Der Mangel an Schnee führt zu neuen Gefahren. Pistenbetreiber müssen sich darauf einstellen – auch aus Haftungsgründen.

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Kaum ein Tag vergeht ohne Meldung über schwere Skiunfälle: Am Neujahrstag verunglückte eine Niederländerin, die auf einer vereisten Piste abrutschte, einen Zaun durchbrach und gegen einen Baum stieß. Erst wenige Tage zuvor waren zwei 17-jährige Deutsche ums Leben gekommen, die mit hoher Geschwindigkeit über den Pistenrand hinausgerieten und abstürzten. Seit dem 26. Dezember verunglückten allein auf Tirols Pisten fünf Menschen tödlich, zahlreiche weitere verletzten sich schwer.

Oftmals stellt sich bei derartigen Unfällen die Schuldfrage: Wer haftet für die Folgen von Verletzungen oder von Todesfällen? Während Vertreter der Seilbahnen meist an die "Eigenverantwortung" der Skifahrerinnen und Skifahrer appellieren, sehen andere die Liftbetreiber in der Pflicht. Diese müssten, so das Argument, die Pisten ausreichend absichern – gerade jetzt, da das warme Wetter dazu führt, dass sich Eisflächen bilden, und das schneefreie Gelände abseits der Pisten eine erhöhte Gefahr darstellt.

Verantwortung der Skigebiete?

Skiunfälle landen nicht selten vor Gericht, erklärt der Vorarlberger Anwalt Sanjay Doshi, der sich auf Sportunfälle spezialisiert hat. Die Anzahl der Prozesse nehme laufend zu. Aus Sicht von Doshi gibt es dafür gleich mehrere Gründe: Zum eine seien heutzutage mehr Skifahrerinnen und Skifahrer als früher auf der Piste unterwegs. Zum anderen haben die Carving-Ski das Skifahren schneller gemacht – und damit auch gefährlicher. Wer selbstverschuldet stürzt, kann freilich keine Ansprüche geltend machen. Aber gibt es dennoch Situationen, in denen die Skigebiete für Verletzungen von Skifahrerinnen und Skifahrern haften?

"Dazu gibt es in Österreich eine ausgeprägte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs", sagt Julia Konzett, Rechtsanwältin in Innsbruck. "Allerdings sind das immer Beurteilungen im Einzelfall. Jeder Skiunfall ist anders." Ein paar allgemeine Grundsätze lassen sich aus der Fülle an Urteilen trotzdem ableiten, erklärt Anwalt Doshi.

Pflicht zur Pistensicherung

Skigebiete haben demnach sogenannte Verkehrssicherungspflichten. Skifahrer dürfen bei der Abfahrt nicht auf Hindernisse treffen, mit denen sie nicht rechnen müssen. Juristinnen und Juristen sprechen dabei von "atypischen Gefahren". Der Klassiker sind etwa Äste, die auf der Piste liegen, oder plötzliche Löcher im Schnee. Verletzt sich aufgrund solcher Hindernisse jemand, haftet in der Regel das Skigebiet. Anders ist das mit Bäumen am Pistenrand, die als "typische Gefahren" gelten.

Skigebiete können auch dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie Abfahrten nicht ausreichend sichern. Das gilt zum Beispiel für den Schutz vor Lawinen auf offiziellen Pisten. Liftbetreiber müssen zudem etwa Liftstützen verkleiden und mit Fangzäunen möglichst verhindern, dass Skifahrer an gefährlichen Stellen in den Wald stürzen. Diese Pflichten reichen laut der Rechtsprechung mitunter auch über den eigentlichen Pistenrand hinaus, wenn Pistenbetreiber damit rechnen müssen, dass Skifahrer hinaus- und wieder hineinfahren.

Neue Gefahren auf der Piste

Führen die hohen Temperaturen nun dazu, dass Skigebiete zu stärkeren Sicherheitsvorkehrungen greifen müssen? Im Einzelfall könnte das so sein. Denn Schneemangel kann dazu führen, dass neue gefährliche Stellen entstehen – wenn etwa Steine oder Felsen nicht mit Schnee bedeckt sind. So können an bestimmten Stellen zusätzliche Absperrungen notwendig sein, erklärt Rechtsanwalt Johannes Öhlböck. "Pistenbetreiber müssen auf geänderte Verhältnisse reagieren." Vereiste Stellen gelten allerdings als typische Gefahr, mit der Skifahrerinnen und Skifahrer rechnen müssen. Ausnahmen davon gäbe es nur dann, wenn eine "steile Piste von oben bis unten völlig vereist" wäre, erklärt Öhlböck.

Für die Skiliftbetreiber ist es derzeit besonders schwierig, bei der Sicherung das richtige Maß zu finden, betonte Andreas Ermacora, Präsident des Alpenvereins, am Montag im ORF Tirol. Bei den aktuellen Verhältnissen werden Skiliftbetreiber aber "darüber nachzudenken haben", ob sie fallweise manche steilen, harten Pisten sperren. "Bei all diesen Dingen darf man natürlich nicht vergessen, dass jeder auch eine gewisse Eigenverantwortung hat", sagt Anwältin Konzett. "Ich kann nicht beim Lift aussteigen und dann ohne jegliche Vernunft den Berg hinunterfahren und davon ausgehen, dass ich sicher ankomme."

Ähnlich äußerte sich am Dienstag auch Peter Paal, Präsident des Österreichischen Kuratoriums für Alpine Sicherheit (Ökas). Es mangle oft an "Ski-Fitness", zudem würden viele in einer "Wohlpaket"-Blase leben, die ihnen auch medial vermittelt werde. Von Pistensperren hält Paal wenig: Verbote und Wegsperren seien das "Allerletzte", diese hätten im alpinen Raum "nichts verloren".

Fis-Regeln zwischen Skifahrern

Bei Zusammenstößen zwischen Skifahren gelten grundsätzlich die Fis-Regeln. Kommt es zu Verletzungen, haftet derjenige, der dagegen verstoßen hat. "Die Grundregel ist: Der, der von hinten kommt, ist schuld", sagt Doshi. Ein anderes Beispiel: Wer losfährt und sich nicht vergewissert, ob andere nachkommen, haftet für die Unfallfolgen. Schadenersatzpflichtig sind übrigens auch Skifahrer, die wegen eines eigenen Fahrfehlers stürzen und dabei andere mitreißen und verletzen. In der Praxis stehe vor Gericht aber oft Aussage gegen Aussage, sagt Doshi. Prozessausgänge seien deshalb kaum vorhersehbar. (Jakob Pflügl, 3.1.2023)