Rekonstruktionen vergangener Temperaturen und Klimamodellsimulationen lieferten unterschiedliche Ergebnisse, die Fachwelt spricht vom "Holozän-Temperaturrätsel".

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Zahllose Faktoren steuern das Klima der Erde, und nicht in allen Regionen der Welt sind die Reaktionen auf diese Einflussgrößen einheitlich. Dies zeigt sich etwa auch bei Modellen und Temperaturrekonstruktionen der vergangenen 12.000 Jahre, die erdgeschichtlich als Holozän bezeichnet werden. Forschende bezeichnen dieses Phänomen als "Holozän-Temperaturrätsel". Ein internationales Team konnte kürzlich nachweisen, wie komplex die Temperaturentwicklung dieses Zeitabschnitts regional ist.

Um Aussagen zum Klima der Zukunft machen zu können, kommen auch Modelle und Rekonstruktionen des vergangenen Klimas zum Einsatz. Zu verstehen, wie und warum sich das Klima in der Vergangenheit verändert hat, ist dabei wichtig, um Modelle zu testen und Unsicherheiten bei Klimavorhersagen zu verringern. In diesem Zusammenhang wurden die Veränderungen der durchschnittlichen Oberflächentemperatur der Erde während der aktuellen Zwischeneiszeit, dem Holozän (etwa die letzten 12.000 Jahre), in der Forschung eingehend diskutiert.

Widersprüchliche Resultate

Rekonstruktionen vergangener Temperaturen scheinen darauf hinzudeuten, dass die globale Durchschnittstemperatur vor etwa 6.000 Jahren ein Maximum erreichte und sich bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Klimakrise während der Industriellen Revolution abkühlte. Klimamodellsimulationen deuten dagegen auf eine kontinuierliche Erwärmung seit Beginn des Holozäns hin. Im Jahr 2014 nannten Forschende diese große Diskrepanz zwischen Modellen und vergangenen Klimabeobachtungen das "Holozän-Temperaturrätsel".

Nun hat eine Gruppe um Olivier Cartapanis vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (Marum) an der Uni Bremen die größte verfügbare Datenbank mit Temperaturrekonstruktionen aus der Vergangenheit genutzt, um die geografischen Muster der Temperaturveränderungen während des Holozäns zu untersuchen. Das Team stellte dabei fest, dass es – anders als bisher angenommen – in den vergangenen 12.000 Jahren keine global synchrone Wärmeperiode gab.

Zweifelhafte Vergleiche

Stattdessen finden sich die wärmsten Temperaturen zu unterschiedlichen Zeiten nicht nur in verschiedenen Regionen wieder, sondern auch zwischen Ozean und Land. Dies, schlussfolgern die Forschenden, werfe die Frage auf, wie aussagekräftig Vergleiche der globalen Mitteltemperatur zwischen Rekonstruktionen und Modellen tatsächlich sind.

"Die Ergebnisse stellen das Paradigma eines weltweit synchronen thermischen Maximums im Holozän infrage", sagte Cartapanis. Während die höchste Temperatur in Westeuropa und Nordamerika vor 4.000 bis 8.000 Jahren erreicht wurde, sank die Oberflächentemperatur der Ozeane in den mittleren und hohen Breiten seit etwa 10.000 Jahren und blieb in den Tropen stabil. Die regionale Variabilität des Zeitpunkts der Höchsttemperaturen deute darauf hin, dass die Sonneneinstrahlung in hohen Breiten und die Eisausdehnung eine wichtige Rolle bei den Klimaveränderungen während des Holozäns spielten.

Orientierungshilfen

"Da Ökosysteme und Menschen nicht die mittlere Temperatur der Erde erfahren, sondern von regionalen und lokalen Klimaveränderungen betroffen sind, müssen die Modelle die räumlichen und zeitlichen Muster des Klimawandels richtig erfassen, um den politischen Entscheidungsträgern eine Orientierungshilfe zu geben", sagte Cartapanis, Co-Autor der im Fachjournal "Nature Communications" erschienenen Studie.

Die neue Arbeit stelle somit ein klares Ziel für Klimamodelle dar, denn die Fähigkeit der Klimamodelle, die Klimaschwankungen des Holozäns in Raum und Zeit zu reproduzieren, wird das Vertrauen in ihre regionalen Projektionen des künftigen Klimawandels erhöhen, so die Forschenden. (red, 23.12.2022)