Der Optimismus der späten 1990er-Jahre war auch das vorherrschende Gefühl zur Jahrtausendwende. Das Lächeln wirkt heute fast hämisch. Wer knapp danach zur Welt kam, erlebt als junger Erwachsener serienweise Krisen.

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Jahrtausendwende – wer hatte zum Jahreswechsel 2000 nicht eine rosarote Brille auf? Der Kalte Krieg war vorüber, in Europa wurde, dank des Schengen-Abkommens, Reisen ohne Grenzkontrollen möglich, und mit der Euro-Bargeldeinführung stand eine gemeinsame Währung vor der Tür. Zudem hatte die erste Welle der Internet-Euphorie die Welt erfasst, die wirtschaftliche Zukunft deutete auf zunehmenden Wohlstand hin. Wer damals in freudiger Erwartung von Nachwuchs war, glaubte, seine Kinder in die beste aller Welten zu setzen. Es sollte anders kommen.

Klima als heißes Thema

Klimaveränderung, Corona-Pandemie, Energiekrise, Inflation und der Ukraine-Krieg. 23 Jahre später bietet sich ein düsteres Bild, eines von nicht enden wollenden Dauerkrisen. Wie wirkt das auf junge Menschen?

Mit welchen Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen blicken Anfang des Jahres 2000 Geborene heute als junge Erwachsene auf die Welt? Welches Urteil stellen sie ihren Vorgängergenerationen aus? DER STANDARD hat mit vier von ihnen gesprochen.

Eine Sorge eint sie: Die Klimakrise lässt keinen kalt – schließlich würden sie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die erschreckenden Auswirkungen noch selbst erleben, sollten wir jetzt die Klimaziele verfehlen.

Unverständnis für Ältere

Es herrscht Unverständnis, warum diese Existenzfrage von vielen älteren Personen noch immer auf die leichte Schulter genommen wird. Ob die Ziele noch zu erreichen sind, darüber gehen die Ansichten auseinander. Auch schwingt bei den jungen Erwachsenen eine Unzufriedenheit mit der Politik mit. Ihre Generation fühlt sich und ihre Interessen im derzeitigen politischen System, das von alten Leuten beherrscht werde, nicht ausreichend vertreten.

Auch andere Themen bieten Konfliktpotenzial mit älteren Generationen, etwa die Flüchtlingsfrage. Dennoch: Trübsalblasen ist keine Alternative. Obwohl die befragten Vertreter der sogenannten Generation Z, zu der auch der Jahrgang 2000 zählt, politische und gesellschaftliche Entwicklungen kritisch sehen, sind sie für ihre eigene, persönliche Zukunft zuversichtlich.

Sarah H. "Klimatechnisch bin ich nicht sehr positiv eingestellt."

Sarah H. sorgt sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft bei Themen wie Corona, Klima oder Migration.

Die Corona-Pandemie hat Sarah H. einen Strich durch ihre Lebensplanung gemacht. Anfang 2020 war für ihr Tourismusstudium ein Praktikum in Kanada fix geplant, vier Tage vor Abflug wurde wegen der Covid-Lockdowns alles gestrichen. Das hat der im März 2000 geborenen Bayerin gezeigt, auf welch wackeligen Beinen der Fremdenverkehr steht – weshalb sie nach dem Bachelor in Tourismus umgesattelt hat. Seit September 2021 studiert sie in Krems Marketing und lebt in der nahegelegenen Ortschaft Rehberg in einer Dreier-WG mit ihrem Freund. Hier, an der Schnittstelle zwischen Stadt und Land, fühlt sich die in Regensburg aufgewachsene Deutsche wohl in Österreich. Man versteht sich, das Essen schmeckt.

Marketing hat es Sarah angetan, sie will mehr darüber wissen und "die Schmähs dahinter durchschauen". Auch privat sehe sie gerne Werbung, um zu beurteilen, wie versucht werde, das Interesse der Menschen zu ködern. Später will sie Karriere machen, der Kinderwunsch ist bei ihr grundsätzlich gegeben, aber nicht spruchreif. Im Allgemeinen fühlt sie sich, nicht zuletzt dank elterlicher Unterstützung, privilegiert und blickt zuversichtlich in ihre private Zukunft – während ihr die globalen und gesellschaftlichen Entwicklungen Bauchschmerzen bereiten.

