Im Gastblog schildert der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer verschiedene Möglichkeiten, mit angespannten Situationen zu Weihnachten umzugehen.

So wundervoll war es damals in der Erinnerung, als ich gemeinsam mit meinem Großvater durch die Straßen des tiefverschneiten Semmerings stapfte, während das Christkind – also meine Mutter und meine Großmutter – alles vorbereitete. Ich kann heute noch die Augen schließen und fühle mich in diesen Zauber hinein, der bis in die Nacht nach der Bescherung und nach dem köstlichen Festessen anhielt. Nun, das ist ziemlich genau 40 Jahre her, und dennoch gilt dieser Abend als die Messlatte, die Benchmark aller zukünftigen Weihnachten. Geht es Ihnen auch so? Geht es Ihnen ganz, ganz anders?

Erfahrungsgemäß ist die Zeit nach den Feiertagen in Beratungsstellen, aber auch in den Praxen der Mediatorinnen und Mediatoren durchaus gut gebucht. Wieso aber ist das so, welche Lehren lassen sich vielleicht daraus ziehen, und was können wir aus Last Christmas für Next Christmas lernen?

Es muss perfekt werden – muss es das?

Wann, wenn nicht am 24. Dezember, soll das Glück perfekt werden? Wann, wenn nicht an diesem Tag, sollen die Hoffnungen bezüglich Frieden, Glück und freudestrahlender Augen wahr werden? So haben wir es ja auch schon in unserer Kindheit gelernt und erfahren. Das Essen duftet, der Christbaum glänzt. Was, wenn es aber gerade hier dann eine kleine Imperfektion gibt? Wenn der Onkel vielleicht das falsche Geschenk besorgt hat, wenn die Mutter ihren neuen Freund just an diesem Tag der Familie vorstellen will oder gar der Wein ausgeht? Was also, wenn der Druck der Hoffnung auf ein einziges schwaches Standbein trifft und das Gebäude des Bilderbuchweihnachten zu kollabieren droht? War da nicht etwas, als dieses ganze Fest begann? Wie perfekt war es denn damals, als – angenommen, die Überlieferung entspricht ansatzweise der Wahrheit – das junge Paar permanent abgewiesen wurde und dann schlicht in einem Stall ... Sie kennen wohl die Story. Der Druck war ein anderer, es ging nicht um Glanz und Glitter, nicht um Schmaus und Trank, sondern um die gegenseitige Unterstützung in einer kalten Nacht.

Was aber kann man hier raten?

Weihnachten den Zauber zu nehmen ist schlicht nicht möglich, und doch ist gerade der Anspruch, die Verbindung des 24. Dezembers mit der Hoffnung auf Glück und Frieden so oft ein Brennglas der Konflikte, ein Katalysator des unterdrückten Streits. Seien wir uns dessen bewusst, dass am Tisch nicht nur das strahlend lachende Christkind sitzt, sondern auch der Weihnachtsgrinch, dessen Freude es ist, Unfrieden zu stiften.

Was tun, wenn plötzlich ein Grinch am Weihnachtstisch sitzt?
Foto: REUTERS/David 'Dee' Delgado

Wir kennen ja seine Taktik, wir wissen um sein Bestreben, Lachen in Weinen und Wut zu verwandeln. Nehmen wir ihn in unsere Mitte und lachen wir mit ihm. Wir sind nicht das Problem, sondern er. Der Streit schleicht sich selber wie ein trotziges Kind in die Mitte der Familie und verlangt Aufmerksamkeit von uns. Geben wir sie ihm, aber nur sehr kurz. Gleich dem Vater oder der Mutter, die dem schreienden Kind an der Supermarktkasse die angebotenen Süßigkeiten verwehrt und ihm aber Aufmerksamkeit für später verspricht, können wir den Konflikt auf etwas später vertrösten: Ja, du bist da und ich sehe dich, aber wenn du nur jetzt hier bist, wirst du nicht so groß und mächtig sein. Bist du aber morgen auch noch da, können wir ja morgen reden.

Einige rein praktische Ideen

Darf ich mir erlauben, eine sehr interessante Beobachtung meines persönlichen Konfliktverhaltens hier und heute preiszugeben? Die Erfahrung zeigt, dass die Emotion sowohl den Gesichtsausdruck als auch die Stimme beziehungsweise die Tonlage verzerrt. Wer jemals ein Foto gesehen hat, auf dem er oder sie selbst in Rage verewigt wurde, weiß, wovon ich rede. Einmal abgesehen davon, dass wohl bei 99 Prozent der Menschen Lächeln attraktiver als Wut macht, wäre gerade diese Zeit eine spannende Petrischale für ein Selbstexperiment.

Merken wir, dass uns unser Gegenüber auf die sprichwörtliche Palme – in unserem Fall auf den Christbaum – bringt, so tricksen wir uns selbst ein wenig aus und nutzen den Zusammenhang von Emotion und Stimmlage aus. Ebenso wie die Wut die Stimme beeinflusst, kann die Stimme auch die Emotion beeinflussen. Eine betont ruhige Stimme, ein Sprachfluss gleich einem beschwichtigenden Freund schafft es in erstaunlicher Art und Weise, den Stresspegel zu senken und auch die Gefahr einer Eskalation zu reduzieren. Denken Sie daran, der nächste Satz wird entscheidend sein. Fangen Sie Ihren inneren Grinch mit einem Lächeln wieder ein. Er wird staunen.

Wenn es doch krachen sollte

Sollten all jene guten Gedanken und Tipps zu keiner Besserung führen und der Worst Case eintreten, so nutzen Sie die mannigfaltigen Angebote der diversen Beratungsstellen, Hotlines und Kummernummern, die genau für diesen Fall am Tag der "stillen Nacht" massiv verstärkt werden. Die Beraterinnen und Berater sind am Telefon erreichbar und hören Ihnen bei so ziemlich jedem Problem wertschätzend und in aller Ruhe zu. Reden ist besser als so ziemlich alles andere, gerade wenn die Emotionen hochkochen.

Ein weiterer Tipp klingt noch viel einfacher als der Griff zum Telefon. Führen Sie Ihren Grinch an die frische Luft oder zumindest aus dem Raum. Verlassen Sie den Raum, bevor Sie etwas sagen, das sie Stunden darauf bereuen könnten. Atmen Sie draußen einmal tief durch und überlegen Sie, wie wichtig der Streit nun wirklich ist. Im besten Fall fallen Ihnen hier auch noch bessere Argumente ein, oder vielleicht entpuppt sich der letzte Satz des Gegenübers nur als schlauer Versuch des grün-pelzigen Gefährten, Sie in Wut zu bringen. Nein, mein Freund, ich habe dich durchschaut.

Werte Leserinnen, geschätzte Leser

Nun noch ein paar persönliche Worte: Ich danke Ihnen für Ihre Kommentare zu den Beiträgen dieses Blogs. Danke für alle Kritik und alle Ideen, die die Texte noch weit über die ursprüngliche Intention erweitern. Ich wünsche Ihnen von Herzen einen friedlichen und freudigen Weihnachtsabend, ruhige, schöne und stärkende Feiertage und einen guten Start ins Jahr 2023! (Ulrich Wanderer, 23.12.2022)