Wenn Walter Rosenkranz an den Staatsschutz denkt, stellt er sich eine Institution vor, in der die Ermittler "dafür brennen", wenn es darum geht, einen Terroranschlag zu verhindern. Gesehen habe das der freiheitliche Volksanwalt so immerhin in Fernsehkrimis wie "Soko Donau" oder "Rosenheimcops". Wenn die Beamten da einen Hinweis bekämen, "springen die sofort auf" und würden sich geradezu in den Fall hineinstürzen, erzählt Rosenkranz.

In Österreich hingegen "wiehere" der Amtsschimmel wie eine Pferdeherde. Die Kommunikation in den Ämtern des Staatsschutzes verlaufe träge und bürokratisch, vom Vierfachdurchschlag bis zum "Stempel drauf". Ein "großes Feuer" wie im Fernsehen kann der blaue Politiker zu seinem Bedauern bei den Beamten nicht wahrnehmen.

Das schmeckt Rosenkranz im Rückblick auf den Terroranschlag vom 2. November 2020 so gar nicht. Ein amtsbekannter Jihadist schoss dabei in der Wiener Innenstadt um sich, tötete vier Menschen und verletzte etliche weitere schwer. In einem Sonderbericht attestiert die Volksanwaltschaft den Sicherheitsbehörden nun grobe Mängel in der damaligen Terrorbekämpfung. Dies deckt sich weitgehend mit den Feststellungen der unabhängigen "Zerbes-Kommission". Der STANDARD berichtete bereits vorab.

"Gar nicht ausmalen" will sich Walter Rosenkranz, was passiert wäre, wenn der Terrorist ein Lokal betreten hätte, anstatt im Freien herumzulaufen. Dann hätte Österreich "Pariser Verhältnisse" erlebt.
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Rosenkranz macht seine Kritik vor Journalisten vor allem an zwei Punkten in der Chronologie des Wiener Attentats fest. Die Verdachtslage war aus Sicht des ehemaligen FPÖ-Präsidentschaftskandidaten zunächst einmal alles andere als "vage", wie das Innenministerium behauptet hatte. Immerhin habe der Jihadist im Sommer 2020 mit einem Bekannten vergeblich versucht, in der Slowakei an Munition zu gelangen. Und zwar "nicht an Schrotpatronen für eine Fasanenjagd, sondern für eine Kalaschnikow". Und aus einer ZDF-Dokumentation wisse Rosenkranz wiederum, dass diese Waffe eine "Ikone" für Terroristen sei. "Da muss ich jetzt nicht Terrorbekämpfer sein", ätzt der Blaue.

Rosenkranz führt das ins Treffen, weil zwei Wiener Staatsschützer zwar verschwommene Fotos des versuchten Munitionskaufs von den slowakischen Kollegen erhielten und die beiden Männer auch zu erkennen glaubten. Ins Tun kamen sie deshalb aber nicht. Kurz davor hatte der spätere Terrorist auch noch an einem internationalen Jihadistentreffen in Wien teilgenommen. Auch das sei bekannt gewesen, führt Rosenkranz als zweites Argument an. Dennoch verstaubten diese Informationen im Staatsschutz.

Den unterlassenen Bericht an die Staatsanwaltschaft ordnet die Volksanwaltschaft nun als "folgenschweren Verwaltungsmissstand" ein. Immerhin war der Jihadist erst im Dezember 2019 unter Auflagen aus der Haft entlassen worden und daher im Blick der Behörden. Das Innenministerium stellt sich auf Nachfrage vor die beiden Beamten, gegen die Ermittlungen in der Sache eingestellt wurden.

Ob sich durch die Umwandlung des ehemaligen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) solche Mängel abstellen lassen, wollte Rosenkranz nicht abschließend bewerten. In ihrem Bericht geht die Volksanwaltschaft aber davon aus, dass sich durch die Trennung von Nachrichtendienst und Staatsschutz Kommunikationsprobleme und Verzögerungen verschärfen könnten. Das Innenressort hält dagegen. Die Kooperation der beiden Bereiche sei durch eine "Informationsschnittstelle" gewährleistet.

Ein Prozess im Eiltempo

Vor mittlerweile vier Monaten begann auch die Gerichtsverhandlung rund um den Terroranschlag von Wien. Sechs Hauptangeklagte müssen sich dafür verantworten, dem späteren Attentäter auf die eine oder andere Weise bei dessen Anschlagsplänen im Vorfeld behilflich gewesen zu sein. Die Vorwürfe reichen von Waffenvermittlung bis zur psychischen Bestärkung. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Prozess wird im Eiltempo abgearbeitet. In der Regel enden die Verhandlungstage früher als angesetzt. Die Anfahrt so mancher Zeugen dürfte länger gedauert haben als ihre Einvernahmen. Die Befragungen an sich liefern kaum relevante Erkenntnisse, der Ermittlungsstand ist seit Monaten unverändert.

Spätestens am 2. Februar werden Urteile gesprochen. Vier Männern droht lebenslange Haft, zweien eine von höchstens 20 Jahren, weil für sie das Jugendstrafrecht gilt. (Jan Michael Marchart, 18.1.2023)