Neben den üblichen Silvester-Überbleibseln halten sich in Berlin auch kontroverse Diskussionen hartnäckig.

Foto: IMAGO/Marius Schwarz

"Ich habe zum ersten Mal in meinem Job Angst gehabt." So beschreibt Baris Coban, was er in der Silvesternacht in der deutschen Hauptstadt erlebte. Der Feuerwehrmann, der seit zwölf Jahren im Dienst ist, sollte in der Sonnenallee eigentlich einen brennenden Reisebus löschen. Dann jedoch wurden er und seine Kollegen von Jugendlichen gezielt mit Böllern, Steinen und Flaschen beworfen.

Szenen wie diese spielten sich auch an anderen Orten ab. Nun wird das Ausmaß jener Krawalle immer deutlicher, die Polizei hat die Zahl der verletzten Einsatzkräfte nach oben korrigiert: 41 Polizistinnen und Polizisten sowie 15 Feuerwehrleute, 145 Personen wurden vorläufig festgenommen – wegen Brandstiftung, Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, Landfriedensbruchs oder wegen Angriffen auf Vollstreckungsbeamte und Rettungskräfte.

Bekanntgegeben hat die Polizei auch, dass bei den Verhaftungen insgesamt 18 Nationalitäten erfasst wurden: 45 deutsche Staatsbürger, die zweitgrößte Gruppe waren Afghanen (27), die drittgrößte Syrer (21).

Video: Attacken zu Silvester – Debatte um Böllerverbot in Deutschland neu entfacht.
DER STANDARD

Die Schuldfrage

Kurz nach Silvester war der Ruf nach einem allgemeinen Böllerverbot laut geworden. Dagegen spricht sich der Vizefraktionschef der Union, Jens Spahn (CDU), aus: "Krawalle in einigen Stadtteilen oder auf bestimmten Plätzen bekämpft man nicht mit einem bundesweiten Böllerverbot. Da geht es eher um ungeregelte Migration, gescheiterte Integration und fehlenden Respekt vor dem Staat statt um Feuerwerk."

Mitschuld an den Krawallen sieht CDU-Chef Friedrich Merz bei der rot-rot-grünen Berliner Landesregierung: "Die Chaoten, viele davon mit Migrationshintergrund, fordern mit ihrer Randale den Staat heraus, den sie verachten", sagte er dem "Münchner Merkur". Das Land Berlin werde jedoch "mit der Lage nicht fertig".

Für heftige Reaktionen sorgt ein Tweet des CDU-Bundestagsabgeordneten Christoph de Vries. Er schreibt: "Wenn wir Krawalle in unseren Großstädten, Verachtung gegenüber dem Staat und Übergriffe gegen #Polizisten und #Feuerwehrleute wirklich bekämpfen wollen, müssen wir auch über die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp sprechen." Als ihm Rassismus vorgeworfen wurde, erklärte de Vries, die Bezeichnung "westasiatisch" entstamme dem Leitfaden für "diskriminierungssensiblen Sprachgebrauch" des Landeskriminalamts (LKA).

Ministerin spricht von großem Problem

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat nach den Krawallen Probleme mit der Integration von Migranten eingeräumt. "Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden", sagte Faeser den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Daraus müsse der Rechtsstaat Konsequenzen ziehen, sagte die Ministerin. "Wir müssen gewaltbereiten Integrationsverweigerern in unseren Städten klar die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache – aber ohne rassistische Ressentiments zu schüren."

Faeser forderte eine rasche und empfindliche Bestrafung der Täter aus der Silvesternacht. "Die Polizei muss sehr konsequent in Brennpunkte hineingehen", sagte sie. "Junge Gewalttäter müssen schnelle und deutliche strafrechtliche Konsequenzen spüren. Die Strafe muss auf dem Fuße erfolgen. Das schafft Respekt vor unserem Rechtsstaat."

Vor einem Generalverdacht gegen Migrantinnen und Migranten warnt die Integrationsbeauftragte der deutschen Regierung, Reem Alabali-Radovan (SPD): "Wir müssen die Täter anhand ihrer Taten beurteilen, nicht anhand ihrer vermuteten Herkunft, wie dies nun einige tun", sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Und: "Wer jetzt mit Generalverdacht gegenüber Menschen mit Einwanderungsgeschichte reagiert, trägt zur weiteren Stigmatisierung und Spaltung unserer Gesellschaft bei, statt die sozialen Ursachen des Problems zu bekämpfen."

Wasser auf die Mühlen

Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) äußerte sich der Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld, Andreas Zick, ähnlich: "Dass Silvester so gewalthaltig war, reiht sich ein in einen Anstieg an Gewalt in der gesamten Gesellschaft. Jetzt Vorverurteilungen von vermeintlich existierenden Gruppen wie Migranten zu diskutieren, ist Wasser auf die Mühlen von jungen Menschen. Zudem gebietet unser Rechtssystem das nicht, und es beleidigt Millionen von Menschen, die sich als Einwanderer verstehen."

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die gerade ihren Wahlkampf eröffnet hat, will einen Gipfel gegen Jugendgewalt einberufen. Gewalttäter müssten außerdem schnell bestraft werden. Sie drängt auch auf mehr Anstrengungen: "Es muss in Schule, in Jugendsozialarbeit, der polizeilichen Präventionsarbeit, aber auch in der Jugendgerichtshilfe eine konzertierte Aktion geben." In Berlin wird am 12. Februar neu gewählt, weil bei der Wahl im Herbst 2021 so viele Pannen passiert sind, dass das Verfassungsgericht die Wahl für ungültig erklärt hat. (Birgit Baumann aus Berlin, 4.1.2023)