Dirigent Franz Welser-Möst suchte aus vielen Neuheiten musikalische Substanz herauszuholen: Seliges Innehalten gab es beim "Donauwalzer".

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Der musikalische Neujahrsempfang der Wiener Philharmoniker bezieht seinen Charme auch aus seiner scheinbaren Unveränderbarkeit. Mag die Welt sich rasend verändern, beim Neujahrskonzert wird mit dieser so schwer in ihrer Leichtigkeit zu fassenden Musik auch der Stillstand der Zeit per nostalgische Zeitreise zelebriert. Während sechs Klimaaktivisten der Letzten Generation von der Polizei am Protest gehindert wurden, ist im Goldenen Saal des Musikvereins alles wonnig in Schönklang gehüllt. Es fehlt nur noch, dass Sisi hereinspaziert. So wie immer.

Die alljährliche Wiederkehr des Immergleichen im Dreivierteltakt – von wechselnden Dirigenten mit wechselndem Glück betreut – ist jedoch mehr an einen gleichbleibenden Musikstil aus der Zeit der Monarchie gebunden als an einzelne Werke. Natürlich abgesehen vom Donauwalzer und dem offenbar unvermeidlichen Radetzky-Marsch, der nebst der üblichen Mitmachklatscherei dann durch Dirigent Franz Welser-Möst auch dezente, zu diesen Zeiten passend unmartialische Gesten erhielt.

Verzweifelt expressiv

Insofern ist die "Schreckensmeldung", Welser-Möst hätte dem heuer tatsächlich fulminant aufspielenden Orchester für sein drittes Konzert (nach 2011 und 2013) ganze 14 noch nie gespielte Werke abgerungen, natürlich eher eine harmlose Frohbotschaft. Zwar war lediglich der Aquarellen-Walzer von Josef Strauß, der hier etwas von einem verzweifelt expressiven Gesang hatte, schon einmal an einem ersten Tag des Jahres zu hören.

Der Stil der Strauß-Dynastie und ihres Umfelds, der Tonfall, der zwischen selig und beschwingt pendelt, ist jedoch erhalten geblieben.

Bezüglich der Qualität der erstaufgeführten, dem Vergessen entrissenen Werke bewahrheitet sich jedoch wieder: Auch energetisch starke Interpretation kann einen sympathisch schablonenhaften Walzer wie Josef Strauß’ Heldengedichte nicht zum Meisterwerk formen.

Melancholischer Charme

In Summe war es andererseits auch nicht so, dass man statt der Neuheiten lieber den Donauwalzer fünfmal gehört hätte. Carl Michael Ziehrers In lauschiger Nacht hatte in seiner pittoresken Anlage melancholischen Charme. Und Perlen der Liebe von Josef Strauß war eine Begegnung wert, zumal sich der philharmonische Klang einmal ausgiebig entfalten konnte und gleichsam sein kostbares Zentrum fand.

Dann aber endlich bei Josef Strauß’ Zeisserln-Walzer: Zwischen den leisen Zwitschergesten erreicht Welser-Möst jene magisch-süßliche Ambivalenz in den Streichern, die in Summe selten zu hören war und erst beim Donauwalzer in all ihrer dezenten Pracht markant wiederkehren sollte. Die Seltenheit des Seligkeitsfaktors war diesmal wohl vor allem eine Frage des Repertoires. Als wäre die zum "Aufwärmen" gebotene Polka Wer tanzt mit? von Eduard Strauß das Motto des Vormittags, ging es in der flotten Tonart weiter.

Da war viel herzhaftes Dahinrasen zu hören, und dies anfangs auch mit zu viel Kraft und folglich gewissen Grobheiten bei Akzenten. Johann Strauß’ Zigeunerbaron-Quadrille war dann aber von eleganter Ausgewogenheit, wie auch die Polka Frisch heran!. Da wurde spürbar, wie Anspannung gewinnbringend in Musikenergien umgewandelt werden kann. Es klang nicht nach wild gewordener Spieldose.

Munter ohne Ende

Es schien das Muntere und Flotte also kein Ende zu nehmen, als wollte man dem an Problemen nicht gerade armen Jahr 2022 gewissermaßen davonmusizieren. Auch Eduard Strauß’ Polka Auf und davon gab virtuos davon Zeugnis ab, wie auch die Polka For ever, nachdem man bei Josef Strauß’ Heiterer Muth zusammen mit den Wiener Sängerknaben und den Wiener Chormädchen des "Matrosenchors" eine Art Intermezzo geliefert hatte.

Natürlich wäre es die Krönung gewesen, hätten alle erstaufgeführten Werke das Niveau von Joseph Hellmesbergers Glocken-Polka aufgewiesen, die aus den Philharmonikern ein Maximum an inniger Musizierhaltung mobilisierte. Da konnte auch die eher anspruchsvolle und vom Ausdruck her vielfarbige Orchesterfantasie von Josef Strauß mit dem Titel Allegro fantastique nicht mithalten.

Er sprach von Optimismus

Als es vollbracht war und traditionell die ersten Takte des Donauwalzers vom Klatschen unterbrochen wurden, zitierte Welser-Möst, unpolitisch bleibend, Friedrich Nietzsche ("Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum") und sprach danach von Optimismus. Ebendies wird vielleicht auch Dirigent Christian Thielemann tun, allerdings erst am 1. Jänner 2024, wenn er das Neujahrskonzert – nach 2019 – zum zweiten Mal leiten wird. (Ljubiša Tošić, 1.1.2023)