"Da hakt es komplett im System"

Dazu zählt als "sehr großes Thema" die Erderwärmung. "Klimatechnisch bin ich nicht sehr positiv eingestellt", sagt sie und verweist auf die Klimaziele 2050, bei deren Verfehlen riesige Flächen menschenfeindlich werden könnten. "Es ist ein Wahnsinn, das ist nicht mehr so weit weg." Sie selbst versucht, nachhaltig zu leben, isst zwar Fleisch, besitzt aber kein Auto und nutzt stattdessen Bus und Zug. Allerdings nicht, ohne schon beim Treffen am Bahnhof in Krems die schlechten Verbindungen nach Wien und in die niederösterreichische Landeshauptstadt St. Pölten zu bemängeln. Kein Verständnis hat sie, wenn Flüge billiger sind als Zugfahrten: "Da hakt es komplett im System." Über den hohen Fleischkonsum sagt Sarah später beim Gespräch im Kaffeehaus: "Wenn man um fünf Euro pro Kilo Fleisch kaufen kann, läuft etwas falsch."

Warum es solche Strukturen gibt und warum sie so schwer zu verändern sind? "Ich glaube, dass es nur um Geld und Lobbyismus geht", sagt sie zur Begründung. Eine Ursache sei auch die Demografie. Aus Sarahs Sicht gibt es zu viele alte Leute, die langfristigen Interessen der Jungen seien daher unterrepräsentiert. Dennoch hält sie nicht allzu viel von den Aktionen der sogenannten Letzten Generation, auch als Klimakleber bekannt. Sie fürchtet, dass Aktionen gegen Kunstwerke auf Unverständnis stoßen und für die Sache kontraproduktiv sind. Vielmehr sollten Privatflugzeuge gestoppt werden. "Kein Mensch braucht einen Privatjet", ist sie überzeugt.

Spaltung der Gesellschaft

Im Frühjahr 2022 holte die Corona-Pandemie Sarah neuerlich ein. Sie benötigte einige Wochen, um sich vollständig von einer Infektion samt Lungenentzündung zu erholen. "Das war ziemlich heftig", sagt sie und sorgt sich wegen der gesellschaftlichen Folgen. Als besonders beklemmend empfand sie, wie die Diskussion über Corona die Gesellschaft gespalten habe. Rechte Parteien förderten Sollbruchstellen in der Gesellschaft bewusst, auch bei Themen wie Flüchtlingen und dem Klima.

Bis auf Weiteres will Sarah in Österreich bleiben, besonders die Hauptstadt hat es ihr angetan. "Wien ist gefühlt meine Stadt. Ich liebe Wien." Später kann sie sich auch ein Leben auf dem Land gut vorstellen. Wird sie den LebensStandard ihrer Eltern halten können? "Ich glaube schon, weil ich eine ziemlich gute Ausbildung habe." Ob Junge heute einen schwereren Start ins Erwachsenenleben haben als früher? "Das kann man so nicht sagen", gibt sich Sarah diplomatisch. "Jede Generation hat ihre Probleme."

Jonathan K. "Das ganze Leben ist eine Suche nach Lösungen."

Als positiven Menschen beschreibt sich der Unternehmer Jonathan K. selbst. Der Wiener sieht für Probleme auch Lösungen.

Die Dauerkrisen können den im Jänner 2000 geborenen Wiener Jonathan K. nicht erschüttern. Er behält trotzdem einen positiven Blick auf die Welt und sagt: "Krisen und Probleme hat es immer schon gegeben." Er versucht, auch im Schlechten etwas Gutes zu sehen, weil Krisen Bewusstsein für Probleme schaffen. "Das ganze Leben ist eine Suche nach Lösungen", betont er. Als Beispiel nennt Jonathan die Erderwärmung: "Wir haben in den vergangenen 20 Jahren schon viel kaputtgemacht. Aber wir sind jetzt auf einem guten Weg, weil so viel Awareness da ist." Neben dem Bewusstsein gebe es auch die technischen Lösungen, um die Krise zu bewältigen.

