In Sri Lanka brachen im Frühjahr schwere Unruhen wegen der Staatsschuldenkrise aus.

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Von der "Polykrise" ist viel die Rede beim Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos. Sind doch im vergangenen Jahr einige Krisen zusammengekommen, die "normalerweise nur einmal im Leben auftreten", wie es der US-indische Ökonomieprofessor Raghuram Rajan bei einer Diskussionsveranstaltung ausdrückt: zunächst die weltweite Finanzkrise 2007/08, dann die Covid-Krise und schließlich der Überfall Russlands auf die Ukraine.

Eine der Folgen der vielen Krisen: die enorme Last an Staatsschulden, die sich weltweit aufgehäuft hat, vor allem durch Bankenrettungen, Covid-Hilfsprogramme und schließlich enorme Energiekostensteigerungen. Dieses Problem wird gerade dringlicher. Denn infolge der Inflation erhöhen Zentralbanken weltweit die Leitzinsen – was die Kosten der Staaten für die Schuldenlast weiter in die Höhe treibt.

Enorme Verschuldung

"Die weltweite Staatsverschuldung ist enorm gestiegen", sagt Rajan. Im Vorjahr hat sie einen Rekordwert erreicht; sie stieg gegenüber 2021 um 9,5 Prozent auf umgerechnet 66 Billionen Euro. Zuvor wuchsen die Schulden allein im Corona-Jahr 2020 so stark wie in keinem anderen Jahr seit dem Zweiten Weltkrieg. Derzeit liegen sie bei 91 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, wie Währungsfonds-Chefökonomin Gita Gopinath ausführt.

Es ist ein Problem, das Entwicklungsstaaten und reiche Länder gemeinsam haben. Das südasiatische Sri Lanka etwa erklärte sich vergangenes Frühjahr für zahlungsunfähig, weil es die Auslandsschulden in der Höhe von insgesamt 51 Milliarden Dollar nicht mehr bedienen konnte. Der thailändische Finanzminister spricht in Davos von der Notwendigkeit, in seinem Land Steuern effizienter einzutreiben, um die Schulden im Zaum zu halten, etwa durch die Digitalisierung des Steuersystems. Und auch in Österreich manifestiert sich die Polykrise in der Verschuldung: Die Staatsschulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind laut Nationalbank allein zwischen 2019 und 2022 von 71 Prozent auf 79 Prozent gestiegen.

Notenbanken arbeiten gegen Regierungen

Noch dazu wird die Situation gerade besonders vertrackt, weil die Zentralbanken mit ihrer Zinspolitik und die Regierungen mit ihrer Fiskalpolitik tendenziell auseinanderstreben. Erstere wollen durch Zinserhöhungen die Inflation in den Griff bekommen; Letztere mit Hilfsprogrammen ihren Bürgerinnen und Bürgern gegen hohe Energie- und Lebensmittelpreise zur Seite stehen – was zwar notwendig ist, aber die Inflation weiter anheizt.

Wie den Spagat bewältigen? Einen ansatzweisen Ausweg zumindest für die EU-Staaten skizziert EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni in Davos: Um Inflation wie Schulden in den Griff zu bekommen, sei es zunächst notwendig, die breiten und umfassenden Hilfsprogramme, die EU-Staaten wie etwa Österreich gegen Pandemie und Energiekrise auffahren, "graduell zu limitieren und zurückzufahren", so der Kommissar. "Aus einem sozialen Standpunkt heraus ist das zwar nicht einfach, aber wir müssen zu gezielteren Maßnahmen übergehen." Es brauche also Hilfsmaßnahmen etwa spezifisch für sozial Schwache, nicht aber für den Großteil der Bevölkerung. Setzt man diese Schritte nicht, warnt Gentiloni, würden Schulden und Inflation "neue Höhen" erreichen.

Sparen im Kleinen, Ausgeben im Großen

Das ist aber noch nicht alles. Für "strategische Ziele", die dem Vorantreiben der Energie- und Klimawende gelten, dürfe man getrost Staatsschulden machen, meint Gentiloni. Die grüne Transformation "müssen wir schlicht finanzieren" – nicht nur um das Klima zu retten, sondern auch um die Energiepreise wieder unter Kontrolle zu bringen. Denn schuldenfinanziertes staatliches Geld kann unter anderem in den forcierten Ausbau erneuerbarer Energien fließen, die billiger sind als fossile.

Im Kleinen soll also budgetäre Strenge herrschen, im Großen Großzügigkeit. Gentiloni plädiert für die Ausweitung dessen, was in der EU bereits seit einigen Jahren praktiziert wird, etwa in Form der Ausgabe gemeinsamer Anleihen, der sogenannten Corona-Eurobonds – dass bei langfristigen Investitionen durch Staaten Ausnahmen von Schuldenregeln gelten sollten. "Bei derartigen zukunftsorientierten Investments ist in der EU in den vergangenen Jahren erstmals spürbar etwas weitergegangen." (Joseph Gepp, 19.1.2023)