Im Gastblog zeigt Rechtsanwältin Julia Andras anhand eines aktuellen Falles, welche rechtlichen Parameter für eine gemeinsame Obsorge erfüllt sein müssen.

Wer über ein Kind die Obsorge hat, ist mit dessen Pflege und Erziehung, der Vermögensverwaltung und der gesetzlichen Vertretung in all diesen Bereichen betraut. Davon umfasst sind die Bestimmung des Aufenthalts, die Ausbildung des Kindes und seine medizinische Behandlung.

Leben die Kindeseltern getrennt, ist die Frage der Obsorge oft ein Streitpunkt. Wenn die Kindeseltern nicht verheiratet waren, sieht das Gesetz vor, dass der Kindesmutter die alleinige Obsorge zukommt. Ist das Kind in aufrechter Ehe zur Welt gekommen oder erfolgt eine Eheschließung nach der Geburt, kommt beiden Elternteilen die Obsorge zu.

Wie steht es um eine gemeinsame Obsorge, wenn das Verhältnis der Eltern von Konflikten geprägt ist?
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Eine anderwärtige Regelung über die Obsorge kann vereinbart werden. So etwa, wenn bisher ausschließlich der Kindesmutter die Obsorge zukam, diese nunmehr aber auch dem Vater zukommen soll. Ob die Kindeseltern hierfür in aufrechter Partnerschaft stehen oder getrennt leben, ist nicht maßgeblich. Eine rezente Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH 27.9.2022, 2 Ob 125/22d) hat nunmehr klargestellt, worauf es für den Zuspruch der gemeinsamen Obsorge tatsächlich ankommt: die Kooperationsfähigkeit der Elternteile.

Im gegenständlichen Fall trennten sich die Kindeseltern unmittelbar nach der Geburt, demnach kam die Obsorge über den Minderjährigen der Mutter allein zu. Der Kontakt des Minderjährigen zum Vater durchlebte danach Höhen und Tiefen. So wurde zunächst ein regelmäßiges, wöchentliches Kontaktrecht des Vaters etabliert, das regelmäßig von der Mutter unterbrochen wurde, indem sie die Kontakte immer wieder – oft monatelang – aussetzte.

Obsorge bei konfliktreicher Beziehung

Festgestellt wurde, dass sich der Vater nichts hat zuschulden kommen lassen, die Verletzungen des Kontaktrechts gingen vielmehr von der Kindesmutter aus. Auch sei der Vater in der Lage, die Bedürfnisse des Kindes "in feinfühliger Weise zu erfassen und darauf zu reagieren". Die Mutter demgegenüber sei in ihrer Erziehungsfähigkeit dahingehend eingeschränkt, als ihr die Toleranz der Bindung zwischen dem Minderjährigen und seinem Vater fehle.

Die Beziehung zwischen den Kindeseltern ist von Konflikten geprägt. Häufig bestehen Uneinigkeiten zwischen ihnen, so etwa auch in Bezug auf medizinische Angelegenheiten wie die Covid-19-Impfung des Minderjährigen. Diese wurde von der Mutter abgelehnt. Zur Bereinigung der Konflikte haben die Kindeseltern immer wieder Eltern- und Erziehungsberatung in Anspruch genommen, dennoch konnte keine stabile Kommunikationsbasis zwischen ihnen geschaffen werden.

Schlussendlich stellte der Vater einen Antrag auf gemeinsame Obsorge. Diese wurde vom Erstgericht auch eingeräumt und damit begründet, dass sich zwar die Kommunikation nicht bessern wird, dem Vater so aber faktisch mehr Möglichkeiten bezüglich Informationen und Entscheidungen gegeben werden, die ihn aus der Abhängigkeit der Mutter bringen.

Das Rekursgericht stimmte dem Erstgericht hinsichtlich der gemeinsamen Obsorge zu, änderte die Begründung hierzu aber dahingehend, als dass es die Kommunikation für ausreichend befand, auch wenn es einräumt, dass diese durch die Mutter faktisch erschwert wird.

Oberster Gerichtshof: Kindeswohl entscheidet

Mit einem weiteren Rechtsmittel, mit welchem die Mutter die Abweisung des Antrags des Vaters auf Beteiligung an der Obsorge anstrebte, hatte sie schlussendlich Erfolg. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass dem Rekursgericht eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist.

So sei bei der Entscheidung über die gemeinsame Obsorge immer auf das Wohl des Kindes abzustellen. Entscheidungen, die dem Wohl des Kindes entsprechen, können aber nur dann getroffen werden, wenn diese gemeinsam getroffen werden. Voraussetzung dafür sind eine ausreichende Gesprächsbasis zwischen den Obsorgeberechtigten sowie eine Kooperationsfähigkeit und -willigkeit. Liegen diese nicht vor, kann dies durch das alleinige Vertretungsrecht der Obsorgeberechtigten, das vom anderen Teil wiederum entkräftet werden kann, zu einer gänzlichen Verunsicherung des Kindes führen.

Zu solchen Entscheidungen zum Wohl des Kindes sind die Kindeseltern im gegenständlichen Fall nicht in der Lage. Auch kann der erleichterte Informationszugang nicht ins Treffen geführt werden. Maßstab ist allein das Wohl des Kindes. Dieses würde aufgrund der Unfähigkeit einer gemeinsamen Entscheidungsfindung zwischen den Kindeseltern beeinträchtigt werden.

Auch wenn das Ergebnis für den Kindesvater sicherlich unzufriedenstellend war, zeigt diese Entscheidung einmal mehr, worauf es bei Entscheidungen über die Obsorge tatsächlich ankommt – das Kindeswohl. Dass dieses bei derartigen Konflikten zwischen den Elternteilen durch den sich daraus ergebenden Loyalitätskonflikt beeinträchtigt ist, ist zu erwarten. Daher kann ein Loyalitätskonflikt, zumindest mit den Mitteln des Rechts, nur durch die Beibehaltung der alleinigen Obsorge hintangehalten werden. (Julia Andras, 13.1.2023)