Mit KI lassen sich nicht nur Bilder wie diese erstellen, sondern auch pflanzliche Ersatzprodukte entwickeln.

Foto: DER STANDARD / Koch / Midjourney

Geht es darum, tierische Produkte durch pflanzliche Zutaten zu ersetzen, ist Giuseppe ein Feinschmecker mit ganz schön seltsamen Ideen. Er kombiniert Ananas und Kohl, um den Geruch und Geschmack von Kuhmilch nachzuahmen. Er weiß, dass Tomaten, Erdbeeren und Pfirsiche nach Hühnchen schmecken, wenn man die Früchte auf bestimmte Art und Weise mischt.

Giuseppe ist kein Chefkoch mit geschärften Sinnen, sondern eine künstliche Intelligenz (KI). Entwickelt wurde sie vom chilenischen Unternehmen The Not Company, auch Notco genannt, das im Jahr 2015 von Karim Pichara, Matias Muchnick und Pablo Zamora gegründet wurde.

Die Überlegung dahinter: Auf der Welt existieren laut Schätzungen der Weltnaturschutzunion (IUCN) rund 380.000 Pflanzenarten. Viele davon könnten sich als Zutaten für pflanzliche Ersatzprodukte eignen. Doch Menschen ist es nahezu unmöglich, diese Menge effizient und in kurzer Zeit zu untersuchen. Giuseppe dient Notco deshalb als helfende Hand in der Produktentwicklung. "Die KI unterstützt Küchenchefs und Ernährungswissenschafter in der Kreation von pflanzlichen Produkten", sagt Karim Pichara, der die KI entwickelt hat, in einem Vortrag an der Harvard University.

Karim Pichara, Matias Muchnick und Pablo Zamora (v.l.n.r.) gründeten im Jahr 2015 The Not Company.
Foto: The Not Company

Mit Daten zum Rezept

Die Grundlage für die KI bilden – wie bei den meisten Algorithmen – jede Menge Daten. Neben Angaben zu tausenden Pflanzenarten, Lebensmitteln und Nährstoffen nutzt Giuseppe hauseigene Daten, die Notco täglich im Labor sammelt. Mit Geräten durchleuchten sie tierische Produkte bis auf die molekulare Ebene und speisen die gewonnenen Informationen in die Datenbank ein.

Entwickelt das Notco-Team ein neues Produkt, wählt es über die Benutzeroberfläche von Giuseppe das tierische Produkt aus, das sie pflanzlich nachahmen möchten. Giuseppe analysiert dann die Eigenschaften der tierischen Produkte – vom Geschmack bis hin zum Nährstoffgehalt – und gleicht sie in der Datenbank mit pflanzlichen Alternativen ab. Er geht tausende Varianten durch, bis er eine Kombination findet, die dem tierischen Original am nächsten kommt, und schlägt ein erstes Rezept vor.

Die Köchinnen und Köche im Labor bereiten es zu und prüfen, wie die Kreation schmeckt, aussieht und riecht. Die gesammelten Informationen spielen sie in die Datenbank zurück, und Giuseppe schlägt eine neue Rezeptur vor. Nach und nach nähert sich das Team dadurch dem finalen Ersatzprodukt.

In der Küche testen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Notco täglich die Rezepte, die Giuseppe vorschlägt.
Foto: Foto: AFP / Martin Bernetti

Schnelle Entwicklung und Skalierung möglich

Notco hat dadurch schon einige pflanzliche Ersatzprodukte aus eher ungewöhnlichen Zutaten entwickelt. Die pflanzliche "Notmilk" besteht etwa aus Ananas- und Kohlsaft, Erbsenprotein, Sonnenblumenöl und anderen pflanzlichen Zutaten. Der "Notburger" enthält neben Erbsenprotein und Kokosöl etwa Bambusfasern, Kakao- und Spinatpulver.

Zwar besteht der pflanzliche Burger zum Teil aus ähnlichen Zutaten wie vergleichbare Produkte am Markt, darunter Beyond Meat oder Impossible Meat. Trotzdem bezeichnen viele in der Foodbranche die KI als Gamechanger. Denn wie authentisch pflanzliche Ersatzprodukte schmecken, sehen viele als entscheidend für den Erfolg der Produkte am Markt. Gleichzeitig ermöglicht es die KI, die veganen Produkte schneller zu entwickeln, da sie stetig mit neuen Daten gefüttert wird und dazulernt, erklärt Gründer Matias Muchnik in einem Interview mit Yahoo Finance.

