Im Gastblog schreibt Sexualberaterin Nicole Siller über Faktoren, denen im Sinne der Sexualität mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Aufregende Begegnungen, sinnliche Erotik, freudige und lustvolle Sexualität – wer wünscht sich das nicht immer wieder? Aus meiner langjährigen Erfahrung heraus gibt es ganz wichtige Zutaten, die wir jederzeit bewusst forcieren können. Oder eben auch nicht. Ich greife ein paar essenzielle Tools heraus, die wir immer dabeihaben, wenn wir wollen, und die gar nichts kosten: Interesse, unsere Körper, Wärme, Nähe, Zeit und Intimität. Hilfreich ist es in jedem Fall, wenn wir bewusst damit umgehen. Eine Einladung.

Unsere Körper sind Instrumente der Lust – wie gehen wir damit am besten um?
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Interesse und gesehen werden

Echtes Interesse am Menschen ist oft wie ein schönes "Vorspiel". Klingt banal? Ist es auch. Doch echtes Interesse zu zeigen ist nicht selbstverständlich, oft sind wir mit den Gedanken oder den Augen ganz woanders. Ganz ehrlich, es macht viel mit uns, wenn wir wirklich gesehen, gehört und wahrgenommen werden, wenn uns Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegengebracht wird. Wenn wir einander zuhören, um verstehen zu wollen, statt Antworten und Gegenargumente vorzubereiten, können Nähe und Freude entstehen, vielleicht sogar Verbundenheit. Am Beginn einer Beziehung genießen wir dies meist besonders. Mangelndes ehrliches Interesse, weil wir glauben, voneinander eh schon alles zu wissen, ist einer der Beziehungs- und Lustkiller schlechthin. Could be so easy.

Wärme, unser Körper mit all seinen Sinnen

Unsere Körper sind Instrumente der Lust, vor allem wenn wir uns trotz Hüftgolds und anderer vermeintlicher Makel wohlfühlen in unserem Körper – und uns warm genug ist. Eine Studie der Uni Groningen hat herausgefunden, dass vor allem Frauen leichter zu einem Orgasmus kommen, wenn sie warme Füße haben. Hm, doch Socken tragen?

Klar, es braucht nicht nur warme Füße, sondern immer wieder geistige, visuelle, auditive und emotionale Impulse. Auch so etwas wie Hauthunger, also eben dieses intrinsisch motivierte Bedürfnis nach Körpernähe. Finger, Augen, Hände, Lippen, Ohren, Münder, Nasen, unseren ganzen Körper haben wir immer dabei. Schon nach 20 Sekunden Umarmung wird das glücklich machende Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das anregen und entspannen kann.

Wenn es uns dann auch gelingt, unsere Sinne in den Momenten der Begegnung wahrzunehmen und damit auch zu spüren, worauf wir und unser eigener Körper Lust haben, wir uns aufeinander einlassen, also in Resonanz gehen mit dem Körper und den Bedürfnissen des Partners oder der Partnerin, steht dem Genuss nichts mehr im Weg.

Nähe, Verbindung und Abstand

Ein einfaches Wort birgt viel Tiefgang. Oftmals haben wir ganz unterschiedliche Vorstellungen von Nähe. Da gibt es Menschen, die sagen voneinander, wir haben wenig Nähe, und meinen damit, dass sie nicht Händchen halten, sie betreten aber einen Raum, und sofort spürt man, die beiden haben eine gute Verbindung miteinander, ja, es prickelt richtig. Andere erzählen mir, sie haben viel Nähe, weil sie beispielsweise oft gemeinsam am Sofa nebeneinander liegen und einander "eh berühren". Allerdings sind beide mit anderem beschäftigt, nicht mit einander. Wie viel und welche Nähe darf es wann sein? Physische? Emotionale? Gedankliche Nähe? Intuitive, vielleicht auch spirituelle Nähe? Oder gilt nur sexuelle Nähe als "echte Nähe"? Was ist es, was wohltuende Nähe ausmacht?

In welchen Situationen oder Momenten fühlen wir uns gut verbunden? Das ist ja oft recht unterschiedlich und vielen Menschen kaum bewusst.

Wie genau fühlen wir uns, wenn wir uns selbst gut spüren, uns damit auch wohlfühlen und jemand anderem nahe verbunden sind? Oft werden diese Gefühle ganz unterschiedlich beschrieben oder gar nicht ins Bewusstsein geholt.

Wenn es gelingt, zusätzlich immer wieder Zeit für sich zu genießen, sich ein bisschen frei und ungebunden zu fühlen, während natürlich die gemeinsam definierten Werte – Ehrlichkeit, Treue etc. –, die die Basis der Beziehung sind, halten, dann können wir immer wieder aufeinander zugehen, einander erobern, um Nähe bewusst und immer wieder frisch zu genießen.

Zeit und Aufmerksamkeit

Ja, die Zeit, diese seltsame Zeit, die manchmal verfliegt und dann einfach nicht verstreichen möchte. Das Thema Zeit füllt mittlerweile nicht nur Bücher, sondern Bibliotheken. Fakt ist, wir alle haben jeden Tag 24 Stunden und damit auch täglich 1.440 Minuten. Was wir damit tun, obliegt jedem selbst. Es ist ja scheinbar immer noch cool zu sagen, "leider habe ich keine Zeit" – aber stimmt das? Drücken wir damit vielleicht eigentlich aus, dass wir oft sehr fremdbestimmt sind? Oder in Hamsterrädern leben? Ganz ehrlich, jeder und jede von uns verbringt "nebenbei" viel Zeit mit allerlei Ablenkungen. Was würde sich innerhalb einer Beziehung verändern, wenn wir uns bewusst etwas mehr Zeit für Nähe und Intimität nehmen? Was würde sich innerhalb einer Beziehung verändern, wenn jeder ausreichend Zeit für sich selbst hat?

Braucht es viel Zeit für echte Aufmerksamkeit? Nein, oder? Was es aber braucht, ist so etwas wie den klaren Willen, ein bisschen Fokus und auch etwas Übung, ganz da zu sein. Jetzt. Im Moment. Hier. In der Berührung. Im Augen-Blick, in dem wir einander ansehen und vielleicht berühren, miteinander sprechen. Vielleicht über etwas Persönliches, Perspektivisches oder Schönes. Lassen wir doch Alltagsthemen und Probleme mal bewusst raus.

Intimität und Berührbarkeit

Bei Intimität denken viele Menschen sofort an Sex. Aber Intimität hat viele Bedeutungen, von Innigkeit bis Vertrautheit, Wärme, vielleicht auch Geborgenheit, vielleicht auch Sexualität. Wo beginnt Intimität, und wo endet sie? Wen lassen wir in unsere Intimität herein? Welche Wege kennen und mögen wir zur eigenen Intimität, zu unserer Berührbarkeit? Wir können einander berühren im Sinne von angreifen und sind innerlich trotzdem unberührt. Hier spreche ich die emotionale Berührbarkeit an, dieses Gefühl, in dem Nähe, Verbindung, ganz natürliche und intensive Aufmerksamkeit, vielleicht auch Intimität da sind. Diese Berührbarkeit, die Lust auf mehr machen kann. (Nicole Siller, 23.12.2022)