Ein Korruptionsskandal erschüttert das EU-Parlament in Brüssel und damit Europa.

Foto: EPA/STEPHANIE LECOCQ

Auf einem Foto in belgischen Medien stapeln sich unzählige orange und auch blaue und grüne Scheine: Es sind Banknoten im Wert von 20, 50 und 100 Euro, offenbar in einer Gesamtsumme von bis zu 1,5 Millionen Euro – sichergestellt von belgischen Ermittlern bei drei Personen: der abgesetzten Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili, ihrem Vater und dem ehemaligen EU-Abgeordneten Pier Antonio Panzeri. Er ist Gründer und Präsident der NGO Fight Impunity (übersetzt: Kampf gegen Straflosigkeit), die immer wieder im Zuge der Ermittlungen genannt wird.

Alle drei stehen im Fokus jenes Korruptionsskandals, der Europa derzeit erschüttert: Alle drei werden verdächtigt, in illegale Tauschgeschäfte mit Katar verwickelt zu sein. Im Gegenzug für Bargeld und Geschenke wollte sich der Golfstaat, der derzeit die Fußball-WM austrägt, politischen Einfluss im EU-Parlament sichern, so der Vorwurf. Was bisher über den wohl bisher größten Korruptionsskandal in Brüssel bekannt ist.

VIDEO: Die abgesetzte Vizepräsidentin Kaili hat nach Angaben ihres Anwalts nichts mit dem bei ihr sichergestellten Bargeld zu tun. Sie habe "von der Existenz dieses Geldes nichts gewusst", sagte ihr Anwalt Michalis Dimitrakopoulos der Nachrichtenagentur AFP.
DER STANDARD

Frage: Wie heißen die Verdächtigen?

Antwort: Seit Freitag haben die belgischen Behörden bis zu 20 Wohnungen und Parlamentsbüros durchsucht und sechs Personen festgenommen. Sie wurden von der Staatsanwaltschaft nicht namentlich genannt, einige Namen drangen dennoch an die Presse. Darunter die Namen von Panzeri, Kaili, ihres Vaters sowie der Name ihres Lebensgefährten Francesco Giorgi und der von Luca Visentini, Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes. Der Vater und Visentini wurde jedoch wieder freigelassen.

Die anderen drei sowie eine vierte nicht genannte Person – nach belgischen Medienberichten ebenfalls italienischer Abstammung – kamen am Sonntag dagegen in Untersuchungshaft. Sie werden der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt. Ebenso sind in Italien zwei Personen festgenommen worden: Es handelt sich um Panzeris Frau und Tochter.

Frage: Was weiß man über die Verhafteten?

Antwort: Die Griechin Kaili war bis vor kurzem Teil der sozialdemokratischen Fraktion S&D und Vizepräsidentin des Europaparlaments. Ihr Anwalt sagt, sie sei "unschuldig". Nur ihr Lebensgefährte könne "Antworten auf die Existenz dieses Geldes" geben. Der Italiener Giorgi war im Büro des Europaabgeordneten Andrea Cozzolino (ebenfalls S&D) tätig, hatte aber auch in der Stiftung des Ex-Europaparlamentariers Panzeri, Fight Impunity, eine Beraterfunktion inne. Sein Handy wurde von den Behörden beschlagnahmt. Panzeri, ebenfalls Italiener und in seiner Heimat Mitglied einer Splitterpartei der Sozialdemokraten, saß bis 2019 der Menschenrechtskommission im Parlament vor. 2016 hatte ihn das Parlament zu einer Rückzahlung von rund 84.000 Euros aufgefordert.

Frage: Wo taucht Panzeris Stiftung Fight Impunity noch bei den Ermittlungen auf?

Nach dem, was bisher über den Skandal an die Presse gelangt ist, sind mindestens zwei der Verdächtigen eng mit der Stiftung verbunden: Gründer und Präsident Panzeri und Kailis Lebensgefährte Giorgi. Jedoch ebenfalls im Fokus der Behörden stehen zwei nicht genannte, offenbar ehemalige Mitarbeiter Panzeris. Sie waren zuletzt für zwei Europaabgeordnete tätig. Zum einen für den Belgier Marc Tarabella. Sein Büro wurden von den Behörden durchsucht, er wurde für die Dauer der Ermittlungen von seiner Partei, den Sozialdemokraten, suspendiert. Und zum anderen für Marie Arena, ebenfalls Sozialdemokratin. Die beiden Parlamentarier und auch Panzeri haben 2021 an dem gleichen Bericht von Fight Impunity zum Thema Straflosigkeit mitgewirkt. Sie weisen jedoch vehement jegliche Verbindung zur Stiftung und zu den Korruptionsvorwürfen zurück. Arena begründete ihre jüngste Reise nach Katar mit ihrer Rolle als Vorsitzende der Menschenrechtskommission im Parlament.

Frage: Was weiß man über die NGO?

Antwort: Fight Impunity setzt sich nach eigenen Angaben dafür ein, dass Straftaten nicht ungestraft bleiben – ebenso die belgischen Ermittler, die nun den Gründer der NGO, Panzeri, durchleuchten. Gegründet hat er den Verein laut Webseite im Jahr 2019. Weitere Informationen über das Team waren zuletzt nicht mehr dort abrufbar. Sollte der Verein in irgendeiner Form in den Skandal verwickelt sein, wäre das auch für seine hochrangigen, ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder brisant. Ihre Namen befinden sich sehr wohl noch auf der Webseite: darunter die ehemalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Frankreichs ehemaliger Premier Bernard Cazeneuve. Letzterer hat sich am Dienstag entsetzt über die Korruptionsvorwürfe gezeigt – er sei beinahe vor Schock umgefallen, als er davon erfahren habe, sagte er zu "Politico". Er habe sofort seinen Rücktritt vom ehrenamtlichen Vorstand eingereicht, so Cazeneuve und fügte hinzu: "Man muss pervers sein, um so etwas mit einer NGO aufzuführen."

Frage: Wer belastet den Verein?

Öffentlich hat insbesondere Visentini, der wieder freigelassene Generalsekretär des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), schwere Vorwürfe gegen die NGO erhoben. Der italienischen Zeitung "La Repubblica" sagte Visentini: "Ich bin in diese Untersuchung hineingeraten, weil ich mit der Stiftung Fight Impunity zusammengearbeitet habe." Visentini hat nach eigenen Angaben an einigen Konferenzen der NGO teilgenommen, dann aber habe sich herausgestellt, "dass es sich um eine kriminelle Organisation handelte, die im Namen und im Auftrag der Regierung von Katar und, wie es scheint, Marokko Bestechungspläne schmiedete, um zu versuchen, günstigere Bedingungen beim Europäischen Parlament zu erwirken". Er habe der Justiz die erforderlichen Informationen vorgelegt und sei auf dieser Grundlage "mit einigen minimalen Auflagen freigelassen" worden. Der IGB stellte klar, dass die belgischen Behörden zu keinem Zeitpunkt angedeutet hätten, gegen den Gewerkschaftsbund zu ermitteln. Man habe sich seit mehr als elf Jahren für eine Reform des katarischen Arbeitsrechts eingesetzt. Jede Andeutung, dass Katar oder ein anderer Akteur die IGB-Position beeinflusst habe, sei falsch. (Flora Mory, red, 14.12.2022)