Während sie ihr erstes Produkt, eine pflanzliche Mayonnaise, noch in 18 Monaten entwickelten, dauert es bei ihrem pflanzlichen Burger gerade mal drei Monate. Zudem sind die Produkte laut Muchnik schnell skalierbar, da die pflanzlichen Zutaten bereits existieren und direkt für die industrielle Produktion verfügbar sind.

Notco zielt auf Wandel im Lebensmittelsystem ab

Theoretisch ermöglicht es Giuseppe, pflanzliche Alternativen zu jedem erdenklichen tierischen Produkt zu entwickeln. Als Nächstes plant Notco etwa eine pflanzliche Alternative zu Fisch. Langfristig verfolgt das Unternehmen das Ziel, das Lebensmittelsystem nachhaltiger zu gestalten und dabei "das Tier aus der Gleichung zu nehmen".

Derzeit sind Fleisch und Milchprodukte laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) für etwa 14,5 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. 80 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Flächen werden in irgendeiner Art für Nutztiere verwendet – sei es als Weide oder weil dort Futter angebaut wird. Pflanzliche Alternativen gelten grundsätzlich als klimafreundlicher. Je nach Produkt stößt ein pflanzlicher Fleischersatz zwischen 30 und 90 Prozent weniger Treibhausgase aus als konventionelles Fleisch und verbraucht weniger Fläche, schätzt das Good Food Institute.

Im Labor zerlegt das Team von Notco tierische Produkte in ihre Bestandteile. Die gesammelten Informationen fließen in die Datenbank der KI.
Foto: AFP / Martin Bernetti

Zutaten bestimmen Umweltbilanz

Doch wie umweltfreundlich die mit Giuseppe entwickelten Produkte letztendlich sind, hängt stark von den verwendeten Zutaten ab. Forschende der Leuphana-Universität in Lüneburg schreiben, dass bei pflanzlichen Milch- und Fleischalternativen generell die gesamte Wertschöpfungskette zu beachten ist. Nicht nur der Geschmack und gesundheitliche Aspekte zählen, sondern auch, ob die Produkte unterm Strich umweltverträglich sind.

Für KIs wie Giuseppe bedeutet das: Sie müssen die Umweltbilanz der eingesetzten pflanzlichen Zutaten berücksichtigen. Von Bedeutung ist etwa, woher sie stammen, wie sie angebaut werden und welche Ressourcen in den Anbau fließen. Ob eine Zutat viel Wasser und Fläche verbraucht, wirkt sich stark auf die Ökobilanz des Endprodukts aus. Gleiches gilt für den Einsatz von Düngern und Pestiziden. Wie weit die Pflanzen zur Produktion transportiert werden müssen bestimmt, wie viele CO2-Emissionen vom Feld bis ins Supermarktregal anfallen. All das sind Dinge, die eine KI beachten muss, damit sich die pflanzlichen Ersatzprodukte letztendlich positiv auf das Klima und die Artenvielfalt auswirken.

Giuseppe soll auch andere Hersteller unterstützen

Bisher fanden sich aufseiten von Notco nur wenige Hinweise darauf, inwieweit Giuseppe diese Aspekte bei den Rezepten berücksichtigt. Laut eigenen Angaben nutzt Notco keine chemischen Prozesse, um die pflanzlichen Zutaten zu verändern. Zudem stammen keine Inhaltsstoffe aus gentechnisch veränderten Produkten, heißt es auf ihrer Website.

Viele Unternehmen und Investoren hat Notco mit Giuseppe bereits angelockt. Sie kooperieren mit Burger King, Kraft Heinz und der Supermarktkette Whole Foods. Zudem haben einige prominente Namen in das Unternehmen investiert, darunter Amazon-Gründer Jeff Bezos, der Ex-Tennisprofi Roger Federer und der Rennfahrer Lewis Hamilton.

Erst kürzlich sammelte Notco in einer Finanzierungsrunde 70 Millionen Dollar ein. Mit dem Geld will Notco laut Forbes eine Plattform schaffen, über die auch andere Hersteller die KI in der Produktentwicklung nutzen können. In Zukunft könnte Giuseppe also auch in anderen Produktlaboren dieser Welt stehen, um dort unerwartete Kreationen aus pflanzlichen Zutaten zu entwickeln. (Florian Koch, 16.12.22)