Krankheitswellen und Lieferengpässe führen dazu, dass es in Österreichs Apotheken derzeit da und dort zu Knappheiten kommt.

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Nicht wenige ärgern sich dieser Tage, wenn sie in Apotheken einkaufen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der viele unter Krankheiten leiden, sind zahlreiche Medikamente nicht lieferbar. Davon betroffen sind nicht etwa hochpreisige und innovative Arzneimittel, die bei spezielleren Krankheiten zum Einsatz kommen – sondern alltägliche Medizin, Massenware, wenn man so will: Antibiotika, Schmerzmittel, Fiebersenker.

500 Produkte seien derzeit nicht lieferbar, erklärte Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Apothekerkammer, auf Ö1. Das ist zwar noch weit entfernt vom Höhepunkt der Corona-Pandemie, als die Anzahl der nicht lieferbaren Arzneien mehr als doppelt so hoch lag, bei 1100 Produkten. Dennoch bekommt so mancher Apothekenkunde die Knappheit bereits zu spüren.

500 Produkte nicht lieferbar

Woran liegt's? DER STANDARD hat sich unter Gesundheitsexperten und Branchenvertretern umgehört. Gleich mehrere Faktoren treffen aufeinander. Da wäre zunächst die äußerst hohe Nachfrage. Sie resultiert aus der gesundheitlichen Situation im Land. Gleich drei Krankheitswellen grassieren zurzeit parallel: Grippe, RSV und Corona.

Die hohe Nachfrage trifft auf einen Markt, der sich seit langem im Umbruch befindet. Billige Allerweltsmedizin, bei der der Patentschutz abgelaufen ist, wird inzwischen wegen der geringen Produktionskosten fast ausschließlich in Asien hergestellt, in Indien etwa oder China. Bei vielen Produkten mit Engpässen kommen die Wirkstoffe von dort, in Europa erfolgen lediglich die letzten Schritte in Form der Verarbeitung zu Tabletten oder Saft, erklärt Sylvia Hofinger, Geschäftsführerin des Fachverbands der chemischen Industrie der Wirtschaftskammer, der auch für die Pharmabranche zuständig ist.

Das letzte Penicillin-Werk

Dass EU-weit nur noch ein einziges Penicillin-Werk besteht, jenes der Novartis-Tochter Sandoz in Kundl in Tirol, sorgte schon in der Pandemie für Schlagzeilen. Seither hat sich an der Lage nichts geändert.

Aus Asien wiederum läuft die Versorgung immer wieder schleppend – ein Missstand, der bekanntermaßen nicht nur bei Pharmaprodukten für Debatten sorgt. Ein wichtiger Grund dafür sind Lieferverzögerungen infolge der Corona-Lockdowns in China. Aber auch Indien sorgt für Probleme: Das Land verhängte etwa 2020 wegen Corona eine Exportsperre für bestimmte Medikamente – die Folge war ein Paracetamol-Engpass in Europa. Ein ähnliches Problem gab es bei Thrombolytika, also Medikamenten gegen Thrombose, als einer der Marktführer in Europa wegen einer geplanten Kapazitätsausweitung seine Produktion pausierte.

Forderung nach einem Notfalllager

Der Pharmagroßhandel fordert deshalb seit Beginn der Pandemie ein Notfalllager für Medikamente in Österreich. Es solle "vielleicht 200 Produkte, die man nicht gut austauschen kann", umfassen, sagt Pharma-Großhandelsvertreter Andreas Windischbauer.

Sylvia Hofinger von der chemischen Industrie beklagt die "Orientierung am Billigstanbieter", die vor allem bei Generika, also nachgebauten Billigpräparaten, die Versorgungssicherheit gefährde. "Wir müssen die strategische Autonomie der EU mehr im Blick haben." Es gelte gesamteuropäisch zu planen, welche Produktionsbereiche nach Europa zurückzuholen seien und in welchen eine Bevorratung wichtiger Arzneien ausreiche. Hofinger fordert überdies einen "Pro-EU-Bonus", also einen Preiszuschlag bei Medikamenten, die in Europa hergestellt wurden.

Was die EU plant

Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits getan: Im Jahr 2024 soll in Kundl ein weiteres Antibiotikawerk eröffnet werden. In der EU indes wird daran gearbeitet, den Informationsaustausch zwischen den Ländern zu verbessern, ebenso plant man Modelle der Bevorratung in den EU-Ländern.

"Die aktuelle Engpasslage wird sich entspannen, wenn sich der saisonal bedingte Bedarf wieder verringert", sagt Hofinger. "Aber wenn nichts geschieht, werden die Engpässe in den kommenden Jahren noch um einiges schlimmer sein." (Josef Gepp, 15.12.2022)