Der Wiener verweist auf Technologien wie erneuerbare Energien oder Vertical Farming. "Wir könnten mit mehr Forschung und Entwicklung alles viel CO2-effizienter gestalten", sagt Jonathan, "es gibt so viele gute Ansätze, aber das Geld fließt in falsche Richtungen." Warum das aus seiner Sicht so ist? Lobbying, Korruption, Postenschacher und Vetternwirtschaft würden die Entwicklung behindern, zählt er auf. Generell gibt der bald 23-jährige Wiener der Politik schlechte Noten. Hier seien zu viele ältere Leute tätig, deren Zielgruppe ebenfalls alte Menschen seien: "Das Problem ist, dass die in 20 Jahren nicht mehr da sind. Aber junge Menschen werden in 60 Jahren auch noch leben."

Eigenes Marketingunternehmen

Mit der Enttäuschung über die Politik steht er nicht allein da. Was Jonathan von vielen anderen Gleichaltrigen abhebt, ist sein eigenes Unternehmen. Er stammt aus finanziell bescheidenen Verhältnissen, versuchte sich als unbedarfter Teenager mit dem Streamen von selbstgedrehten Videos und wurde Influencer für Videospiele – was ihm bald ansehnliche Einnahmen bescherte. Später gründete er unter Mithilfe seines Vaters ein Marketingunternehmen, das im Bereich des Videostreamings tätig ist. Nach einer zwischenzeitlichen Durststrecke bekam die Firma durch die Lockdowns der Corona-Pandemie einen Schub. Es läuft wieder.

Diese Entwicklung war prägend für Jonathan, somit glaubt er auch an eine Wende zum Positiven in der Klimakrise. "Ich blase nicht Trübsal, sondern arbeite heute selbst im Bereich Technologie, mit der ich auch zur Lösung der Probleme beitragen kann." Wie diese aussehen soll? "Wir könnten in zehn Jahren alles aufholen, wenn wir genug Geld investieren würden", sagt er.

Leben vom Grundeinkommen

Langfristig hat er ohnedies eine hochtechnologisierte Welt im Kopf, in der Automatisierung und Robotik nicht nur Probleme lösen, sondern die Menschheit auch von vielen ungeliebten Tätigkeiten und Jobs befreien sollen. Die Menschen könnten sich dann höherwertigen oder kreativen Aufgaben widmen, glaubt er. Wovon sie dann aber leben sollen, wenn Algorithmen und Roboter ihre Jobs erledigen? Für Jonathan wäre ein "universelles Grundeinkommen" die Lösung. Finanziert werden könne es durch Steuern auf Gewinne und den Einsatz von Maschinen.

In dieser Zukunft sieht der junge Unternehmer, der bereits verlobt ist, auch Platz für eigenen Nachwuchs, viel eigenen Nachwuchs. "Ich will zehn Kinder haben", sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Auch wenn ihm hier nicht alles passt, er glaubt derzeit an seine Zukunft und an die seiner Kinder in Österreich – Menschen, Natur und die Lebensqualität sind aus Jonathans Sicht super.

Obwohl es wegen des Lobbyismus an der Umsetzung hapert, ist er für Demokratie und Kapitalismus, die einfach künftig besser gestaltet werden sollten. Seine positive Weltsicht konnten auch der Ausbruch des Ukraine-Kriegs und die darauffolgenden Drohungen mit Atomwaffen nicht dauerhaft erschüttern. Jonathan räumt aber ein: "Das war einer der wenigen Momente im Leben, in denen ich wirklich Angst hatte."

Chiara A. "Vielleicht sind wir selbstbewusster als frühere Generationen."

Chiara A. glaubt, ihre Generation sei tendenziell nachhaltiger, offener und toleranter als ältere Menschen.

Chiara A. ist flexibel. Wo immer sie der künftige Job hinführen wird, egal, sie will hingehen. Aber es muss eine Stadt sein. Aufs Land? Nein, das ist nichts für die Grazer Kunstgeschichtestudentin. Wobei, die Sache mit der Kunst hat sich irgendwie zufällig ergeben. Eigentlich hatte sie angefangen, Chemie zu studieren, "aus Neugierde inskribierte ich Kunstgeschichte. Nach der ersten Vorlesung war mir sofort klar: Das ist meins. Nie wieder etwas anderes", sagt Chiara. Ihr Gesicht erhellt sich, wenn sie über die Kunst und ihre Geschichte erzählt. Sie hat Feuer gefangen. "Ich möchte auch gerne einen Job, in dem ich über Kunst schreiben kann – wenn ich so an die Zukunft denke. Aber ich werde wohl nehmen müssen, was ich kriege." Eine recht nüchtern-pragmatische Einschätzung.

