Irmgard F. bei einer Anhörung im November 2021.

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Itzehoe – Eine ehemalige Sekretärin des KZs Stutthof, Irmgard F., ist der Beihilfe zum Mord in mehr als 10.000 Fällen schuldig gesprochen worden. Das Landgericht verurteilte die 97-Jährige am Dienstag zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Die Angeklagte war von Juni 1943 bis April 1945 als Zivilangestellte in der Kommandantur von Stutthof bei Danzig tätig. Damit habe sie den Verantwortlichen des Konzentrationslagers bei der systematischen Tötung von Inhaftierten Hilfe geleistet.

Weil sie zur Tatzeit erst 18 bis 19 Jahre alt war, fand der Prozess vor einer Jugendkammer statt. Mit dem Urteil entsprach das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert. Die 15 Nebenklagevertreter hatten sich zum großen Teil der Strafforderung der Staatsanwaltschaft angeschlossen.

"Die im 98. Lebensjahr stehende Angeklagte hat ihre gerichtliche Schuldigsprechung wegen Beihilfe zum mehrtausendfachen Mord erhalten. Mehr kann staatliches Strafrecht inhaltlich nicht leisten", erklärte der Rechtsanwalt Hans-Jürgen Förster, der vier Stutthof-Überlebende als Nebenkläger vertrat. "Die Gerechtigkeit hat kein Verfallsdatum und ein langes Gedächtnis – wenn es Menschen gibt, die sich dieser Haltung verpflichtet fühlen. Das ist gerade in diesen Tagen ein weithin sichtbares Signal", betonte Christoph Heubner, der Exekutivvizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees.

Späte Reue

Der Prozess hatte am 30. September 2021 begonnen. An den 40 Verhandlungstagen hörte das Gericht acht der zeitweise 31 Nebenkläger als Zeugen. Die Überlebenden des Lagers berichteten vom Leiden und massenhaften Sterben in Stutthof. Wichtigster Zeuge war jedoch der historische Sachverständige Stefan Hördler, der sein Gutachten in 14 Sitzungen vorstellte. Die Verteidigung hatte einen Befangenheitsantrag gegen ihn gestellt, den das Gericht aber ablehnte.

Die Angeklagte hatte sich anfangs dem Verfahren nicht stellen wollen. Am ersten Verhandlungstag verschwand sie frühmorgens aus ihrem Seniorenheim in Quickborn. Die Polizei griff sie Stunden später auf einer Straße in Hamburg auf. Das Gericht erließ einen Haftbefehl. Die damals 96-Jährige verbrachte fünf Tage in Untersuchungshaft.

Erst ganz zum Schluss des Prozesses hatte sie ihr Schweigen gebrochen. "Es tut mir leid, was alles geschehen ist", sagte sie in ihrem letzten Wort. Die 97-Jährige fügte hinzu: "Ich bereue, dass ich zu der Zeit gerade in Stutthof war. Mehr kann ich nicht sagen." (APA, 20.12.2022)