Die Bevölkerung in China schrumpft, die Corona-Pandemie dürfte den Trend noch beschleunigen.

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Jetzt ist es offiziell: Die chinesische Bevölkerung schrumpft. Das Statistikamt meldete erstmals seit 1961 einen Rückgang, es gibt im Land rund 850.000 Menschen weniger. Die Ursachen sind zunächst leicht auszumachen: Deng Xiaoping führte 1980 die Ein-Kind-Politik ein. Damit sollte der rasante Bevölkerungszuwachs gestoppt werden.

Was in manchen sich auf den Ökonomen Thomas Robert Malthus beziehenden Kreisen im Westen auf Beifall stieß, war in der Realität eine unmenschliche und grausame Politik: Noch vor wenigen Jahren wurden besonders auf dem Land Frauen zur Abtreibung gezwungen, wenn diese unerlaubt ein zweites Mal schwanger geworden waren.

VIDEO: Chinas Bevölkerung schrumpft zum ersten Mal seit 60 Jahren.
DER STANDARD

Ausnahmen gab es dennoch: In den großen Städten an der Ostküste war ein zweites Kind schlicht eine Frage des Geldes. Wer sich die Geldstrafe leisten konnte, durfte auch zwei oder drei Kinder bekommen. Außerdem waren die 57 ethnischen Minderheiten des Landes von der Ein-Kind-Politik ausgenommen. Ab den Nullerjahren kamen immer neue Lockerungen hinzu – etwa für Geschiedene, die neu heirateten. 2016 schließlich wurde die Ein-Kind-Politik offiziell beendet.

Junge Paare überarbeitet

Nur: In der Zwischenzeit ist den Chinesen die Lust auf das Kinderkriegen vergangen. Kinder als Absicherung im Alter ist kein Anreiz mehr – dafür sind die Chinesen mittlerweile zu wohlhabend. Hinzu kommt, dass sich viele junge Paare gerade in den boomenden Städten überlastet und überarbeitet fühlen.

Eine zweite nicht intendierte Folge der Ein-Kind-Politik ist der Überschuss an jungen Männern. Das Verbot, mehr als ein Kind zu bekommen, in Kombination mit pränataler Diagnostik führte dazu, dass auf dem Land wesentlich mehr weibliche Föten abgetrieben wurden. Denn in den konfuzianisch geprägten Agrargesellschaften Chinas wollten viele Bauern unbedingt einen männlichen Nachkommen.

Bis zu 30 Millionen Männer dürften deswegen in den kommenden Jahren "leer ausgehen". Das schiefe Mann-Frau-Verhältnis führt zu einem beinharten Heiratsmarkt. Da viele Männer um weniger Frauen buhlen, verlangen die Schwiegereltern in spe vom Bewerber möglichst Wohneigentum, Auto und eine gut bezahlte Stelle, bevor sie ihr Einverständnis geben.

Überalterung der Gesellschaft

Vor allem hat die Ein-Kind-Politik zur Beschleunigung eines Problems geführt, das nahezu alle Industriestaaten kennen: die Überalterung der Gesellschaft. Westliche Industriestaaten lösen dieses Problem meist mit Migration. Ostasiatische Staaten dagegen kennen oft nur vorübergehende Arbeitsmigration. Und Japan versucht das Problem mit Robotern zu lösen.

In China kommt noch ein wirtschaftliches Problem hinzu: Das Land droht alt zu werden, bevor es reich wird. Soziale Sicherungs- und Pensionssysteme sind nur rudimentär vorhanden. Weniger junge Leute bedeuten weniger Wirtschaftswachstum.

Wie China dieser Herausforderung begegnet, ist noch ungewiss. Immer wieder machen derzeit Beamte und Wissenschafter den Vorschlag, doch Prämien für das Kinderkriegen zu vergeben. (Philipp Mattheis, 17.1.2023)