Nebenbei arbeitet Chiara im Grazer Kindermuseum. Eine tolle Ergänzung, aber auch ein Muss. Chiara lebt mit ihrem Freund zusammen in der Grazer Innenstadt, sie teilen sich die Miete, aber dennoch: Es sei wichtig, einen finanziellen Puffer zu schaffen. Für später, "aber auch, damit ich mit Freunden weggehen kann oder vielleicht auch weiter wegfahren kann".

"Wir wollen nichts Sinnloses arbeiten"

Verstehen ältere Menschen die Gedankenwelt ihrer Generation? "Ich sehe das gar nicht kritisch, ich finde nicht, dass wir krass aneinander vorbeileben. Aber ab und zu kracht es natürlich schon." Bei welchen Themen? "Na ja, wenn es heißt, unsere Generation ist faul und will nicht mehr arbeiten. Das stimmt einfach nicht. Wir wollen nur nichts Sinnloses arbeiten. Und auch genug Freizeit, auch für die Familie, Sport oder Kultur haben. Wir sind nicht faul, wir wollen uns nur nicht ausnutzen, nicht ausbeuten lassen", sagt Chiara. "Vielleicht sind wir selbstbewusster als frühere Generationen."

Und es gibt ein Thema, das die Elterngeneration nur am Rande auf dem Radar hatte: das Klima. "Ich bin keine engagierte Aktivistin, aber das ist ein Thema, das mich und mein Umfeld sehr bewegt. Es ist nicht so, dass ich nie wieder fliegen würde, aber ich esse kein Fleisch. Nicht so sehr wegen der Gesundheit, sondern wegen des Tierschutzes und der Umwelt." Chiara schaut im Gespräch zur Seite, überlegt lange: Wenn sie so ans Wegfahren denke, an eine weite Reise, kommen beunruhigende Gefühle hoch. "Ich habe Angst, dass der Planet irgendwann nicht mehr bewohnbar ist, vor allem die Region um den Äquator. Wer weiß, ob es all die Länder, die ich gerne sehen möchte, dann noch gibt? Ich weiß nicht, ob es nicht eh schon zu spät ist und ob man noch etwas drehen kann. Ich mache mir schon Sorgen. Es wird Millionen von Klimaflüchtlingen geben..."

"Sorge um die Zukunft schwingt mit"

Aber Chiara will nicht immer daran denken, wie schlecht die Welt werden könnte. "Ich konzentriere mich eher auf das Jetzt. Dass ich jetzt ein schönes Leben habe." Was das ausmacht? "Also, ich glaube, ich fühle mich glücklich, ich habe eher Angst, mein Glück zu verlieren. Ich bin positiv eingestellt, aber die Sorge um die Zukunft schwingt immer mit."

Keineswegs will sie sich, wie die ältere Generation, auspowern im Leben und der Pension entgegenträumen. Das sei nicht gerade ein Idealbild eines Lebensentwurfes. "Ich möchte anders leben", sagt Chiara. Nur 35 Stunden arbeiten oder vier Tage pro Woche. Es müsse nicht alles mehr, besser und größer sein. "Man muss nicht übers Ziel hinausschießen, es reicht, wenn man ins Ziel kommt."

Chiara glaubt, dass ihre Generation nachhaltiger ist, in Bezug auf Klima, Umwelt, Gesundheit und Seelenwohl. "Und wir sind, glaube ich, offener und toleranter", sagt sie. Wir akzeptieren, dass Menschen anders leben wollen, eine andere Kultur haben. In Richtung Toleranz, Flüchtlinge, Minderheiten, Rassismus, Homophobie. Ich kann nicht nachvollziehen, dass das jemand anders sieht. Da gibt es Reibungspunkte mit der älteren Generation."

Sebastian H. "Ich lasse mich nicht unterkriegen."

Der Oberösterreicher Sebastian H. hat Hilfe von der Gesellschaft erhalten. Jetzt will er etwas zurückgeben.

