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Rekonstruktion eines Homo-erectus-Individuums. Forschende haben anhand von Zähnen mehr über die Ernährungsgewohnheiten dieser Frühmenschenart auf Java herausgefunden.

Foto: S. ENTRESSANGLE / Science Photo Library / picturedesk.com

Kochen – also die Zubereitung von Lebensmitteln mithilfe des Feuers – ist keineswegs eine Erfindung des modernen Menschen: Auch wenn die Befundlage dünn ist, einige archäologische Ergebnisse lassen darauf schließen, dass bereits Homo erectus vor über einer Million Jahren seine Speisen über den Flammen erhitzte. Zuletzt berichteten israelische Fachleute vom womöglich frühesten Beweis für den Einsatz des Feuers zum Kochen von Fisch außerhalb Afrikas. Konkret handelte es sich um Karpfen, die vor 780.000 Jahren in der Nähe des Jordanufers im Norden Israels möglicherweise in einer Art Erdofen zubereitet worden waren.

Was den Speiseplan von Homo erectus darüber hinaus betrifft, ist freilich vieles noch unklar. War Fleisch Hauptbestandteil der alltäglichen Ernährung? Oder führten unsere Vorfahren ein weitgehend vegetarisches Dasein? Und änderte sich der das Menü im Jahreskreislauf? Ein interdisziplinäres Team von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern konnte nun vor allem auf Letzteres Antworten liefern: Wie die Analysen von über 700.000 Jahre alten Homo-erectus-Zähnen zeigten, wechselten die Frühmenschen im Laufe eines Jahres von pflanzlicher Nahrung zu Mischkost, waren dabei aber weit weniger vom saisonalen Nahrungsangebot abhängig als zum Beispiel Orang-Utans, die ebenfalls die Insel bewohnten.

Blick in die Wachstumsstreifen der Zähne

Zahnschmelz wirkt auf den ersten Blick ebenmäßig, offenbart aber bei näherer Betrachtung mit der Lupe ein Muster aus dünnen parallelen Linien, die quer über den Zahn laufen. Diese sogenannten Retzius-Streifen markieren das Wachstum unseres Zahnschmelzes. An ihren Abständen lässt sich die Entwicklungsgeschwindigkeit eines Menschen ebenso ablesen wie markante physiologische Einschnitte wie beispielsweise Krankheiten. Aber auch die zeitlich variierende chemische Zusammensetzung des Zahnschmelzes geben die feinen Linien wieder – oder mit anderen Worten: allfällige Wechsel in der Ernährung.

Diese Tatsache nutzen Forschende um Wolfgang Müller und Jülide Kubat von der Goethe-Universität Frankfurt, um mehr über die Ernährungseigenheiten von Homo erectus herauszufinden und diese mit jenen von zeitgleich lebenden Orang-Utans sowie weiteren Tieren zu vergleichen. Alle lebten im Pleistozän vor 1,4 Millionen bis 700.000 Jahren auf der indonesischen Insel Java, auf der es damals Regionen mit Monsun-Regenwäldern sowie offene Baumlandschaften und grasbewachsene Savannen gab.

Polierter Dünnschliff eines Homo-erectus-Zahns vor der chemischen Analyse mittels Laser-Ablation-Plasma-Massen-Spektrometrie (LA-ICPMS).
Foto: Alessia Nava/ Luca Bondioli

Verräterisches Strontium-Kalzium-Verhältnis

Zur Analyse des Zahnschmelzes betteten die Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Zähne in ein Harz ein und schnitten sie dann in hauchdünne Scheiben von 150 Mikrometer Dicke. Anschließend trug ein Laser Zahnmaterial ab, das mittels Massenspektrometrie unter anderem auf den Gehalt von Strontium und Kalzium untersucht wurde. Beide Elemente sind in Zähnen und Knochen enthalten.

In welchem Verhältnis die beiden Elemente vorkommen, ist von der Nahrung abhängig, was entsprechende Rückschlüsse zulässt. "Strontium wird – quasi als Verunreinigung des essenziellen Kalziums – vom Körper nach und nach ausgeschieden", sagte Müller. "In der Nahrungskette führt das dazu, dass das Strontium-Kalzium-Verhältnis von Pflanzenessern über Allesesser bis hin zu Fleischessern kontinuierlich abnimmt."

Raubkatzen, Nashörner und Frühmenschen

Dies konnte das Team mit dem Vergleich verschiedener Tierzähne aus dem pleistozänen Java bestätigen: Raubkatzen wiesen ein niedriges Strontium-Kalzium-Verhältnis auf, Vorläufer der heutigen Nashörner, Hirsche und Flusspferde ein hohes Strontium-Kalzium-Verhältnis und pleistozäne Schweine als Allesesser lagen etwa in der Mitte.

Die mikroskopische Aufnahme zeigt einen Orang-Utan-Zahn-Dünnschliff, der die interne Wachstumsstruktur des Zahnschmelzes wiedergibt. Die einzelnen Retzius-Linien sind in Grün hervorgehoben.
Foto: Alessia Nava/ Luca Bondioli

Die Untersuchungen der Zähne von Individuen der Hominiden Orang-Utan und Homo erectus lieferten dagegen überraschende, weil variantenreicher Resultate, die nun im Fachjournal "Nature Ecology and Evolution" veröffentlicht wurden: Hier entdeckten die Forschenden im Zeitverlauf Jahreszyklen, in denen sich die Nahrungszusammensetzung von Menschenaffen und Menschen änderte. Beide zeigten im saisonalen Rhythmus Unterschiede, wobei die regelmäßigen Strontium-Kalzium-"Spitzen" beim Orang-Utan viel deutlicher ausgeprägt waren als bei Homo erectus.

Weniger von saisonaler Nahrung abhängig

"Diese Peaks deuten auf ein reichhaltiges pflanzliches Nahrungsangebot in der Regenzeit hin, während der im Regenwald zum Beispiel viele Früchte gebildet wurden", erklärte Kubat. "In der Trockenzeit mussten vor allem Orang-Utans auf andere Nahrungsquellen umsteigen, die vielleicht Insekten oder Eier einschlossen." Homo erectus dagegen sei laut den geringer ausgeprägten Peaks als Allesesser und zeitweise Fleischkonsument weniger vom saisonalen Nahrungsangebot abhängig gewesen, so die Forscherin.

Insgesamt zeige die Analyse, dass die räumlich hochaufgelöste Laseranalyse von Spurenelementen zusammen mit Zahnschmelzchronologie einen zeitlich bemerkenswert detaillierten Einblick in die Lebensgeschichte unserer Vorfahren geben kann: "Plötzlich ist man ganz nahe dran an diesen frühen Menschen, die so lange vor unserer Zeit gelebt haben. Man kann erspüren, was der jahreszeitliche Wechsel für sie bedeutet haben mag und wie sie mit ihrer Welt interagiert haben. Das ist absolut faszinierend." (tberg, red, 23.1.2023)