In Metropolen wie Hongkong ist vom Sternenhimmel nichts zu sehen. Das gilt aber zunehmend auch für ländlichere Gebiete.

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"Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?" Die Einstiegsfrage in einem bekannten Wiegenlied aus dem 19. Jahrhundert lässt sich durch eigene Nachschau immer schwieriger beantworten. Der Grund dafür ist die weltweite Lichtverschmutzung durch künstliche Beleuchtung, die immer mehr Sterne am Nachthimmel für das freie Auge unsichtbar macht. Schon heute haben rund 80 Prozent der Menschen einen lichtverschmutzten Himmel über sich, ein Drittel der Menschheit kann die Milchstraße nicht sehen.

Eine aktuelle Studie kommt nun zu dem Schluss, dass diese Entwicklung erschreckend schnell voranschreitet: Die durch den Menschen verursachte Helligkeit des Himmels nimmt demnach jährlich um rund sieben bis zehn Prozent zu, wie ein Forschungsteam im Fachblatt "Science" berichtet. Das sei deutlich schneller, als bisher angenommen, schreibt das internationale Team um Christopher Kyba vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ in Potsdam und von der Ruhr-Universität Bochum.

Immer heller

"Die Geschwindigkeit, mit der Sterne für Menschen in städtischen Umgebungen unsichtbar werden, ist dramatisch", sagte Kyba. Für ihre Studie werteten für die Forschenden Beobachtungen von rund 51.300 Freiwilligen weltweit aus aus dem Zeitraum 2011 bis 2022 aus. Die Änderungen der Himmelshelligkeit wurden dabei anhand der Anzahl der sichtbaren Sterne abgeschätzt. Für Europa ergaben sich dabei 6,5 Prozent mehr Helligkeit pro Jahr, für Nordamerika sogar 10,4 Prozent.

Das sei so nicht erwartet worden, sagte Kyba. Satellitenmessungen der künstlichen Lichtemissionen auf der Erde hätten eine langsamere Entwicklung vermuten lassen. "Wenn das so fortschreitet, wird ein Kind, das an einem Ort geboren wird, an dem 250 Sterne sichtbar sind, dort an seinem 18. Geburtstag nur noch 100 Sterne sehen können", sagte Kyba. "Ich hoffe, dass der Trend so nicht anhält, dass es mehr Gegenmaßnahmen gibt. Es liegt an uns."

Vielfältige Effekte

Für die Studie hatten die mehr als 50.000 Citizen Scientists ihren Nachthimmel mit bloßem Auge beobachtet und in einem Online-Formular angegeben, welche von acht Sternkarten am besten zu dem Gesehenen passte. Jede Karte zeigte den Himmel mit verschiedenen Graden an Lichtsmog. Die Angaben repräsentieren demnach 19.262 Standorte weltweit, darunter knapp 3.700 Orte in Europa und fast 9.500 in Nordamerika. Zusätzlich wurde ein globales Modell für die Himmelshelligkeit berücksichtigt, das auf Satellitendaten des Jahres 2014 basiert.

Fachleute warnen seit langem vor den vielfältigen Folgen der Lichtverschmutzung – nicht nur für Sternenbeobachtung und Astronomie: Zahlreiche Studien zeigen negativen Effekte der künstlichen Dauerhelligkeit für Gesundheit und Umwelt auf – von beeinträchtigten Tag-Nacht-Zyklen bei Tieren über Schlafprobleme bei Menschen bis hin zu Wachstumsstörungen bei Pflanzen. Viele Verhaltensweisen und physiologische Prozesse sind von tageszeitlichen und saisonalen Rhythmen bestimmt – und damit vom Licht beeinflusst, sagte Constance Walker vom US-amerikanischen National Radio Astronomy Observatory, die ebenfalls an der "Science"-Studie beteiligt ist. "Das Himmelsleuchten beeinträchtigt sowohl tag- als auch nachtaktive Tiere."

Der Satellitenfaktor

Während künstliche Lichtquellen immer größere Teile der globalen Landfläche nächtens beleuchten und auch den Himmel darüber erhellen, hat das Problem inzwischen auch eine außerirdische Dimension angenommen, die vor allem für die Astronomie zunehmend problematisch wird: Künstliche Objekte im Erdorbit reflektieren Sonnenstrahlen, übersäen Himmelskarten mit irritierenden Leuchtquellen und ziehen auf länger belichteten Aufnahmen Strichspuren quer über den Himmel. Und die künstlichen Sterne werden immer mehr: Mega-Satellitenkonstellationen wie Starlink der US-Firma Space X umfassen heute bereits tausende Objekte.

"Die enorme Zunahme des Himmelsleuchtens unterstreicht, wie wichtig es ist, neue Strategien zum Schutz des dunklen Himmels zu entwickeln", sagte Walker und betonte auch den jahrtausendealten kulturellen Wert des Sternenhimmels. Die Astronomische Gesellschaft Deutschlands stuft ihn offiziell als Kulturgut ein, das für immer verloren zu gehen drohe. (dare, 20.1.2023)