Sebastian H. fühlt sich wieder wohl in seiner Haut. Der junge Oberösterreicher macht derzeit in Ried im Innkreis eine Ausbildung zum Behindertenbetreuer und findet darin Selbstbestätigung: "Ich sehe meine Arbeit als sehr wichtig an." Es gibt Leute, die seine Hilfe benötigen und ohne sie im Leben nicht zurechtkommen würden. Eine Erfahrung, die er zuvor selbst machen musste. "Alkohol und Drogen", benennt er die Dämonen, die er mittels einer Therapie vor drei Jahren loswerden musste. Mit Erfolg, wie Sebastian betont, und er fügt hinzu: "Ich bin froh, dass ich wieder richtig leben kann."

Seine eigene Vergangenheit und die Erfahrung mit Menschen mit Behinderung haben Sebastian Bescheidenheit gelehrt. Was ihm derzeit hilft, auch in Bezug auf die hohe Inflation: "Es geht sich finanziell gerade so aus, aber zum Sparen bleibt nichts." Den Klimabonus hat er zur Seite gelegt, er befürchtet eine Nachzahlung bei der Gasrechnung. "Ich lasse mich nicht unterkriegen", sagt er. Geld spiele für ihn ohnedies eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sei, dass es der Familie und Freunden gutgehe. Er sucht sein Heil im privaten Umfeld, denn von der österreichischen Politik hält er "nicht wirklich" etwas.

"Wachstum an vorderster Stelle"

Er wisse gar nicht, wen er wählen sollte, sagt der im Jänner 2000 geborene Oberösterreicher. Sind die Weichen für die Zukunft falsch gestellt? "In Anbetracht der Klimakrise schon, weil Wachstum an vorderster Stelle steht." Aber um welchen Preis, wirft Sebastian ein. "Ist das sinnvoll auf Kosten der eigenen Kinder? Man sollte alle Mittel darauf ausrichten, dass man weiter leben kann auf der Welt."

Dann eine kurze Pause. "Wäre ich auch so, wenn ich viel Geld hätte?", fragt er sich – ohne die Antwort zu kennen. Geld könne man doch nicht mitnehmen, wenn man stirbt. Vererben ginge zwar, aber Kinder sind für ihn kein Thema. Und wenn irgendwann doch, dann adoptierte, keine eigenen.

Nach seiner derzeitigen Ausbildung peilt Sebastian eine weitere zum Sozialpädagogen an. Er will sich dann selbst um suchtkranke Jugendliche kümmern. "Gerade weil ich selbst so viel Hilfe annehmen musste, bin ich froh, wenn ich etwas zurückgeben darf." Am besten mit eigenem Therapiehund – wobei sein Wunsch nach einem vierbeinigen Begleiter noch warten muss. Ein Hund lässt sich derzeit weder mit den Arbeits- und Ausbildungszeiten noch mit den Katzen seiner WG-Mitbewohnerin vereinbaren.

"Ohne Auto ist man aufgeschmissen"

Was Sebastian erfreut, sind die kleinen Dinge im Leben. Snowboarden, Skaten oder Videospiele mit Freunden – für ihn "eine schöne Art der Realitätsflucht". Auch Fußball hat es ihm angetan, aber beim ersten Training nach seiner Therapie erlitt er einen Bänderriss. Für ihn war das ein Wink mit dem Zaunpfahl, es langsamer anzugehen. Seither lebt er Fußball hauptsächlich passiv, als Fan des SV Ried. "Das Stadiongefühl ist cool", sagt er – und macht auf der Rückfahrt aus dem Stadtkern zum Bahnhof stolz einen Schlenker an der Spielstätte des Vereins vorbei. "Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen", räumt er ein. Denn die Ablenkungen in der Gegend sind ebenso rar wie weit voneinander entfernt. In einer Großstadt fühlt er sich nicht wohl. "Wenn ich dort einen Freund besuche, bin ich froh, wenn ich am nächsten Tag wieder heimkann."

Ansonsten hofft der 22-Jährige auf eine Veränderung der Politik und der Gesellschaft im Denken über Klima, Migration und mögliche Wohlstandseinbußen in der Zukunft – wohl wissend, dass die meisten Leute große Angst vor Veränderungen haben. Das sei bei ihm selbst auch so gewesen, sagt er rückblickend über seine Suchttherapie. "Ich habe die Hose bis über die Ohren voll gehabt, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommt. Aber jetzt geht es mir viel besser als zuvor." (Alexander Hahn, Walter Müller, 01.01.2023)