Team um Sebastian Diecke ihre Zellen in iPS-Zellen umgewandelt.

Mithilfe dieser Stammzelltechniken will man auch andere gefährdete Nashorn-Spezies retten, erläutert Masafumi Hayashi: "Es gibt fünf Nashornarten, und fast alle werden in der Roten Liste der IUCN als bedrohte Arten eingestuft." Vom Südlichen Breitmaulnashorn hat das internationale Team ebenfalls primordiale Keimzellen aus Stammzellen gezüchtet. Zudem konnten die Forschenden bei beiden Nashornarten auf der Oberfläche der Vorläuferzellen zwei charakteristische Moleküle, CD9 und ITGA6, identifizieren. "Diese Marker werden uns künftig dabei helfen, in einer Gruppe pluripotenter Stammzellen die schon entstandenen primordialen Keimzellen aufzuspüren und zu isolieren", sagt Hayashi.

Die nächste Herausforderung

Nun stehen die Forschenden von BioRescue vor der nächsten Herausforderung: Die primordialen Keimzellen müssen im Labor zu funktionstüchtigen Eizellen und Spermien heranreifen. "Die Vorläuferzellen sind im Vergleich zu Eizellen relativ klein und haben vor allem noch einen doppelten Chromosomensatz", erläutert Vera Zywitza aus Dieckes Arbeitsgruppe, die an der aktuellen Studie beteiligt war. "Wir müssen also geeignete Bedingungen finden, unter denen die Zellen wachsen und ihren Chromosomensatz halbieren."

"Bei der Maus war für diesen entscheidenden Schritt die Anwesenheit von Eierstockgewebe wichtig. Da wir dieses Gewebe den beiden Nashorn-Weibchen nicht einfach so entnehmen können, müssen wir es vermutlich ebenfalls aus Stammzellen züchten", sagte Zywitza. Möglicherweise könne jedoch Eierstockgewebe von Pferden hilfreich sein, hofft die Forscherin. Denn Pferde zählen aus evolutionärer Sicht zu den engsten Verwandten der Nashörner. Um sie hat sich der Mensch in der Vergangenheit allerdings sehr viel besser gekümmert als um die wildlebenden und daher jetzt bedrohten Verwandten. (red, 13.12.2022)