Der Mensch als ein von der Biosphäre durchdrungenes Gesamtwesen steht im Mittelpunkt der Ausstellung "Holobiont. Life is Other", die Kunst und Wissenschaft vereint.
Foto: Spiess/Strecker_Studie für ECOLALIA_ 2021

Pferdebluttransfusionen, ein mit Muttermilch aufgezogener Hundewelpe, leuchtende Süßwasserpolypen: In der Gruppenausstellung Holobiont. Life is Other im Angewandte Interdisciplinary Lab (AIL) der Universität für angewandte Kunst Wien werden neue Welten und Verbindungen aufgezeigt, die die Grenzen unserer individuellen Identität verschwimmen und sich an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft verorten lassen.

Environment und Invironment

Anhand des Denkkonzepts der Mikroperformativität verbinden die Kuratoren und Kuratorinnen Judith Reichart, Lucie Strecker, Jens Hauser, Thomas Feuerstein und das AIL Objekte von Kunstschaffenden, die das Holobiontische in ihren Werken widerspiegeln. "Mikroperformativität ist im Prinzip eine Art von Zugangsweise zu nichtmenschlichen Agenten als Handlungsträgern die jenseits von unserer Vorstellung von individuellen menschlichen Wesen, die mikroskopische Ebene mit der makroskopischen verbinden", sagt Jens Hauser. Die Ausstellung wurde für das Magazin 4 in Bregenz kuratiert, in Wien wurden die Inhalte nun adaptiert und erweitert.

Der Begriff Holobiont wurde Anfang der 1990er-Jahre von der amerikanischen Biologin Lynn Margulis geprägt, die in ihren Arbeiten auch philosophische Dimensionen aufzeigt. Demnach sind wir nicht mehr und nicht weniger als Ökologien auf zwei Beinen, die ihre Individualität der Abgrenzung durch die Haut von der Umgebung verdanken, sagt Hauser: "In unserem Environment haben wir auch Invironments, das heißt, auch eine mikrobielle Vielfalt, die außerhalb und innerhalb des Körpers ist, sodass wir uns dementsprechend auch nicht mehr nur als individuelle Wesen denken sollten."

Mikroben beschallen

Heutzutage würde sich das biologische und philosophische Konzept des Holobionten in unserem Alltag auch um einen digitalen Horizont erweitern, sagt Thomas Feuerstein: "Wir sind zunehmend durchdrungen und bestimmt von digitalen Phänomenen und Prozessen, wodurch wir auch zu medialen und psychischen Cyborgs mutieren." In seinem ausgestellten Objekt Green Hydra werden grün leuchtende Süßwasserpolypen in einer gläsernen, vielköpfigen Hydra kultiviert. Über die Evolution haben sie Algenzellen in ihren Körper eingebaut und können als tierischer Organismus Fotosynthese betreiben.

In ihrer Werkreihe K-9_topology untersucht die Künstlerin Maja Smrekar im Selbstexperiment die Hybridisierung von Mensch und Hund. In einer Art "hybrid family" zieht sie einen Hundewelpen mit ihrer eigenen Muttermilch auf, lässt in ihrer Eröffnungsperformance das artenübergreifend wirksame Hormon Serotonin verdampfen, während sie Hunde-, Katzen- und Menschenhaar zusammenspinnt. Die Installation ECOLALIA (FWF PEEK AR 687) setzt Mikroben menschlichen Lauten wie Singen oder Stöhnen aus. Verschiedene Stimmlagen regen das Mikrobenwachstum entweder an oder verursachen Stress, der sie zum Absterben bringt.

So wird einerseits die wissenschaftliche Fragestellung beleuchtet, wie sich Bakterienkulturen in der Mundhöhle auch durch Sprache verändern können. Andererseits wird eine Brücke zur Fragestellung von Biodiversität von Bakterien und symbolischer Sprache geschlagen, erklärt Feuerstein: "Die Sprachenvielfalt nimmt wie die biologische Vielfalt ab." Das Ausgangsexperiment wurde nachgebaut und von Klaus Spiess, Leiter des Programms "Art & Science" des Zentrums für Public Health der Med-Uni Wien und einem interdisziplinären Team, künstlerisch erweitert.

Wissenschaft als Basis

"Das ist eine neue Wirklichkeit, die die Wissenschaften entdeckt haben, Kleinstlebewesen reagieren nicht nur, sondern können sich auch an etwas erinnern und dies nächste Generation weitergeben", sagt Lucie Strecker, die als Künstlerin die performative Installation mitkonzipiert hat. "Hier werden reale Erkenntnisse aus der Wissenschaft in Verbindung zu gesellschaftlichen Problemstellungen gesetzt", erklärt sie. Ihr Ausstellungsbeitrag Brain’s Shit for Shit Brains präsentiert sich in Form einer spielerischen Schießbudeninstallation, deren Zielscheibe ein Koordinatensystem sozioökonomischer Positionen bildet.

Hier wird sich mit der Darm-Hirn-Achse und der im Kot enthaltenen Informationen auseinandergesetzt. Mit einer Pistole der Marke Glock wird auf After aus Porzellan geschossen. Auch die Gruppenausstellung selbst, in der Werke thematisch ineinandergreifen, ließe sich als holobiontische Vergesellschaftung sehen, sagt Feuerstein. Denn Kunstwerke sind nicht nur Metaphern und Allegorien, die symbolisch etwas verhandeln, sie können auch als narrative Knoten verstanden werden. "Das heißt, dass nicht nur Diskurse über Texte, Bilder und Sprache geführt werden, sondern dass Sprache auch molekular sein kann", erklärt er. Schließlich sprechen Proteine, Aminosäuren und Neurotransmitter auch miteinander.

Das würde auch den Kunstbegriff verändern, meint Feuerstein, dieser sei nicht nur symbolisch beschaffen, sondern drücke auch eine Sehnsucht aus, mit der Wirklichkeit zu interagieren und diese in das Werk mit einzubringen. Auch eine Friedensbotschaft wird hier vermittelt, erklärt er: "Als individuelle Entitäten sind wir nicht in der Lage zu überleben, wir sind viel stärker untereinander und mit der Biosphäre verwoben, als wir denken – ob es uns gefällt oder nicht." Die Ausstellung endet am 20. Jänner mit einer Finissage und Podiumsdiskussion um 17.30 Uhr. (Lea Weinberg, 14.1.2023)