Aktionen wie jene am Münchener Flughafen können auch strafrechtlich relevant sein.

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Sie blockieren Straßen und Flughäfen, kleben sich an Kunstwerke oder schütten Tomatensauce über (mit Glas bedeckte) Gemälde: Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation machen mit drastischen Aktionen auf sich aufmerksam. Dabei reizen sie ihren rechtlichen Spielraum aus oder gehen gar darüber hinaus. Aber ist die Gruppe deshalb schon als "kriminelle Vereinigung" einzustufen?

Diese Frage stellt sich nun deutschen Juristinnen und Juristen, nachdem die Bundespolizei am Dienstag zu einem großflächigen Schlag gegen die Letzte Generation ausgeholt hat. Beamtinnen und Beamte durchsuchten Wohnungen an elf Orten in ganz Deutschland. Ermittelt wird nicht nur wegen Nötigung und Hausfriedensbruchs: Auch der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung steht im Raum. Anlass der Razzia waren offenbar Aktionen gegen eine Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Mitglieder der Letzten Generation sollen dort Notfallventile einer Ölpipeline zugedreht haben.

Erinnerungen an den Tierschützerprozess

Der Vorwurf der "kriminellen Vereinigung" gegen eine Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten erinnert an einen Prozess, der sich vor rund zehn Jahren am Landesgericht Wiener Neustadt abspielte. Staatsanwälte warfen mehreren Tierschützern damals sogar das schwerwiegendere Delikt der "kriminellen Organisation" vor. Die Aktivistinnen seien für dutzende Straftaten über einen Zeitraum von zwölf Jahren verantwortlich gewesen.

Der Prozess, der von landesweiten Protesten gegen die Vorgangsweise der Behörden begleitet wurde, endete letztlich mit einem Freispruch in allen Anklagepunkten. Das Verfahren war zudem Anlass für eine Reform des Straftatbestands der "kriminellen Organisation" im Jahr 2013. Wäre eine strafrechtliche Verfolgung der Letzten Generation als "krimineller Organisation" oder als weniger stark bestrafter "krimineller Vereinigung" in Österreich also überhaupt möglich?

Strenge Voraussetzungen

Der Tatbestand der "kriminellen Organisation" – auch "Mafiaparagraf genannt – setzt voraus, dass Kriminelle eine "unternehmensähnliche" Organisation bilden, die das Ziel hat, "schwerwiegende" Straftaten zu begehen. Zudem musste diese Organisation bis 2013 entweder eine "Bereicherung in großem Umfang" oder einen "erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft" anstreben.

Mit der Reform im Jahr 2013 änderte sich das. Die Wortfolge "erheblichen Einfluss auf Politik oder Wirtschaft", auf die sich die Ankläger im Tierschützerprozess stützten, wurde aus dem Gesetz gestrichen. Strafverfolger können sich seither nur noch dann auf den Mafiaparagrafen berufen, wenn die Organisation das Ziel hat, sich finanziell zu bereichern. Im Fall der Letzten Generation gibt es darauf keinerlei Hinweise.

Weniger streng sind dagegen die Voraussetzungen für die Straftat der "kriminellen Vereinigung", die mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Eine "kriminelle Vereinigung" ist laut Gesetz ein Zusammenschluss von mindestens drei Personen, der darauf ausgerichtet ist, Straftaten zu begehen. Dabei reichen an sich schon Sachbeschädigungen, sofern diese nicht bloß "geringfügig" sind. Laut Fachliteratur sind damit Schäden gemeint, die eine Bagatellgrenze von 100 Euro "deutlich überschreiten".

Anzeige wegen Sachbeschädigung

Derzeit sind in Österreich kaum Ermittlungen gegen Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten bekannt. Straßenblockaden werden hierzulande als Verwaltungsdelikte geahndet, im Gegensatz zu Deutschland von den Gerichten aber nicht als strafbare Nötigung qualifiziert. Strafrechtlich relevant können Blockaden dagegen dann sein, wenn etwa ankommenden Rettungswagen die Zufahrt versperrt wird.

Klebe- oder Schüttaktionen gegen Kunstwerke können freilich ebenfalls strafbar sein. So wurde im Fall der Klimaaktivistinnen, die sich an das Dinosaurierskelett im Naturhistorischen Museum in Wien klebten, Anzeige wegen versuchter Sachbeschädigung erstattet.

"Dehnbarer Begriff"

"Entscheidend ist immer, ob die fraglichen Delikte schwerwiegend genug sind", sagt Robert Kert, Professor für Strafrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien. Problematisch könnte sein, dass in Österreich auch Sachbeschädigungen erfasst sind, solange diese nicht bloß "geringfügig" ausfallen. Wenn Gemälde überschüttet werden, sich diese jedoch leicht reinigen lassen, sei die Voraussetzung aber keinesfalls gegeben. Juristisch könnte man gegen eine Einstufung als kriminelle Organisation zudem vorbringen, dass die Straftaten nur ein "Nebeneffekt" sind und die Vereinigung nicht auf die Begehung von Straftaten ausgerichtet sei, um das Ziel der Aktivistinnen und Aktivisten zu erreichen. "Das können Gerichte aber auch anders sehen", sagt Kert zum STANDARD.

Aus Sicht von Stefan Traxler, der die Angeklagten im Tierschützerprozess verteidigt hat, wäre eine Einstufung der Letzten Generation als krimineller Vereinigung in Österreich durchaus denkbar. Die Beteiligung daran lasse sich für die Staatsanwaltschaft relativ leicht begründen. Dafür reicht es nämlich schon, wenn jemand die strafbaren Handlungen "fördert" – ein dehnbarer Begriff, wie Traxler im STANDARD-Gespräch betont. Den Paragrafen hält der Anwalt für "problematisch". Er sei so breit formuliert, "dass damit unter Umständen auch Ausreißer erfasst werden, die der Gesetzgeber eigentlich nicht erfassen wollte".

Aus Sicht von Kert muss man sehr vorsichtig dabei sein, die Delikte auf zivilgesellschaftliche Gruppen anzuwenden. "Damit würde man zivilen Ungehorsam kriminalisieren, was nicht das Ziel dieser Bestimmungen ist", sagt der Strafrechtler. "Ich glaube aber, dass der Tierschützerprozess da bewusstseinsbildend gewirkt hat." (Jakob Pflügl, 14.12.2022)