Nach einem Antiterroreinsatz in der deutschen Ruhrgebietsstadt Castrop-Rauxel am Sonntag laufen die Ermittlungen auf Hochtouren – erschwert durch potenzielle biochemische Gefahren für die Einsatzkräfte: Zwei iranische Brüder stehen im Verdacht, hochgiftiges Rizin und Cyanide für einen islamistisch motivierten Anschlag besorgt zu haben. Spuren dieser schon in kleinsten Mengen tödlichen Substanzen wurden bisher nicht gefunden, die Suche dauert an. Worum handelt es sich bei diesen Giften, und was macht sie so gefährlich?

Einsatzkräfte suchen in Castrop-Rauxel in Nordrhein-Westfalen nach Hinweisen auf gefährliche Gifte.
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Rizin stammt vorwiegend aus den Samen des Rizinusbaums (Ricinus communis), auch als Wunderbaum bekannt. Der tropische Wunderbaum wird als Zierpflanze und zur Gewinnung von (ungiftigem) Rizinusöl angebaut, das vor allem in der Pharmazie und für Kosmetika verwendet wird. Das hochtoxische Protein Rizin lässt sich aus den Pressrückständen der Samen gewinnen.

Verbotener Kampfstoff

Gelangt das Gift in den Organismus, unterbricht es die Proteinsynthese und tötet dadurch kontaminierte Zellen ab. Das führt schon in geringen Mengen zum Tod: Bei Injektion oder Inhalation sind bereits wenige Dutzend Mikrogramm für einen erwachsenen Menschen letal, bei oraler Aufnahme ist die tödliche Dosis höher. Behandeln lassen sich im Vergiftungsfall nur die Symptome, spezifische Therapiemöglichkeiten gibt es bisher nicht.

Die Samen des Wunderbaums erinnern ein bisschen an Käferbohnen – eine Verwechslung wäre aber fatal.
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Rizin gilt als potenzieller Kampfstoff und wird sowohl in der Bio- wie auch in der Chemiewaffenkonvention als verbotene Waffe gelistet. Vergiftungen mit Rizin sind seit dem Altertum bekannt, am häufigsten durch den Verzehr der Samen des Wunderbaums. Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das potente Gift durch einen Mordanschlag in London 1978 bekannt: Dem bulgarischen Journalisten und Dissidenten Georgi Markow war damals von Geheimdienstagenten mit einem mit Rizin präparierten Regenschirm in den Unterschenkel gestochen worden, und er starb an den Folgen der Vergiftung.

Toxische Cyanide

In Castrop-Rauxel gehen die deutschen Einsatzkräfte davon aus, dass neben Rizin auch giftige Cyanide beschafft worden sein könnten. Vor allem das als Zyankali bekannte Kaliumcyanid wird schon seit langer Zeit für gezielte Vergiftungen verwendet. Giftige Cyanide entfalten ihre Wirkung nicht nur beim Verschlucken, sondern auch durch das Einatmen.

Cyanide werden unter anderem zur Härtung von Stahl, bei der Kunststoffherstellung und bei der Synthese organischer Verbindungen eingesetzt. Cyanverbindungen führen bei Fischen und anderen Wasserorganismen immer wieder zu Massensterben, wenn sie etwa aus Bergwerken in Gewässer gelangen. Zu Vergiftungen beim Menschen kann es etwa nach dem Verzehr von Bittermandeln oder Aprikosenkernen kommen. Es gibt auch ungiftige Cyanide, die unter anderem als Lebensmittelzusatz verwendet werden.

Bei dem Einsatz im Ruhrgebiet wurden zwischenzeitlich umliegende Häuser evakuiert, um eine mögliche Gefährdung auszuschließen. Auch Experten des Robert-Koch-Instituts (RKI) waren vor Ort, die Suche verlief aber bislang ergebnislos. Die Behörden waren nach Geheimdiensthinweisen aus den USA auf die beiden Verdächtigen aufmerksam geworden. (dare, APA, 9.1.2023)